OP: Darmbakterien lösen Komplikationen aus

Stärkung der Immunität als Prophylaxe
lz
Mikrobiota des Darms
Die Mikrobiota des Darms unter dem Mikroskop. Rot gefärbt sind die Bakterien zu sehen, der Darm ist blau. © Mercedes Gomez de Agüero, Institut für Systemimmunologie
Newsletter­anmeldung

Bleiben Sie auf dem Laufenden. Der MT-Dialog-Newsletter informiert Sie jede Woche kostenfrei über die wichtigsten Branchen-News, aktuelle Themen und die neusten Stellenangebote.


Nach einem operativen Eingriff können Bakterien aus dem Darm in den Organismus gelangen und Komplikationen auslösen. Eine Lösung für dieses Problem könnte aus der Leber kommen.

Immerhin knapp 16 Millionen Operationen haben deutsche Krankenhäuser im Jahr 2021 vorgenommen. In der Schweiz sind es rund 1.1 Millionen. Auch wenn der eigentliche Eingriff gut verläuft, kommt es nicht selten im Anschluss daran zu einer Wundinfektion, die für die Betroffenen dramatische Folgen haben kann. Im Extremfall können solche Infektionen tödlich sein. Eine neue Studie zeigt jetzt: Bei den Verursachern dieser Infektionen handelt es sich in einem Großteil der Fälle um Bakterien aus dem Darm des Patienten selbst. Dafür muss der Darm während der Operation nicht einmal verletzt werden. Auch so überwinden diese Erreger postoperativ die Darmbarriere und verbreiten sich über die Blut- und Lymphbahnen im ganzen Körper. Sie können aber von speziellen Immunzellen aufgehalten werden, die in allen Organen, auch in der Leber, patrouillieren.

Gefahr aus einer ganz anderen Ecke

Für die Studie verantwortlich sind Professor Guido Beldi, Chefarzt Viszerale Chirurgie der Universitätsklinik für Viszerale Chirurgie und Medizin des Inselspitals in Bern, und Dr. Mercedes Gomez de Agüero, Leiterin einer Nachwuchsforschungsgruppe am Institut für Systemimmunologie der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU). „Dass Begleitinfektionen bei invasiven Eingriffen die Sterblichkeit erhöhen, ist seit Langem bekannt. Aus diesem Grund werden umfangreiche Maßnahmen der Hygiene und Asepsis durchgeführt, um Mikroorganismen im Operationsfeld zu eliminieren“, erklärt Guido Beldi. Wie sich jetzt allerdings zeigt, kommt die Gefahr aus einer ganz anderen Ecke: dem Darm des Patienten.

Enterococcus, Escherichia coli und Clostridium nachgewiesen

„Im menschlichen Darm leben mehrere hundert Stämme unterschiedlicher Bakterien mit rund einhundert Billionen Mikroorganismen. Sie bilden die natürliche Darmflora, auch Mikrobiom genannt“, erklärt die beteiligte Wissenschaftlerin Gomez de Agüero. Für den Menschen ist ihre Existenz von Vorteil: Sie helfen bei der Verdauung, beseitigen Krankheitserreger und trainieren das Immunsystem. Das gilt jedoch nur so lange, wie diese Bakterien nicht die sogenannte Darmbarriere überwinden und sich im Körper ausbreiten.

Nach einem operativen Eingriff kann allerdings genau dies passieren: „In unserer Studie haben wir die Mikroorganismen analysiert, die bei fast 4.000 Patienten nach einem größeren chirurgischen Eingriff Begleitinfektionen verursacht haben“, erklärt Guido Beldi. Dabei zeigte sich, dass es sich in so gut wie allen Fällen bei den Erregern um Bakterien aus dem Darm des Patienten handelte, wie beispielsweise Enterococcus, Escherichia coli und Clostridium.

Untersuchung im Mausmodell

Diese sorgten am häufigsten nach Operationen an der Leber, der Bauchspeicheldrüse und den Gallenwegen sowie bei Operationen am Dünn- und Dickdarm für Infektionen. Vor allem Patientinnen und Patienten, die sich einer großen Leberresektion – also der Entfernung großer Teile der Leber – unterziehen mussten, erlitten solch eine Infektion, die den Heilungsprozess deutlich verzögerte.

Dass die Leber in diesem Infektionsgeschehen tatsächlich eine besondere Rolle spielt, konnten die Forscherinnen und Forscher im Mausmodell nachweisen: „Wir wissen, dass spezielle Zellen des Immunsystems, die in der Leber ansässig sind, für die Kontrolle dieser sich ausbreitenden Bakterien und für den Heilungsprozess nach größeren Operationen verantwortlich sind“, sagt Gomez de Agüero. Bei ihnen handelt es sich um eine Gruppe von Lymphozyten, die sogenannten „Innate Lymphoid Cells“ (ILCs), die wichtige Akteure des angeborenen Immunsystems sind.

Stärkung der Immunität als Prophylaxe

Gelangen nun über den Blutstrom Bakterien aus dem Darm in die Leber, werden diese ILCs aktiviert und setzen spezielle Botenstoffe frei, wie beispielsweise Interleukin 22, ein Protein, das Immunreaktionen auslösen und regulieren kann. Auf diese Weise regen sie Leberzellen dazu an, antimikrobielle Substanzen zu produzieren. „Damit kontrollieren in der Leber ansässige angeborene lymphatische Zellen die systemische Ausbreitung von Darmbakterien und bekämpfen wirksam Begleitinfektionen nach Operationen“, so die Wissenschaftlerin.

„Die Stärkung der Immunität stellt somit eine sinnvolle prophylaktische und therapeutische Alternativstrategie zu den üblichen antimikrobiellen Therapien dar, um Begleitinfektionen nach Operationen zu verhindern“, schlägt Guido Beldi vor. Zumindest so lange, bis aufgeklärt ist, welche Faktoren dafür verantwortlich sind, dass nach einem operativen Eingriff die Darmbarriere Darmbakterien nicht mehr davon abhält, in das Körperinnere einzudringen. Dieser Fragen will das Forscherteam jetzt nachgehen.

Literatur:
Jakob MO, Spari D, Sanchez-Taltavull D, et al.: ILC3s restrict the dissemination of intestinal bacteria to safeguard liver regeneration after surgery. Cell Reports, DOI: doi.org/10.1016/j.celrep.2023.112269.

Quelle: idw/ Julius-Maximilians-Universität Würzburg

Artikel teilen

Online-Angebot der MT im Dialog

Um das Online-Angebot der MT im Dialog uneingeschränkt nutzen zu können, müssen Sie sich einmalig mit Ihrer DVTA-Mitglieds- oder Abonnentennummer registrieren.

Stellen- und Rubrikenmarkt

Möchten Sie eine Anzeige in der MT im Dialog schalten?

Stellenmarkt
Industrieanzeige