Neues Verfahren zum präziseren Berechnen der Protonendosis

Tumortherapie
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Vorteil der höheren Präzision und verkleinerten Reichweite-Unsicherheit
Vorteil der höheren Präzision und verkleinerten Reichweite-Unsicherheit: Der mit dem DirectSPR-Verfahren angefertigte Bestrahlungsplan (links) weist im Vergleich zum bisherigen Verfahren eine deutliche Dosis-Reduzierung im um den Tumor befindlichen gesunden Gewebe (rechts, blauer Bereich im Dosis-Differenzbild). Dies besteht zum Großteil aus Hirngewebe, aber auch Sehnerven (gelb) und Hirnstamm (pink). Zusätzlich kann im an den Hirnstamm angrenzenden Tumor-Bereich eine höhere Dosis verabreicht werden (rechts, roter Bereich). Die kleinere Reichweite-Unsicherheit führt dazu, dass weniger Kompromisse in diesem Bereich notwendig sind. © OncoRay / Christian Hahn, Nils Peters
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Am heutigen Dienstag (23. April) beginnt eine neue Epoche der Bestrahlungsplanung in der Universitäts Protonentherapie Dresden des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus: Ein neues Berechnungsverfahren erhöht Präzision und Sicherheit.

Ein neues, weltweit erstmals in die klinische Anwendung eingeführtes Verfahren erhöht Präzision, Sicherheit und wahrscheinlich auch Verträglichkeit der Protonentherapie. Das Berechnungsverfahren wurde von Medizinphysikern des Dresdner OncoRay-Zentrums, des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf sowie des in Heidelberg ansässigen Deutschen Krebsforschungszentrums entwickelt und umfangreich validiert. Gemeinsam mit Radioonkologen wurden dessen klinische Vorteile untersucht. Mit der „DirectSPR“ genannten Methode lässt sich die Protonen-Reichweite im menschlichen Gewebe viel genauer und für jeden Patienten individueller vorhersagen. Die Dresdner Forscher konnten zeigen, dass sich damit das Volumen des unmittelbar am Tumor gelegenen, mitbestrahlten gesunden Gewebes um 35 bis 40 Prozent reduzieren lässt. Die seit über 30 Jahren praktisch unveränderte Reichweite-Genauigkeit wird damit erstmals und sogleich deutlich verbessert. Davon profitieren jetzt zuerst die Dresdner Patienten.

Herausforderung der Berechnung der Bremswirkung

Protonen besitzen für die Krebstherapie besonders günstige Eigenschaften, da sie einen Großteil ihrer Energie genau in dem Moment ihres Stoppens im Körper entfalten. Dank dieser Eigenschaft lässt sich vor allem das gesunde Gewebe besser schonen. Allerdings stehen die Medizinphysiker vor der Herausforderung, die bremsende Wirkung der unterschiedlichen Gewebearten zu ermitteln, die die Protonen auf dem Weg zum Tumor durchdringen. Dazu nutzen sie bisher meist die Aufnahmen eines herkömmlichen Computertomografen (CT), die sich aus zahlreichen Schnittbildern zusammensetzen. Da sich die Röntgenstrahlung des CTs im menschlichen Gewebe aber anders verhält, als die zur Bestrahlung eingesetzten Teilchen, lässt sich das Bremsverhalten der Protonen und damit ihre Gesamtreichweite nur mit begrenzter Genauigkeit vorhersagen. Aus diesem Grund muss ein Sicherheitssaum aus gesundem Gewebe um den Tumor mitbestrahlt werden, um sicherzustellen, dass das Krebsgewebe trotz dieser Unsicherheit vollständig bestrahlt wird. Dieser Saum beträgt bisher beispielsweise bei einem Tumor der Prostata bis zu 12 Millimeter. Dieses Konzept der Berücksichtigung der Reichweiteunsicherheit in der Protonentherapie ist seit den 1980er Jahren weltweit Standard. Auch die Größe der Sicherheitssäume blieb seitdem praktisch unverändert.

Nutzung der Dual-Energy-Computertomografie

Mit der Nutzung der eigentlich für die radiologische Diagnostik entwickelten Dual-Energy-Computertomografie (DECT), bekommen Medizinphysiker deutlich aufschlussreichere Daten, um die Bestrahlungen mit Protonen zu planen. „Die Reichweite der Protonen war bislang im Patienten nur mit einigen Millimetern Unsicherheit vorhersagbar“, erklärt Dr. Christian Richter, Leiter der Forschungsgruppe „Hochpräzisionsstrahlentherapie“ am Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR), das neben dem Universitätsklinikum Dresden und der Technischen Universität Dresden zu den drei Trägern des OncoRay-Zentrums gehört. „Uns fehlte bisher eine Technologie, um die individuellen Parameter zu ermitteln, die für die Protonenbremsung in unterschiedlichen Geweben wichtig sind. Mit dem DirectSPR-Verfahren, das auf der DECT basiert, können wir das viel genauer. Jetzt können wir Unterschiede in der Gewebezusammensetzung in verschiedenen Patienten, aber auch in unterschiedlichen Geweben im selben Patienten viel besser auflösen und bei der Planung berücksichtigen. Damit wird die Bestrahlung präziser, schonender und individueller.“

Zwei CT-Aufnahmen

Das DECT-Verfahren liefert für die Bestrahlungsplanung jeweils zwei CT-Aufnahmen, die mit unterschiedlichen Röntgenenergien erzeugt werden. Daraus lassen sich deutlich mehr Informationen über das Gewebe ableiten als bei der bisherigen Standardmethode zur Berechnung der Reichweite des Protonenstrahls. Dennoch werden die Patienten beim DECT-Verfahren keiner höheren Dosis an Röntgenstrahlen ausgesetzt. Der Unterschied besteht lediglich darin, dass sie zweimal bei jeweils niedrigeren Röntgendosen durch den Computertomografen geschoben werden.

Vorteil ist klinisch hochrelevant

Die Dresdner Forscher konnten auch belegen, dass der Vorteil zur bisherigen Reichweite- und Dosisberechnung nicht nur in der Theorie besteht, sondern dass er klinisch hochrelevant ist. „Wir haben gesehen, dass das umfassend validierte DirectSPR-Verfahren für tiefliegende Tumore eine um vier bis acht Millimeter präzisere Protonenreichweite berechnet als das bisherige Standardverfahren. In dem Moment war uns die hohe klinische Bedeutung dieser Innovation sofort klar“, so Prof. Esther Troost, Direktorin der Klinik und Poliklinik für Strahlentherapie und Radioonkologie des Universitätsklinikums Dresden und Leiterin der Forschungsgruppe „Bildgestützte Hochpräzisionsstrahlentherapie“ am Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf.

Schnellstmöglicher Einsatz beim Patienten

„Die Ergebnisse der Studien sind so eindeutig, dass wir unsere Patienten schnellstmöglich davon profitieren lassen wollten. Die Verringerung des Bestrahlungsvolumens, etwa im Gehirn, ermöglicht uns eine noch bessere Schonung wichtiger Nervenstrukturen, wie des Hirnstamms oder der Sehnerven. So reduzieren wir Nebenwirkungen und machen die Protonentherapie für jeden einzelnen Patienten noch schonender“, ergänzt Prof. Mechthild Krause, ebenfalls Direktorin der Klinik für Strahlentherapie und Radioonkologie des Universitätsklinikums Dresden sowie Direktorin des OncoRay-Zentrums. Konkret bedeutet dies bei der Bestrahlung von Prostatatumoren eine Reduktion des Sicherheitssaumes um rund 35 Prozent, im Gehirn sogar um bis zu 40 Prozent.

Evaluation an echten Patientendaten

Bereits 2015 wurde der dafür erforderliche Berechnungs-Algorithmus von den Heidelberger und Dresdner Forschern entwickelt und optimiert. Mit DirectSPR lässt sich die relative Elektronendichte und die effektive Kernladungszahl individuell in jedem Bildpunkt bestimmen. Daraus wird dann das Bremsvermögen des Gewebes berechnet. Die Abkürzung SPR steht übrigens für „Stopping Power Ratio“. Diese Größe gibt den Energieverlust der Protonen pro Wegstrecke relativ zum Energieverlust in Wasser an.

Wichtige Voraussetzung für die jetzt erfolgende klinische Einführung des DirectSPR-Verfahrens war der ebenfalls weltweit erstmalige Routine-Einsatz der DECT-Scans zur klinischen Bestrahlungsplanung am Universitätsklinikum Dresden im Frühjahr 2015. Damit konnten die Wissenschaftler das Verfahren an echten Patientendaten evaluieren, was vorher nur in Phantomen möglich war. So gewannen sie wertvolle Informationen über die klinische Bedeutung der neuen Methode. Die Ergebnisse haben auch die Industrie überzeugt. So kooperiert die Firma Siemens Healthineers seit 2016 mit den Dresdner Forschern, um das Verfahren auch anderen Protonentherapie-Zentren als Medizinprodukt verfügbar zu machen. Die Produktentwicklung soll auf der Internationalen Fachtagung der European Society for Radiotherapy and Oncology (ESTRO) vom 26. bis 30. April 2019 in Mailand, Italien erstmals international vorgestellt werden.

Zusammenarbeit hat sich bewährt

„Wir wären ohne die sehr gute Zusammenarbeit mit den Ärzten und klinisch tätigen Medizinphysikern im Haus sicher nicht erfolgreich gewesen“, blickt Christian Richter zurück. Die fächer- und institutionenübergreifende Struktur des OncoRay-Zentrums mit den drei Trägern Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf und Technischer Universität Dresden sieht er deshalb als wesentliche Voraussetzung, um Forschungsergebnisse schnell in die klinische Anwendung übertragen zu können. Die enge Kooperation mit dem Heidelberger Institut für Radioonkologie im Nationalen Zentrum für Strahlenforschung in der Onkologie ermöglicht es zudem, Kompetenzen zu bündeln und Projekte zu realisieren, die an einem der Standorte allein nicht umsetzbar wären.

OncoRay:

Das Dresdner OncoRay-Zentrum ist eine institutionenübergreifende Forschungsplattform mit einem besonderen Fokus auf Translationsforschung. Damit ist gemeint, dass Ergebnisse aus der Grundlagenforschung gezielt zum Wohle von Patienten weiterentwickelt und in klinischen Studien getestet werden sollen. Ziel ist es, die Behandlung von Krebserkrankungen durch eine biologisch individualisierte, technologisch optimale Strahlentherapie entscheidend zu verbessern. Hierfür bündelt OncoRay die Stärken der drei Trägerinstitutionen – Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, TU Dresden und Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR).
Rund 80 Wissenschaftler aus aller Welt arbeiten am OncoRay in fachübergreifenden Programmen mit Forschungsschwerpunkten in den Bereichen Medizin, Physik, Biologie und Informationswissenschaften. Herzstück des OncoRay-Forschungsgebäudes ist die Protonenanlage. Seit Ende 2014 werden an der Universitäts Protonen Therapie Dresden (UPTD) Patienten behandelt. Den Wissenschaftlern bietet die Anlage die Möglichkeit, den Einsatz von Protonen in der Krebstherapie patientennah und jenseits kommerzieller Zwänge zu evaluieren und weiterzuentwickeln.

2010 ernannte das Bundesministerium für Bildung und Forschung das Dresdner OncoRay-Zentrum und das Heidelberger Institut für Radioonkologie (HIRO) gemeinsam zum Nationalen Zentrum für Strahlenforschung in der Onkologie (National Center for Radiation Research in Oncology, NCRO). Zusammen verfügen beide NCRO-Standorte über eine auch im internationalen Vergleich hervorragende Infrastruktur und eine einander ergänzende Kompetenz in der Strahlenforschung. In gemeinsamen Projekten arbeiten die Partner eng zusammen. Das HIRO ist eine gemeinsame Einrichtung des Deutschen Krebsforschungszentrums, des Universitätsklinikums Heidelberg, des Heidelberger Ionenstrahl-Therapiezentrums und der Medizinischen Fakultät Heidelberg. (Hochschulmedizin Dresden)

Literatur:

Möhler C, Wohlfahrt P, Richter C, Greilich S: Range prediction for tissue mixtures based on dual-energy CT. Phys Med Biol. 2016 Jun 7; 61 (11): N268-75. DOI: 10.1088/0031-9155/61/11/N268. Epub 2016 May 16.

Wohlfahrt P, Möhler C, Richter C, Greilich S: Evaluation of Stopping-Power Prediction by Dual- and Single-Energy Computed Tomography in an Anthropomorphic Ground-Truth Phantom. Int J Radiat Oncol Biol Phys. 2018 Jan 1; 100 (1): 244-253. DOI: 10.1016/j.ijrobp.2017.09.025. Epub 2017 Sep 18.

Möhler C1, Russ T, Wohlfahrt P, Elter A, Runz A, Richter C, Greilich S: Experimental verification of stopping-power prediction from single- and dual-energy computed tomography in biological tissues. Phys Med Biol. 2018 Jan 9; 63 (2): 025001. DOI: 10.1088/1361-6560/aaa1c9.

Wohlfahrt P, Möhler C, Stützer K, Greilich S, Richter C: Dual-energy CT based proton range prediction in head and pelvic tumor patients. Radiother Oncol. 2017 Dec; 125 (3): 526-533. DOI: 10.1016/j.radonc.2017.09.042. Epub 2017 Oct 16.

Wohlfahrt P, Troost EGC, Hofmann C, Richter C, Jakobi A: Clinical Feasibility of Single-Source Dual-spiral 4D Dual-Energy CT for Proton Treatment Planning Within the Thoracic Region. Int J Radiat Oncol Biol Phys. 2018 Nov 15; 102 (4): 830-840. DOI: 10.1016/j.ijrobp.2018.06.044. Epub 2018 Jul 10.

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