Für Menschen mit Krankheiten, die durch Gendefekte verursacht sind, ist die Gentherapie die einzige Hoffnung auf Heilung. Ein defektes Gen wird in einer solchen Therapie durch ein gesundes ersetzt und so die Ursachen der Krankheit beseitigt, so zumindest die Theorie. Angeborene Immunschwächen, angeborene Blindheit oder Sichelzellanämie wären so behandelbar, aber auch Krebszellen könnten durch genetische Modifikationen unschädlich gemacht werden. In der Praxis musste die viel gelobte Therapie-Methode jedoch viele Rückschläge hinnehmen, momentan sind in Europa nur sechs Gentherapeutika zugelassen.
DNA in die Zelle schleusen
Neben der Herstellung der benötigten Gen-Abschnitte ist eine der größten Hürden, die DNA in die Zelle und an ihre Bestimmungsstelle im Körper zu schleusen. Die wenigen bisher zugelassenen Gentherapeutika verwenden dafür modifizierte Viren. Diese infizieren die Zelle und bringen so DNA ein. Diese Methode birgt jedoch Risiken. Die Viren können eine heftige Immunreaktion hervorrufen. Die Herstellung ist außerdem sehr kostenintensiv und aufwändig.
Forschung an einem neuen System
Die Arbeitsgruppe von Dr. Christian Wölk unter Leitung von Prof. Dr. Andreas Langner am Institut für Pharmazie der MLU forscht daher an einem neuen System, um DNA in Körperzellen zu schleusen. „Nicht-virale Systeme sind sehr attraktiv, weil sie einfach herzustellen sind“, sagt Wölk. Der einzige Nachteil sei, dass ihre Wirkung mit der Zeit nachlasse und sie erneut verabreicht werden müssen. Seine Arbeitsgruppe nutzt Liposomen, eine Art Fettbläschen, welche bereits als Träger für verschiedene Arzneimittel verwendet werden. Mit Nukleinsäuren der DNA bilden sie sogenannte Lipoplexe, die mit der Zellmembran verschmelzen und so ihren Inhalt in die Zelle freilassen.
Vier künstliche Fette entwickelt
Die Pharmazeuten in Halle haben vier künstliche Fette (Lipide) entwickelt, die für den DNA-Transport in Frage kommen. Eines, das Lipid DiTT4, geht nun in die nächste Runde der präklinischen Testphasen. Sind diese erfolgreich, sollen klinische Studien am Menschen folgen. „Die jüngsten Arbeiten waren sehr vielversprechend“, sagt Wölk. Das Lipid schaffe es, Nukleinsäuren zu verkapseln, vor dem Abbau durch Enzyme zu schützen und sehr effizient in Zellen einzuschleusen. Wichtig sei auch, dass kein Co-Lipid benötigt werde, so Diplom-Pharmazeutin Julia Giselbrecht: „Dieser Vorteil ermöglicht eine einfache, reproduzierbare Herstellung, die für spätere Anwendungen in der Praxis notwendig ist.“ Giselbrecht ist zusammen mit Dr. Shashank R. Pinnapireddy von der Universität Marburg Erstautorin der nun veröffentlichten Studie.
Systemische Anwendung wäre möglich
Allerdings gibt es bis dahin noch ein paar Herausforderungen zu meistern. Für zielgenaue Therapien müsste beispielsweise geklärt werden, in welche Zellen DiTT4 seine Ladung abgibt, wenn es direkt in den Körper injiziert wird. Bereits zugelassene Therapien modifizieren die Zellen meist außerhalb des Körpers und spritzen dann die genetisch veränderten Zellen. Die gute Verträglichkeit von DiTT4 mit Blutkomponenten würde jedoch eine systemische Anwendung erlauben, so Giselbrecht.
Wölk zeigt sich daher zuversichtlich, dass die in Halle entwickelten Lipide in Zukunft für Gentherapien verwendet werden. „Wir sind von dem System überzeugt“, so Wölk. Neben der Philipps-Universität Marburg ist auch die Universität Leiden in das Forschungsprojekt eingestiegen. Wölk wird die Forschung zu dem Thema außerdem an der Universität Leipzig aufbauen.
Pinnapireddy SR, et al.: A triple chain polycationic peptide-mimicking amphiphile - Efficient DNA-transfer without co-lipids. Biomaterials Science (2019), DOI: 10.1039/C9BM01093A.
Quelle: Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
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