Die Wissenschaftler entwickelten ein neuartiges Berechnungsverfahren zur Bestimmung der Reichweite des Protonenstrahls und zeigten dessen Gültigkeit für die Anwendung am Patienten. Protonen besitzen für die Krebstherapie besonders günstige Eigenschaften: Sie geben bei richtig gewählter Ausgangsenergie den Großteil ihrer Energie im Tumor ab und kommen kurz darauf zum Stillstand. Damit wird gesundes Gewebe optimal geschützt. Diese Wirkung kommt aber nur voll zum Tragen, wenn die positiv geladenen Wasserstoffkerne exakt an der richtigen Stelle im Körperinneren stoppen.
Dafür müssen die Eigenschaften des vor dem Tumor liegenden Gewebes so genau wie möglich bestimmt werden. Denn das Gewebe bestimmt, wie stark der Protonenstrahl bei seinem Weg durch den Körper abgebremst wird. In der Regel erfolgt die Analyse der Gewebeeigenschaften anhand einer aus zahlreichen Schnittbildern zusammengesetzten Computertomographie-Aufnahme. Die Grundlage für die neuen Berechnungen war die seit 2015 eingesetzte Dual-Energy-Computertomographie. Sie liefert jeweils zwei CT-Aufnahmen, die mit unterschiedlichen Röntgen-Energien erzeugt werden. Daraus lassen sich erheblich mehr Informationen über die Zusammensetzung von Geweben gewinnen als vorher.
Mithilfe der DECT-Aufnahmen von 50 Patienten mit Hirn-oder Prostatatumor konnte nun gezeigt werden, dass bei der bisherigen Berechnungsmethode der Reichweite des Protonenstrahls klinisch relevante Abweichungen auftreten können. „Die Protonen dringen bei tiefliegenden Tumoren etwa vier Millimeter weiter in den Körper ein, als es unsere bisherigen Berechnungen voraussagen“, erklärt Dr. Christian Richter, Leiter der Gruppe „Hochpräzisionsstrahlentherapie“ am OncoRay-Zentrum und am Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf.
Das neue Berechnungsverfahren zur Auswertung der DECT-Bilder stammte von Forschern des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ). Dieser Algorithmus ermöglicht es, das Bremsvermögen des Gewebes in jedem Bildpunkt zu bestimmen. In umfangreichen Untersuchungen konnten die Forscher beider Institutionen nachweisen, dass das Verfahren auch in realen Bedingungen im menschlichen Gewebe sehr genau und verlässlich funktioniert. „Damit können wir den Tumor ab sofort noch zielgenauer bestrahlen. Dadurch, dass der Strahl durch die verbesserte Planung weniger tief in den Körper eindringt, wird zudem noch weniger gesundes Gewebe hinter dem Tumor mitbestrahlt“, erklärt Prof. Mechthild Krause, Leiterin der Protonentherapie und Direktorin des OncoRay-Zentrums. Rund Dreiviertel der Patienten profitieren von diesen Erkenntnissen an der Dresdner Protonentherapie.
Neuer Prototyp in 2018
Es konnte weiter gezeigt werden, dass in der individuellen Gewebezusammensetzung einzelner Patienten therapierelevante Unterschiede bestehen, die mit der bisherigen Standardmethode nicht erfasst werden. Um die Therapie noch passgenauer auf den Patienten zuzuschneiden, soll das neue Berechnungsverfahren zukünftig die Standardmethode ersetzen. 2018 folgt an der Dresdner Protonentherapie ein mit Siemens entwickelter Prototyp, der den neuen Algorithmus klinisch anwendbar macht.
„Mit diesem Verfahren wird unsere Bestrahlungsplanung dann so genau sein, dass wir das Zielgebiet bei der Bestrahlung mit Protonen noch weiter verkleinern können. Denn um den Tumor wird immer ein Sicherheitssaum aus gesundem Gewebe mitbestrahlt, um sicherzugehen, dass auch wirklich alle Tumorzellen von den Strahlen getroffen werden. Bei einem Tumor in 25 Zentimetern Tiefe beträgt dieser Sicherheitssaum derzeit etwa zehn Millimeter. Auf Grundlage der neuen Berechnungsmethode können wir den Saum deutlich verkleinern“, erklärt Dr. Richter. „Gerade bei der Bestrahlung von Tumoren in sehr sensiblen Regionen wie im Gehirn können wenige Millimeter ausschlaggebend sein, um schwerwiegende Nebenwirkungen, die durch die Bestrahlung hervorgerufen werden können, zu vermeiden“, sagt Prof. Krause. (idw, red)
Wohlfahrt, Möhler, Hietschold, Menkel, Greilich, Krause, Baumann, Enghardt, Richter (2016): Clinical Implementation of Dual-energy CT for Proton Treatment Planning on Pseudo-monoenergetic CT scans. International Journal of Radiation Oncology*Biology*Physics 97, 427–434.
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