Gesamtkonzept gegen Pflegebedürftigkeit gefordert
Dem Thema Fachkräftemangel widmet sich in diesem Jahr auch der Sachverständigenrat Gesundheit und Pflege. Unter dem Titel „Fachkräfte im Gesundheitswesen – Nachhaltiger Einsatz einer knappen Ressource“ stellte bereits im Frühjahr das von der Bundesregierung berufene Gremium ein 300-seitiges Dokument mit Empfehlungen vor. Viele davon betreffen auch die geriatrische Versorgung. DGG-President-elect Prof. Michael Denkinger hat sich das Paper entsprechend genauer angesehen.
Michael Denkinger kommentiert: „Im Gutachten des Sachverständigenrats 2024 finden sich Empfehlungen, die auf die Vermeidung von Pflegebedürftigkeit abzielen und absolut richtig den Wert von Skilled Nursing, Primärarztsystemen und geriatrischer Expertise betonen.“ Herausgestellt würden zudem auch die Notwendigkeit, mehr Forschung zu Multimorbidität und Multimedikation zu ermöglichen, so der Ärztliche Direktor der Agaplesion Bethesda Klinik und Leiter des Instituts für Geriatrische Forschung der Universitätsklinik Ulm. Ebenso sei der Fokus auf rehabilitative und präventive Ansätze, ohne den Trigger Akutereignis, lobend zu erwähnen. „Allerdings“, betont Denkinger, „wird all das nicht ausreichen, um den ‚Silver Tsunami‘ mit geschätzt 1,5 Millionen Pflegebedürftigen bis 2050 in Deutschland zu bewältigen. Man hat den Elefanten im Raum ein wenig übersehen!“
Gutachten fokussierten sich zu sehr auf Primärprävention
Viele Textpassagen im Gutachten fokussierten sich auf die Primärprävention, kritisiert der kommende DGG-Präsident. Prävention müsse aber auch sekundär und tertiär und bereits vor und direkt nach dem Akutereignis im Krankenhaus selbst beginnen – auch in den Level-2- und Level-3-Krankenhäusern. „Hierzu findet sich im Gutachten praktisch nichts“, kritisiert Denkinger. „Somit werden geriatrische Patientinnen und Patienten weiterhin nicht frühzeitig triagiert, bevor eine Maximalintervention beziehungsweise -diagnostik geschieht, wie zum Beispiel direkt im Anschluss an eine Bauchoperation, einen Herzinfarkt oder eine Schenkelhalsfraktur.“
Dabei könne die Geriatrie mit ihrem einzigartigen team- und funktionsorientierten Konzept auf Basis des geriatrischen Assessments die Triage zwischen Prävention, Akuttherapie, Reha und Palliation koordinieren und damit Unter- und Überversorgung vermeiden. „Dafür müssen wir Geriater bereits in den Notaufnahmen eingebunden werden“, fordert Denkinger.
Evidenzbasiert und gemeinschaftlich gegen die Pflegebedürftigkeit
Besonders die Geriatrie habe in den letzten Jahren mit Tools wie der S3-Leitlinie „Umfassendes Geriatrischen Assessment“, Cochrane Reviews oder Guidelines der American Society of Clinical Oncology (ASCO) gezeigt, wie man als Fachgebiet erfolgreich evidenzbasiert arbeitet. „Seien wir also mutig, es jetzt auch strukturell anzupacken“, motiviert Michael Denkinger.
Zur Umsetzung von wirksamen Maßnahmen in Krankenhäusern und Pflegeheimen würden dafür neben der akademischen Pflege auch Fachkräfte aus Therapie und Geriatrie benötigt. „Und auf Basis der ambulant geriatrischen Zentren könnten regional, ebenfalls mit der Pflege und der hausärztlichen Medizin, wirksame präventive Hausbesuchskonzepte und ambulante Rehabilitation entstehen – als Gesamtkonzept und Bollwerk gegen Pflegebedürftigkeit“, so die Vorschläge Denkingers.
Quelle: DGG
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