Ethikrat präsentiert Empfehlungen zur Bekämpfung künftiger Pandemien
Der Rat hat den Verlauf der COVID-19-Pandemie sowie die Strategien und Maßnahmen, die in Deutschland zu ihrer Bewältigung ergriffen wurden, untersucht und Fehler sowie Fehlentscheidungen benannt. „Maßnahmen gegen eine Pandemie müssen demokratisch legitimiert, ethisch gut begründet und zugleich gesellschaftlich akzeptabel sein“, betonte die Vorsitzende des Deutschen Ethikrates Alena Buyx. Die Entwicklung einer nachhaltigen Strategie zur Bewältigung zukünftiger Pandemien müsse auf einer kritischen Analyse systemischer Mängel, dysfunktionaler Organisationsformen und ungeeigneter Verfahren aufbauen, mahnte die Sprecherin der zuständigen Arbeitsgruppe des Ethikrates Sigrid Graumann.
Vulnerabilität und Resilienz
Das Begriffspaar Vulnerabilität und Resilienz habe dabei besondere Bedeutung. „Der Ethikrat entfaltet ein differenziertes Verständnis von Vulnerabilität. Dieses anerkennt als Erstes, dass Verwundbarkeit und Verletzlichkeit zur Grundverfassung der menschlichen Existenz schlechthin gehören“, betonte Andreas Lob-Hüdepohl, stellvertretender Arbeitsgruppen-Sprecher. „Demzufolge gibt es zwar gute Gründe, in der Krise einer Pandemie einzelne Menschen oder bestimmte Personengruppen als besonders vulnerabel einzustufen. Daraus kann dann etwa ein Anspruch auf spezielle Solidarität abgeleitet werden. Allerdings bleiben auch alle anderen Menschen verletzlich.“
Kinder, Jugendliche, Auszubildende und Studierende vernachlässigt
Wenn sie nicht besonders verletzbar durch die Krankheit selbst seien, träfen und verletzten sie möglicherweise die negativen Folgen der zur Eindämmung der Pandemie ergriffenen Maßnahmen. Dies betreffe beispielweise Kinder, Jugendliche, Auszubildende und Studierende. Sie hätten ein viel geringeres Risiko als ältere und vorerkrankte Menschen, schwer an COVID-19 zu erkranken, litten aber besonders unter Einschränkungen ihrer Ausbildungswege und ihres Soziallebens. Dennoch sein ihnen erhebliche Einschränkungen dieser Art während der Corona-Krise auferlegt und mit der Rücksichtnahme auf Ältere gerechtfertigt worden. Die Beachtung der ganz unterschiedlichen Formen von Vulnerabilität könnte hier zukünftig auch eine gezieltere Förderung von Resilienz ermöglichen.
„Die Folgen der Pandemie und ihrer Bewältigung betreffen zwar alle, aber eben nicht alle in gleicher Weise“, betont Buyx. Deshalb kämen auch Aspekte der Gerechtigkeit ins Spiel. Kriterien für die gerechte Verteilung von knappen Impfstoffen oder intensivmedizinischen Ressourcen seien aber ebenso wichtig wie Maßnahmen der Kompensation für besondere pandemiebedingte Belastungen.
Internationale Gerechtigkeit
Künftig sollten nach Auffassung der Fachleute auch Fragen der internationalen Gerechtigkeit einbezogen werden, wenn es etwa darum gehe, welche Solidarität wohlhabendere Länder weniger wohlhabenden bei der Bewältigung der Pandemie schuldeten.
Konkrete Empfehlungen
Aus seinen Überlegungen leitet der Deutsche Ethikrat am Ende seiner Stellungnahme eine Reihe konkreter Empfehlungen für Güterabwägungen im Kontext von Pandemien ab. Sie betreffen beispielsweise den Umgang mit Unwissen und Ungewissheit, die insbesondere zu Beginn der Pandemie politische Entscheidungen erschwert haben. Gefordert werden weiterhin verbesserte Kommunikations- und Informationsstrategien sowie die Einbeziehung von Menschen mit eingeschränkten Partizipationsmöglichkeiten in die sie betreffenden Entscheidungen. Aus demokratietheoretischer Perspektive spricht sich der Ethikrat für die Förderung von Eigenverantwortung, Solidarität und gesellschaftlichem Zusammenhalt aus. Das Potenzial von Maßnahmen, gesellschaftliche Spaltungen zu befördern, sollte zukünftig systematisch in Entscheidungen berücksichtigt werden.
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