Pandemie: Wirksamkeit von Interventionen testen
Seit Ausbruch der Corona-Pandemie muss man sich weltweit auf die Akzeptanz nicht-pharmazeutischer Interventionen verlassen, wie das Tragen von Masken oder Abstandhalten, die während der gesamten Pandemie unsere Sicherheit erhöhen konnten. Diese Maßnahmen spielen selbst nach dem Einsatz von Impfstoffen weiterhin eine wichtige Rolle. Wissenschaftlich ist belegt, dass Masken und körperliche Distanz die Verbreitung des Virus eindämmen können. Bei diesen Maßnahmen stehen jedoch individuelle Eigeninteressen – der Wunsch nach einem sozialen Leben, die Unannehmlichkeit des Tragens einer Maske – dem Gemeinwohl entgegen. Um gefahrlos die Wirksamkeit von Gesundheitsmaßnahmen untersuchen zu können und die Übertragungsdynamik von Viren zu simulieren, entwickelten Wissenschaftler/-innen der University of Plymouth, UK, der IESE Business School in Spanien und des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung nun ein spielerisches Online-Experiment.
Übertragung eines Virus simulieren
Die internationale Studie aus Deutschland, Großbritannien und Spanien konnte zeigen, dass es möglich ist, die Effektivität von Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung zu testen. Insgesamt 700 US-Amerikaner/-innen spielten Varianten eines Online-Spiels für jeweils 100 Mitspieler/-innen, in denen die Übertragung eines Virus simuliert wurde. Die Forsche entwickelten einen neutralen Forschungsrahmen, ohne die Erwähnung von Masken, Maßnahmen oder medizinischen Begriffen. Sie entwickelten ein Spiel, das drei zentrale Elemente einer Pandemie umsetzt: das schwierig vorherzusehende Potenzial für exponentielles Wachstum in Fallzahlen, das soziale Dilemma zwischen Eigennutz und kollektivem Risiko und die Akkumulation von kleinen Übertragungsrisiken.
Punkte als Belohnung
100 Spieler/-innen starten dieses Spiel im blauen Zustand (gesund), bevor acht Spieler/-innen zufällig ausgewählt werden und sich in einem ersten Ausbruch violett (infiziert) verfärben. Im gesamten Spielverlauf kennen die Spieler ihre eigene Farbe nicht. In 25 Runden wählen sie jeweils zwischen zwei möglichen Handlungen: G (die sicherere Alternative mit einer möglichen Belohnung von acht Punkten, stellvertretend für das Tragen von Masken oder Abstandhalten) und H (die riskantere Alternative mit einer möglichen Belohnung von 40 Punkten). Die mögliche Belohnung steht stellvertretend für das persönliche Wohlbefinden, beziehungsweise das eigennützige Interesse.
Bezahlung steigt mit den gesammelten Punkten
Spieler, die zufällig mit einem violetten Spieler gepaart werden, laufen Gefahr, selbst violett zu werden, mit einer Übertragungswahrscheinlichkeit zwischen 0,05 und 0,25. Das bedeutet, dass bei 20 Begegnungen im Schnitt zwischen einer und fünf Übertragungen passieren, je nach gewählter sicherheitsvorkehrender Aktion. Dieser Wahrscheinlichkeitswert wird von der Wahl der Handlungsalternativen (G oder H) von beiden Spielern bestimmt. Nach 25 Runden erhalten nur jene Spieler eine finanzielle Belohnung, die bis zum Ende blau, also „gesund“ geblieben sind. Wenn also mehr Spieler „infiziert“ werden, erhalten weniger eine Bezahlung. Die Höhe der Bezahlung steigt mit den gesammelten Punkten.
Wirksamkeit von fünf Interventionen getestet
In der Studie wurde die Wirksamkeit von fünf Interventionen zur Verringerung von Risikoverhalten im Vergleich zu einer Situation ohne Intervention getestet. Die Interventionen, die mit einer moralischen Botschaft verbreitet wurden, erwiesen sich als am effektivsten. Die Durchführung von zahlreichen Spieldurchläufen mittels Computersimulation oder die Darstellung der möglichen Konsequenzen einer anfänglichen Infektion zeigten ebenfalls Erfolg. Hingegen erwies sich die Präsentation von erwarteten Fallzahlen für die aktuelle Runde als ineffektiv: Teilnehmer schienen nicht in der Lage, das exponentielle Wachstum der Übertragungen vorauszuahnen. Es mag überraschen, dass Informationen über die Handlungen anderer (beispielsweise die Beschreibung, wie oft andere Masken trugen) im Experiment sogar zu einer höheren Risikobereitschaft und zu damit verbundenen negativen Konsequenzen führte. An dieser Stelle ist es wichtig zu betonen, dass der neutrale Kontext hier verhindern konnte, dass dieses Ergebnis realweltliche Gesundheitskonsequenzen haben konnte.
Konsequenzen für reale Bedingungen
Die Ergebnisse zeigen, dass nichts so effektiv ist, wie die Kommunikation einer klaren Regel in Kombination mit einer überzeugenden moralischen Begründung. Sie deuten auch darauf hin, dass manche Personen sich selbst und andere trotz allem immer aus eigennützigem Interesse einem Risiko aussetzen. Gleichzeitig gibt es aber eine deutliche Anzahl von Menschen, die mit der richtigen Intervention davon überzeugt werden können, weniger Risiken einzugehen. Das erlangte Wissen aus dem beobachteten Verhalten während des Simulations-Experiments kann Konsequenzen für reale Bedingungen haben: die Verlangsamung der Übertragung des Virus sowie die Entlastung von Gesundheitssystemen.
Hilfsmittel zur besseren Akzeptanz
„Nichtpharmazeutische Interventionen – so wie das Tragen von Masken, das Einhalten von Abstand oder die Reduzierung von Kontakten – benötigen weitreichende Verhaltensänderungen. Die Verhaltenswissenschaften bieten Hilfsmittel an, um die individuelle Akzeptanz der Maßnahmen zu verbessern. Die relative Effektivität dieser Methoden wurde hingegen selten in kontrollierten, experimentellen Szenarios getestet, die die Dynamik von Virusausbrüchen reflektieren. Was an diesem Forschungsrahmen besonders hervorzuheben ist, ist die Tatsache, dass er es ermöglicht, Interventionen auf sichere Weise zu testen, bevor sie mit möglichen gesundheitlichen Folgen für die Teilnehmenden tatsächlich umgesetzt werden“, erklärt Jan Woike, Associate Research Scientist am Forschungsbereich Adaptive Rationalität am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung und Erstautor der Studie.
„Die nächste Corona-Variante oder die nächste Pandemie warten möglicherweise in der Zukunft. Politische Entscheider/-innen müssen wissen, welche Interventionen am effektivsten sind, um sozial vorteilhaftes Verhalten zu verstärken. Dieses Forschungsprojekt ist ein Schritt in die Richtung, diese Frage ohne Gefährdung der Teilnehmenden zu beantworten“, so Jan Woike weiter.
Quelle: idw/Max-Planck-Institut für Bildungsforschung
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