Alkohol: Schüttet die EU das Kind mit dem Bade aus?
„Während Alkohol in Getränken der Gesundheit schaden kann, ist er für die Herstellung von Arzneimitteln und Medizinprodukten sowie im Bereich der Hygiene unverzichtbar“, sagt Dr. Kai Joachimsen, Hauptgeschäftsführer beim Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie e.V. (BPI), mit Blick auf die neue Risikoeinschätzung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE). Ein aktuelles Verfahren der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) zur Risikoeinstufung von Ethanol könnte nun laut BPI dazu führen, dass der Einsatz von Ethanol in Produkten wie Desinfektionsmitteln sowie in Produktionsprozessen verboten wäre. Doch die verschärfte Einstufung ergebe sich ausschließlich aus vorhandenen Daten zur oralen Aufnahme von Ethanol.
Zulassung bei Mitteln zur Händehygiene gefordert
Wie die COVID-19-Pandemie gezeigt habe, sei das medizinische Personal in Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen, Praxen und Apotheken genauso auf wirksame Desinfektionsmittel mit Ethanol angewiesen, wie Patientinnen und Patienten. Auch deshalb hätten jüngst nahezu 30 internationale medizinische Fachverbände und Expertenausschüsse darauf gedrängt, dass Ethanol als Wirkstoff in Mitteln zur Händehygiene weiterhin uneingeschränkt zugelassen wird. Diese Empfehlung unterstützt auch der BPI. In vielen Fällen, wie etwa bei Desinfektionsmitteln, gelange Ethanol nur in sehr geringen Mengen in den Stoffwechsel, da die Aufnahme über die Haut (dermal) verschwindend gering sei, so der BPI. „Hier werden Äpfel mit Birnen verglichen“, so Joachimsen. Eine der effektivsten Schutzmaßnahmen vor bakteriellen und viralen Infektionen sei nachweislich die Händedesinfektion sowie die Oberflächendesinfektion mit Ethanol. Insbesondere für den Schutz von Personen mit geschwächtem Immunsystem (zum Beispiel Patientinnen und Patienten nach Transplantationen, Seniorinnen und Senioren) seien Ethanol-basierte Desinfektionsmittel besonders sicher, wirksam und daher unabdingbar. Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) liste Ethanol als unverzichtbaren Wirkstoff, betont der BPI. In der Hygiene werde zudem vergällter Alkohol eingesetzt und damit einer möglichen oralen Aufnahme entgegengewirkt. „Würden ethanolhaltige Desinfektionsmittel verboten werden, hätte das verheerende Folgen für den Infektionsschutz und ist ungerechtfertigt. Gerade als Arzt weiß ich, wie wichtig der Infektionsschutz und die Krankenhaushygiene ist“, sagt Joachimsen.
Verwendung bei Arzneimittelherstellung
Ethanol habe darüber hinaus in der Arzneimittelherstellung wichtige Funktionen und Vorteile. Hier werde er in erster Linie als Trägerstoff, Konservierungsmittel und zur Extraktion unter anderem für Wirkstoffe, ätherische Öle und andere Stoffe, die nicht in Wasser löslich sind, verwendet. Ethanol habe Eigenschaften, die maßgeblich zur Wirksamkeit eines Arzneimittels beitragen, wobei nur geringste Mengen dafür nötig seien. Gerade im Bereich der pflanzlichen Arzneimittel sei Ethanol nicht wegzudenken, denn Alkohol sei einer der wichtigsten Stoffe bei der Gewinnung von Extrakten. Zudem trage er wesentlich zu Stabilität, Haltbarkeit und Herstellbarkeit von Medikamenten bei. Der Einsatz von Ethanol in den Produktionsprozessen sei oft alternativlos. „Ganz wichtig zu erwähnen ist, dass Ethanol in Arzneimitteln in aller Regel nur in Kleinstmengen vorkommt“, sagt Joachimsen. „Experten haben das einmal sehr anschaulich erklärt: Demnach enthalten 20 Tropfen einer 50-prozentigen alkoholischen Lösung weniger Alkohol als 100 Gramm Fruchtsaft oder Roggenbrot.“
„Die vorliegenden Daten zum Gefährdungspotential von Ethanol als Genussmittel sind nicht auf die Bewertung von Ethanol als Wirkstoff in Desinfektionsmitteln und Arzneimitteln übertragbar. Fazit: Ethanol ist in diesem Fall eben nicht gleich Ethanol und das muss bei jeder Risikobewertung beachtet werden“, betont Joachimsen.
Quelle: BPI
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