Und wieder Palladium

Was hat Klimaschutz mit der Geschichte der Röntgenröhre gemeinsam?
Efim Flom
Titelbild zum Beitrag über die Geschichte der Röntgenröhre und deren Zusammenhang mit dem Klimaschutz
Abb. 1: Die Palladium-Nanopartikel (grün) werden durch einen Kern aus Iridium (rot) stabilisiert. Auf ihrer Oberfläche kann sich Wasserstoff wie eine Art Schokoladenglasur anlagern – und durch Erwärmen wieder abgelöst werden. © DESY, Andreas Stierle
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Kurz vor dem Jahreswechsel 2021/22 hatten die deutsche und internationale Presse erfreuliche Nachrichten für diejenigen, denen das Problem des Klimawandels nicht gleichgültig ist. Es ging um die neuesten Forschungsergebnisse zur Speicherung von Wasserstoff, der als Energieträger der Zukunft gesehen wird.

Die Nachricht kam aus dem DESY – Das Deutsche Elektronen-Synchrotron – ein Forschungszentrum für naturwissenschaftliche Grundlagenforschung mit Sitz in Hamburg und Zeuthen. Die meisten Schlagzeilen bestanden aus den Wörtern „Nanoteilchen“, „Nano-Pralinen mit Palladium“, „Nano-Schokolade, die Wasserstoff speichert“ u. ä. [1, 2].

Ein Zitat aus dem DESY-Originalartikel: „An DESYs Röntgenlichtquelle PETRA III ließ sich verfolgen, was beim Kontakt der Palladium-Teilchen mit Wasserstoff passiert: Der Wasserstoff bleibt im Wesentlichen an ihren Oberflächen haften – in das Innere der Klümpchen dringt kaum etwas ein. Bildlich gesprochen ähneln diese Nanoteilchen einer Praline: In der Mitte befindet sich eine Iridium-Nuss, umhüllt von einer Marzipanschicht aus Palladium, ganz außen folgt als Schoko-Überzug (sic!) der Wasserstoff. Zur Entladung des Speichers reicht eine leichte Erwärmung: Da die Gasmoleküle sich nicht den Weg aus dem Inneren bahnen müssen, löst sich der Wasserstoff rasch von der Teilchen-Oberfläche (sic!) ab“ [1].

Es geht um die Eigenschaft des Palladiums und anderer Metalle, zum Beispiel Platin oder Nickel, die Wasserstoff in großen Mengen aufnehmen, wie ein Schwamm aufsaugen und bei höheren Temperaturen freisetzen. Diese Eigenschaft haben die französischen Chemiker H. Sainte-Claire Deville und L. Troost 1863 entdeckt („Porosität des Platins bei höheren Temperaturen“ – Bericht in der Zeitschrift Analytical and Bioanalytical Chemistry, 1863. Der bekannte britische Chemiker und Physikochemiker Thomas Graham hat sie um 1868 bis 1869 weiter erforscht.

 

Circa 35 Jahre später, nach der Entdeckung der Röntgenstrahlen im November 1895 und der Weiterentwicklung von Röntgenröhren, hatte diese Palladiumeigenschaft – Wasserstoffdurchlässigkeit von Palladiumdraht, Wasserstoffaufnahme und Freisetzung beim Erwärmen – eine neue praktische Verwendung gefunden.

Ionen-Röntgenröhren, die man damals verwendete, waren von 10-2 bis 10-3 mmHg luftevakuiert. Luftionen sind hier wichtige Ladungsträger, die durch Stoßionisation mit der Kathode mehrere freie Elektronen erzeugen. Elektronen wiederum, beschleunigt durch mehrere Kilovolt Spannung, treffen auf ihrem Weg zur Anode auf die Antikathode und erzeugen Röntgenstrahlung. Die Strahlungsenergie ist unter anderem vom Material der Antikathode abhängig. Außerdem wird diese beim Betrieb sehr heiß. Verdampftes Metall bindet die Luftionen, das Vakuum verändert sich und die Röntgenröhre wird härter. Für die Erzeugung der Röntgenstrahlen werden immer höhere Spannungen erforderlich. Um die Röhre wieder weicher zu bekommen, braucht man die Regeneratoren. Eine große Rolle spielten die „Regeneriervorrichtungen“ – ein an der Röntgenröhre angeschmolzenes kleines Glasrohr, das im Innern etwas Phosphor oder Ätzkali (Kaliumhydroxid) enthält und durch Erhitzung mittels einer Spiritusflamme oder eines Streichholzes kleine Gasmengen an das Vakuum der Ionenröhre abgibt.

 

Paul U. Villard und Victor Chabaud haben sich dies 1899 in Deutschland unter „Verfahren zur Druckregulierung in Röntgenröhren“ patentieren lassen. Paul Ulrich Villard war ein französischer Physiker und Chemiker, der 1900 bei Arbeiten an Radium die Gammastrahlung entdeckt hat. Victor Chabaud war ein Pionier der Röntgenröhrenindustrie in Frankreich.

Das Patent beschreibt ein dünnwandiges Glasröhrchen, das seitlich am Entladungsrohr angeschmolzen und nur nach innen offen war und in das „in erhitztem Zustand mit Wasserstoff durchlässigen Metall, wie z. B. Platin, Platinirridium, Palladium, Nickel und Eisen eingeschmolzen oder eingedichtet wird.“ Beim Erhitzen mit einem Spiritusbrenner trat etwas Wasserstoff durch die Wände des Röhrchens ins Innere ein.

Osmo-Regulierungsmethode

Die Wirkung der Regeneriervorrichtungen war begrenzt, und man durfte sie nicht etwa während einer Röntgenaufnahme in Gang setzen, weil ein Erweichen der Röhre zugleich eine Positionsveränderung des Fokus bedeutete. Diese Art der Regulierung – Osmo-Regenerierung (Osmose-Diffusion des Wasserstoffes in die Röntgenröhre) – ist in Deutschland vom Unternehmen Emil Gundelach eingeführt worden.

1916 hat der Radiologe Dr. Hermann Wintz, später berühmter Professor, Gynäkologe, Strahlentherapeut und Direktor der Universitäts-Frauenklinik Erlangen, diese Osmo-Regulierungsmethode automatisiert. Die Härteschwankungen (geminderte Stromstärke) der Röhre hat man damals mit einem Milliamperemeter gemessen. Beschreibung von Dr. Wintz: „Sobald im Betrieb die Röhre härter wird, wird auch der Röhrenstrom und mit ihm das Milliamperemeter sinken und das Relais schliesst (sic!) den Stromkreis für die Betätigung der Gaszuleitung; das Palladiumstäbchen wird erhitzt. Die Röhre zieht nun Wasserstoff ein, aber nur eben so lange das Milliamperemeter nicht über 3 steigt. Sowie die Zahl erreicht ist, hört der Kontakt auf, die Gasleitung ist wieder geschlossen. Es wiederholt sich genau parallel den Gasschwankungen in der Röhre die Einschaltung der Osmoregulierung“ [3]. Den Regenerierautomat nach Wintz hat die Firma Reiniger, Gebbert & Schall in Erlangen hergestellt.

 

Osmo-Regulierung, zusammen mit anderen Regulierungsmethoden, hat die Lebensdauer der Ionen-Röntgenröhren verlängert und bis in die 20er-Jahre des 20. Jahrhundert vielen Radiologen für die Diagnostik und Röntgentherapie gedient und so mehrere Menschenleben gerettet.

Dieses Beispiel aus der Geschichte der Radiologie zeigt, wie europäische Wissenschaft, Forschung und Handwerk Probleme lösen können. Instrumente, die moderne Wissenschaftler zur Verfügung haben: Forschungsanlagen, Computeranalyse, in wenigen Sekunden abrufbare, weltweite wissenschaftliche Erkenntnisse, menschliche Ressourcen, sind nicht vergleichbar mit den Möglichkeiten vor 120 Jahren. Aber auch die Herausforderungen sind enorm hoch.


Literatur

1. DESY: Nano-Pralinen speichern Wasserstoff. www.desy.de/aktuelles/news_suche/index_ger.html.
2. Franz D, Schröder U, Shayduk R, et al.: Hydrogen Solubility and Atomic Structure of Graphene Supported Pd Nanoclusters. ACS Nano, 2021; DOI: 10.1021/acsnano.1c01997.
3. Wintz H: Eine automatische Regenerierung der Röntgenröhre. MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT, März 1916.
4. Rieder H, Rosenthal J: Lehrbuch der Röntgenkunde. Band 3, 1922; 298–9.

 

Entnommen aus MTA Dialog 6/2022

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