Manche Leser/-innen dürften sich fragen: Was ist ein Zyklon? Die Bezeichnungen Hurrikan, Zyklon oder Taifun stellen alle das gleiche Wetterphänomen dar, aber die Region, in der er sich bewegt, ist unterschiedlich. Um die Bezeichnungen tragen zu „dürfen“, müssen sie eine Windgeschwindigkeit von mindestens 119 km/h erreichen.
Genauso wie jeder andere, verfolge ich die Nachrichten, wenn ein Wirbelsturm in Richtung Afrika, Mittelamerika oder Asien unterwegs ist. Bei mir ist jedoch immer die Tatsache im Hintergrund, dass ich beim Deutschen Roten Kreuz als Medizinisch-technische Assistentin registriert bin und zusammen mit einem Team eventuell für einen Einsatz angefragt werde.
Anfang April war es dann wieder so weit. Eine Mitarbeiterin der „Sofort-, Not- und Katastrophenhilfe“ rief bei mir an und fragte, ob ich bereit wäre für einen Einsatz in Mosambik. Ich bin zwar in der Regel sehr flexibel, aber in diesem Fall hatte ich einer Freundin versprochen, ihren 15-jährigen Sohn zu einem Schulpraktikum mit nach Ruanda in ein Gesundheitszentrum zu nehmen. Diese Reise konnte und wollte ich auf keinen Fall absagen. Ich teilte dies der Mitarbeiterin mit und sie sagte, dass sie sich wieder melden werde. Schnell habe ich meinen Lebenslauf aktualisiert und im DRK-Internet online gestellt. Ich habe meine ins Englische übersetzten Zeugnisse kopiert und in Folien sortiert. So war alles vorbereitet für den Einsatz, und ich konnte zunächst nach Ruanda fliegen.
In Mosambik war es ein Einsatz eines multikulturellen Teams der Internationalen Föderation des Roten Kreuzes unter kanadischer und finnischer Leitung. Es wäre das erste Mal, dass ich nicht unter deutscher Leitung mit dem Roten Kreuz unterwegs sein würde. Meine Papiere gingen nach Kanada an das dortige Rote Kreuz, das die Auswahl der Mitarbeiter traf. Jetzt hieß es warten, was mir in Ruanda nicht besonders schwerfiel. Ich habe SOPs geschrieben, mit dem „Kleinen“ – der gut 25 cm größer ist als ich – im Labor mitgearbeitet, für die Abteilungen Fließdiagramme erstellt und mich um die Dokumentation des Labors gekümmert.
Wenige Tage vor meiner Rückkehr aus Ruanda hatte ich endlich die Zusage aus Kanada und einen Termin für den Abflug. Am Mittwoch, dem 24. April, sollte es losgehen! Rückreise aus Ruanda war am Mittwoch, dem 17. April, so hatte ich noch eine Woche, um meine Teilnahme an der Jahreshauptversammlung des DVTA und meinen Kurs bei der Bildungsgesellschaft Blut- und Stuhlparasiten in Fulda abzusagen. Dank der Mithilfe meiner Kolleginnen wurde schnell ein sehr guter Ersatz gefunden. Jetzt bereitete ich die Präparate vor, hinterlegte sie in der Missionsärztlichen Klinik an der Pforte, damit Marianne und Andrea sie auf der Fahrt nach Fulda abholen konnten. Ich verschickte die Präsentationen und schon war ich frei für den Einsatz mit dem Deutschen Roten Kreuz (DRK).
Zelte mit Cholerabetten – hier die zentralen Löcher für den Stuhlgang des Patienten
Wie schon erwähnt, sollte ich am 24. April abfliegen, aber nicht von meinem nächstliegenden Flughafen Frankfurt, sondern von Berlin aus. Am Dienstag, dem 23. April, wurde noch eine Sitzung anberaumt, morgens früh um 3 Uhr sollte ich die letzten Informationen von den Kanadiern erhalten. Um 8 Uhr begann dann mein letzter Arbeitstag. Das ging nicht – ich hatte noch Vorbereitungen zu treffen und ich wollte auch nicht total k. o. in Berlin ankommen. Manchmal hilft es auch, wenn die Technik nicht funktioniert. Mein Laptop wollte kein Skype-Gespräch aufbauen.
Dann ging es sehr früh zum Zug, um in der Abteilung Not- und Katastrophenhilfe in Berlin die letzten Anweisungen zu erhalten. Nachdem wir mit allen Informationen versorgt waren, ging es von Tegel über Zürich, Johannesburg nach Beira. Ein Kollege, den ich bereits aus Vorbereitungskursen des DRK kannte, sollte die Technikergruppe verstärken. Er war verantwortlich für die Wasserversorgung des Krankenhauses. Es war schön, nicht alleine fliegen zu müssen. Man konnte sich schon mal über das Projekt austauschen.
In Beira angekommen, holten wir unser Gepäck, eine Kollegin des „Canadian Red Cross“ erwartete uns am Flughafen, um uns durch die Abfertigung zu dirigieren. Wir benötigten noch ein Visum für Mosambik. Dann ging es zum Hotel! Es reihte sich ein „Briefing“ an das andere, wie viele kann ich heute nicht mehr sagen. Ich war einfach nur müde. Man ist eben auch nicht mehr 20! Wir waren das zweite Team, die erste Gruppe sammelte sich schon in Beira, um am nächsten Tag nach Hause zu fliegen. Es wurden beim Abendessen die letzten Informationen ausgetauscht und dann fiel man auch schon übermüdet ins Bett. Wir hatten Glück, wir waren nur zu viert in einem Gang mit sieben Matratzen untergebracht – vor vier Wochen stand den Kollegen/-innen ein Raum mit 40 Betten zur Verfügung. Die Nacht im Matratzenlager war nicht wirklich erholsam, so bekam ich auf der Fahrt nach Nhamatanda die Zerstörung von Beira kaum mit. Sie war am heftigsten betroffen vom Wirbelsturm.
Es ging zwei Stunden Richtung Nordwesten nach Nhamatanda. Endlich waren wir angekommen und konnten uns ein Bild von der Situation vor Ort machen. Dächer waren abgedeckt, Löcher in Wänden, ganze Abteilungen bestanden nur noch aus Zelten. Hier hatte es mal wieder die Hilfsbedürftigsten getroffen. Mosambik zählt zu den zehn ärmsten Ländern der Welt.
Glücklicherweise hatten unsere kanadischen Kollegen ein Hotel mit ausreichend Zimmern gefunden. Die Unterkunft war einfach, jeder hatte ein Zimmer mit Dusche und WC, eine Matratze und einen Ventilator. Bettwäsche wurde vom Hotel gestellt, einen Moskitodom hatte ich mitgebracht. Meine Kleidung blieb vorerst im Koffer.
Wieder gab es Anweisungen über Verhaltensregeln im Krankenhaus und in der Stadt. Bei einer Gruppe von 25 Leuten den Überblick zu behalten, war nicht einfach. Hinzu kam noch, dass wir eine internationale Gruppe waren: Kanadier, Finnen, Norweger, Japaner, Amerikaner und Deutsche. Dabei waren die Kanadier alleine schon international, wenn man die Herkunftsländer der Mitarbeiter aufzählt: Somalia, Sri Lanka, Deutschland, Elfenbeinküste . . .
Es gab klare Ansagen, was man tun darf und was nicht: In der Dunkelheit nicht mehr das Hotelareal zu Fuß verlassen, wer Essen gehen wollte, musste sich einen Transport mit den kanadischen Rotkreuzautos organisieren. Dies war anzumelden und musste von der Teamleitung genehmigt werden. Das war auch sinnvoll, da wir direkt an der Hauptverkehrsstraße zwischen Zimbabwe, Sambia nach Beira wohnten. Die Lastwagen donnerten auf der Straße Richtung Süden vorbei. Ich dachte mir schon am ersten Abend, hoffentlich verliert keiner die Spur und „donnert“ in das Hotel.
Endlich kamen wir zum Projekt und sahen, wo wir arbeiten konnten. Es hört sich nach einem langen Vorlauf an, aber bis jetzt waren wir erst zweieinhalb Tage unterwegs. Diese Tage waren gefüllt mit Aktivitäten und Informationen. Wir wurden eingeladen, einen Rundgang durch das Krankenhaus und das integrierte Feldkrankenhaus (mit Zelten) zu machen, das heißt, wir besichtigten die verschiedenen Abteilungen. Es fehlten Dächer, Mauern hatten Löcher, kleine Bauten waren zusammengedrückt. Die Aufräumarbeiten im Distriktkrankenhaus waren abgeschlossen, die Schäden mussten aber noch beseitigt werden. Manche Abteilungen waren nicht mehr zu benutzen, manche zum Teil und andere wiederum waren kaum zerstört. Um Infektionskrankheiten abzuwehren, wurde eine Abteilung für Cholerakranke aufgebaut. Immer wieder gab es Cholera in der Region, und die Zerstörung der Brunnen war eine „gute“ Voraussetzung für den Ausbruch einer Epidemie. Die Abteilung „Cholera“, ein Infektionszelt, war bereits in Betrieb, und es kamen immer wieder neue Patienten.
Labor mit Mikroskop, das vom kanadischen Roten Kreuz gespendet wurde, die Arbeitsflächen sind sehr begrenzt.
Lokale Mitarbeiter waren bereits geschult zur Vorbereitung, Dosierung und Verdünnung von Desinfektionsmitteln. Die Auswahl der Mittel war überschaubar. In der Regel benutzten wir Chlor, das ist im Notfall auch überall vorhanden, außerdem gehört es zur Erstausstattung eines „Cholera Treatment Centers“. Das Mittel kommt als Pulver in einer Konzentration von circa 50 Prozent und mehr, und die Herstellung muss mit den Leuten geübt werden. Wichtig ist die richtige Konzentration der Lösung. Was vielen MTA-Schülern immer wieder schwerfällt, ist auch hier eine Herausforderung. Ich habe ein Pulver mit einem Chlorinhalt von 60 Prozent und soll eine 0,5-prozentige Lösung herstellen. Diese Lösung benötigte ich für Oberflächendesinfektion und für Betten und Fußböden. Für die Desinfektion der Fäkalien benutzte ich eine 2-prozentige Lösung. Es musste laufend sichergestellt werden, dass keine Bakterien nach draußen getragen werden, auch war zu gewährleisten, dass die Angestellten und Besucher die Choleravibrionen nicht im Krankenhaus verteilen. Es war eine große Verantwortung, dafür zu sorgen, dass jeder, der das Krankenhaus betrat, einer Schuhdesinfektion unterzogen wurde. Jeder, der in das Cholera-Behandlungszentrum – Cholera Treatment Center (CTC) – ging, musste seine Schuhsohlen desinfizieren und seine Hände mit 0,05-prozentige Chlorwasser waschen. Diese Aktionen wurden genau kontrolliert, damit Infektionskrankheiten nicht weiter verbreitet wurden.
Sie werden sich jetzt fragen, was hier eigentlich eine Medizinisch-technische Assistentin im Laborbereich gemacht hat. Ich sollte mich hauptsächlich um Schulungen kümmern. Ich erfasste die Cholerauntersuchung mittels Schnellteste, die Abnahme der Kulturen, Beschriftung und Transport. Ich supervisierte die Malariaschnellteste und die „Dicke Tropfen“. Die Anleitungen der Schnellteste wurden für die Krankenschwestern ins Portugiesische übersetzt, damit jeder die Anleitung lesen konnte und sie richtig durchführte.
Schnell stellte sich heraus, dass die Abläufe längst nicht so funktionierten, wie sie sein sollten. Mit meiner langen Erfahrung konnte ich die Probleme schnell identifizieren. Es gab durchaus einige Möglichkeiten der Nachschulung bei den Abläufen der Laboranfragen und bei der Durchführung der Teste. So wurden die Cholerabefunde nicht immer aufgeschrieben, die Transportmedien zwar richtig beschickt, aber auch hier unzureichend dokumentiert. Sie wurden im Kühlschrank bis zum Weitertransport aufbewahrt, was wahrscheinlich zur Folge hatte, dass wir nicht einen positiven Nachweis bei den Kulturen hatten. Zwei nagelneue Blutbankkühlschränke liefen nicht mehr und die Schnellteste für Malaria wurden modifiziert, damit sie schneller ablesebereit waren. Es gab immer Situationen zum Nachschulen.
Durch den Wirbelsturm war der Strom im Krankenhaus ausgefallen, und alle in den Kühlschränken befindlichen Blutkonserven waren nicht mehr brauchbar. Ein Notstromaggregat gab es nicht, sie mussten entsorgt werden. Es wurden Kampagnen zur Blutspende organisiert, damit die Operationen weiterlaufen konnten. Auch hier konnte ich unterstützend eingreifen und das Team mit den entsprechenden Materialien für Diagnostik und Entsorgung aus dem Lager des Roten Kreuzes versorgen.
Ich war das erste Mal bei einer Blutspendenkampagne in Afrika dabei. Auch hier hätte es noch viele Möglichkeiten für Schulungen gegeben, aber das verlangte auch nach besserem Material wie zum Beispiel Blutabnahmestühle, Schweißgeräte zum Verschweißen der Blutkonserven, bessere Beschriftung mittels Aufklebern. An allen Ecken und Enden fehlte es, das Krankenhaus hatte seit 20 Jahren kein funktionierendes Wassersystem, Türschlösser funktionierten nicht. So war ich unterwegs, um Materialien einzukaufen und Techniker zu finden, die die Reparaturen durchführten.
Bei den vielen Malariakranken war ein wichtiger Punkt, gute „Dicke Tropfen“ zu färben. Ausstriche wurden nicht hergestellt, da es an Methanol fehlte und ohnehin die meisten Patienten Plasmodium falciparum-positiv sind. Es war weder in Nhamatanda noch in Beira gutes Methanol zu bekommen. Ich weiß nicht, woran es lag, aber wir hatten immer wieder Artefakte in der selbst hergestellten Giemsalösung. Nach meiner Erfahrung war die Qualität des Methanols nicht ausreichend.
Die zweite Rotation in Nhamatanda – Gruppe des Roten Kreuzes
Ich wurde auch in anderen Abteilungen gebeten, die Kollegen zu unterstützen, so hatten wir im Zelt für Pharmazie Inventur gemacht oder neue Zelte für die Malariakranken ausgestattet. Auf diese Weise vergingen die vier Wochen wie im Fluge, ich war abends um 9 Uhr schon todmüde und fiel auf meine Matratze. Es hätte noch so viel mehr Arbeit gegeben, aber nach vier Wochen vor Ort ist man auch ziemlich „ausgepowert“ und sehnt sich nach einem richtigen Bett. Wie schon beschrieben, waren die Unterkünfte einfach. Trotzdem möchte ich diese Erfahrung nicht einen Tag missen. Ich freue mich, dass wir das Labor aufräumen und einen Lagerraum einrichten konnten, dass es wieder abzuschließen war, und ich habe gehört, dass vier Wochen nach meiner Abreise auch wieder fließendes Wasser den Weg ins Labor gefunden hat. Jede Reise hat auch einen Lerneffekt, und jedes Mal freue ich mich, wenn ich ein wenig meines erworbenen Wissens zurücklassen kann.
Entnommen aus MTA Dialog 10/2019
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