Wie wirkt sich die Digitalisierung im Gesundheitswesen auf die Arbeitsbedingungen der Gesundheitsberufe aus, und welche Kompetenzen benötigen sie künftig für die Patientenversorgung? Mit diesen Fragen befasste sich die 29. Konferenz der Fachberufe im Gesundheitswesen bei ihrer Jahrestagung am 8. März im Haus der Bundesärztekammer (BÄK) in Berlin.
Der demografische Wandel mit der Zunahme chronischer Erkrankungen einerseits sowie die fehlenden personellen Ressourcen in allen Gesundheitsberufen andererseits „zwingen uns zu engerer Kooperation“, betonte Dr. med. Max Kaplan, Vize-Präsident der BÄK und Vorsitzender der Fachberufekonferenz. „Die Digitalisierung wird zu einer stärkeren Vernetzung der Patientenversorgung beitragen. Arztpraxen, Krankenhäuser, Apotheken und Gesundheitsfachberufe werden leichter und effizienter Informationen austauschen können“, erklärte Kaplan. Dadurch ergäben sich neue Formen der Zusammenarbeit zum Wohle des Patienten – mit entsprechend höheren Anforderungen an Interdisziplinarität und Teamorientierung.
Voraussetzung für den Nutzen der Digitalisierung sei aber, dass sich die neuen technischen Möglichkeiten ohne Reibungsverluste in die Arbeitsabläufe einfügen. Klar sei aber auch: „Unsere Berufsbilder werden sich ändern, und wir müssen uns darauf einstellen und dem auch gerecht werden“, so Kaplan. „Wir müssen uns einbringen und technische Lösungen mit dem notwendigen Fachwissen unterfüttern.“
Welche Möglichkeiten digitale Technologien im Versorgungsalltag für Patienten und Behandler bieten, verdeutlichte Prof. Dr. Sascha Sommer von der Hochschule für Gesundheit, Bochum, anhand der logopädischen Behandlung von Sprech- und Sprachstörungen. Die Anwendungen reichen ihm zufolge von einfachen Youtube-Videos etwa zur Visualisierung sprechmotorischer Abläufe bei Störungen der Aussprache bei Kindern bis zu ausgefeilten, evidenzbasierten Technologien wie der Kasseler Stottertherapie, die logopädische und verhaltenstherapeutische Aspekte verbindet und inzwischen auch als Internettherapie absolviert werden kann.
Ein weiteres Beispiel ist die Teletherapie bei Aphasiepatienten nach Schlaganfall über eine speziell entwickelte und evaluierte App, die ergänzend zur Präsenztherapie eingesetzt wird. Zu klären sei bei der Nutzung stets, welche Technologie wann für wen und in welchem Setting geeignet sei, sagte Sommer.
Patienten fordern Beratung zu Apps und Co. ein
Der Einsatz dieser innovativen Technologien verändert dabei die Beziehungen und Interaktionen zwischen Patienten und Behandelnden erheblich. Patienten erwarten inzwischen eine sachkundige Beratung durch Ärzte und Angehörige der Gesundheitsberufe zu medizinischen Apps und anderen E-Health-Angeboten, wie etwa den Anwendungen der elektronischen Gesundheitskarte.
So spielen Apps zum Beispiel in der Diabetes-Beratung und beim -Krankheitsmanagement zunehmend eine wichtige Rolle. Die Initiative dazu geht vor allem von den jüngeren Typ-1-Diabetes-Patienten aus, die Smartphones und Apps nutzen wollen, um den Alltag mit ihrer Erkrankung besser zu meistern. Derzeit ist der Markt der Gesundheits-Apps jedoch intransparent. Maßnahmen zur besseren Verbraucherorientierung sind aus Sicht der Fachberufekonferenz daher dringend vonnötenDie Transparenz bei der Datenverarbeitung und die Kontrolle der Nutzer über ihre eigenen Daten müssten gewährleistet sein.
Erste Ansätze zur Umsetzung dieser Forderung gibt es bereits: Im von der nordrhein-westfälischen Landesregierung geförderten Projekt „DiaDigital“ haben sich Verbände, Fachgesellschaften und Patientenvertretungen zusammengeschlossen, um Qualitätskriterien für vertrauenswürdige, fachlich hochwertige und nutzerfreundliche Diabetes-Apps zu entwickeln und entsprechende Anwendungen mit einem Gütesiegel zu kennzeichnen.###more###
Darüber hinaus diskutierten die Konferenzteilnehmer auch darüber, welche Kompetenzen die Fachpersonen vor dem Hintergrund der zunehmenden Vernetzung benötigen und wie diese in der Aus- und Fortbildung vermittelt werden können. Derzeit seien die Gesundheitsfachberufe nicht ausreichend auf die Herausforderungen der digitalen Technologien im Gesundheitswesen vorbereitet, kritisierte Prof. Dr. Manfred Hülsken-Giesler, Philosophisch-Theologische Hochschule Vallendar. Im Hinblick auf die Technikentwicklung seien die Verbände oft zu defensiv anstatt zu fragen: „Was wollen wir an Technologie?“, so der Pflegewissenschaftler.Technikentwicklung müsse die Partizipation der Gesundheitsfachberufe mit beinhalten, daher müssten sie mit Ingenieuren und Technikern reden können. Das erfordere zum Beispiel auch die Beherrschung von IT-Technologien und Recherchetechniken.
Wie digitale Technologien den Alltag dominieren
Wie stark digitale Technologien bereits den Alltag insbesondere der technischen Gesundheitsberufe dominieren, demonstrierte Andreas Pfeiffer vom Klinikum Stuttgart mit Beispielen aus der Strahlentherapie und der Labormedizin.
Beispiel Labormedizin: Dort folgen viele Abläufe inzwischen den Prinzipien einer computerintegrierten Produktion, wie sie unter dem Schlagwort Industrie 4.0 in anderen Branchen schon länger üblich sind. War das Berufsbild der Medizinisch-technischen Laboratoriumsassistentin vor allem in der klinischen Chemie früher vom mechanischen Abarbeiten der Laboraufträge geprägt, geht es heute um die Steuerung und Überwachung komplexer vollautomatisch ablaufender Prozesse, die einen hohen Probendurchsatz ermöglichen. Die Präanalytik etwa erfolgt automatisiert über große „Produktionsstraßen“, auf denen das Probenmaterial robotergestützt zentrifugiert und pipetiert wird.
In Stuttgart beispielsweise werden weit über eine Million Proben jährlich verarbeitet, berichtete Pfeiffer. Vom Einlesen der Patientendaten über den elektronischen Auftrag bis zur Präanalytik gibt es dabei eine Vielzahl von Fehlermöglichkeiten und Schnittstellen. „Die MTA ist letztlich diejenige, die an der Automatenstraße entscheidet, ob ein Befund einem Arzt präsentiert werden kann, weil die Ergebnisse als valide eingeschätzt werden“, erläuterte Pfeiffer. Dies habe gegebenenfalls therapeutische Konsequenzen. Die MTA müsse daher in der Lage sein, die komplette Prozesskette zu überblicken, und sie müsse über ein deutlich höheres Prozesswissen verfügen, als dies derzeit der Fall sei. Sie ist Pfeiffer zufolge dafür verantwortlich, dass die Prozesse qualitätsgesichert ablaufen und Störungen oder gar Ausfälle vermieden werden.
Konsequenzen für die Ausbildung
„Dies sind alles Kompetenzen, die in der MTA-Ausbildung noch nicht berücksichtigt sind“, meinte Pfeiffer. Bei vielen Anforderungen stelle sich zudem die Frage, ob Berufsfachschulen das benötigte Wissen noch vermitteln könnten oder für die Qualifizierung eher Fachhochschulen geeignet seien.
Beispiel Strahlentherapie: Auch dieser Prozess ist laut Pfeiffer eine geschlossene, hochstandardisierte informationstechnische Prozesskette, nahe an der computerintegrierten Fertigung. So wird etwa bei einem Planungs-CT der Patient am CT-Gerät per Laser vermessen. Die Daten werden dabei in einem speziellen Schnittstellenstandard aufgenommen und über ein Netzwerk in die Bestrahlungsplanungssoftware übertragen. Ist die Planung abgeschlossen, läuft kein manueller Prozess mehr ab, sondern die Feldinformationen werden in ein radioonkologisches Informationssystem übertragen und die Bestrahlungsinformationen anschließend direkt auf den Linearbeschleuniger geschickt. Von einer Leitwarte mit mehreren Computerbildschirmen aus rufen die MTA die Einstellungen zum Patienten ab, lösen die Strahlung aus und überwachen den Vorgang online.
In der Diskussion wurde deutlich, dass vor allem in den technischen Gesundheitsberufen der Ersatz mechanischer Arbeit durch Informationstechnologie ein deutlich höheres Abstraktionsvermögen als bisher erfordert. Zudem erhalten das Risiko-, Prozess- und Ausfallmanagement einen immer höheren Stellenwert. Diese Kompetenzen müssten daher auch in den entsprechenden Ausbildungs- und Prüfungsverordnungen sowie in der Fortbildung berücksichtigt werden, forderten die Teilnehmer der Konferenz.
Heike E. Krüger-Brand
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