Bei der Beschlussfassung hatte die Regierungskoalition für das Gesetz gestimmt, die Grünen enthielten sich und Die Linke votierte dagegen. Bisher wurde der Anspruch auf einen Medikationsplan in Struktur, Inhalt und Fortschreibung geplant und verpflichtend umgesetzt. Ferner prüfte der Bewertungsausschuss bis Mitte des Jahres 2016 den Einsatz teleradiologischer Verfahren und Videosprechstunden sowie die Errichtung der Telematikinfrastruktur für Arztpraxen, Krankenhäuser und Kassen.
Erste Testregionen für die Telematikinfrastruktur sollten im Jahr 2016 starten. Tatsächlich wurden 20 Praxen in der Testregion Nordwest – Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz – im November 2016 mit Geräten ausgestattet, die die Versichertenkarten auslesen können. Bis auf 500 Praxen soll dies im Jahr 2017 erweitert werden. In der Testregion Südost, die Bayern und Sachsen umfasst, wurden zeitgleich 500 Praxen und fünf Kliniken angeschlossen. Der Test soll zeigen, wie gut die Geräte zu installieren sind, wie intensiv das Personal geschult werden muss und ob es Fehler beim Datenabgleich gibt. Danach erfolgt eine bundesweite Einführung.
Seit Oktober 2016 erhalten Patienten auf Wunsch einen Medikationsplan in Papierform, der sämtliche verordnete sowie nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel und Hinweise auf relevante Medizinprodukte umfasst. Es gibt auch Anbieter – beispielsweise Softwareunternehmen für Arztpraxen –, die bereits einen E-Medikationsplan bereithalten.
Weitere Meilensteine und Zeitpunkte des E-Health-Gesetzes sind:
Bis zum 31. Dezember 2016 wird geprüft, inwieweit papiergebundene Organisationsverfahren digitalisiert werden können. Ferner prüfen die Gesetzgeber, ob und wie mobile und stationäre Geräte von Versicherten in die Kommunikation miteingebunden werden können. Zudem legen sie Sicherheitsstandards für die Übermittlung medizinischer Dokumente über das Telematiksystem fest.
Ab dem 1. April 2017 wird der Einheitliche Bewertungsmaßstab für konsiliarische Befundbeurteilungen der Röntgenaufnahmen angepasst.
Bis zum 30. April 2017 findet die Fortschreibung des Medikationsplans statt, damit er über elektronische Programme von Ärzten und Apothekern genutzt werden kann.
Bis zum 30. Juni 2017 soll ein elektronisches Interoperabilitätsverzeichnis für technische und semantische Standards, Profile und Leitfäden für informationstechnische Systeme im Gesundheitswesen feststehen.
Ab dem 1. Juli 2017 wird der Einheitliche Bewertungsmaßstab für Videosprechstunden angepasst.
Bis zum 30. September 2017 wird vereinbart, welche nutzungsbedingten Zuschläge für Ärzte und Krankenhäuser zur Finanzierung der Investitions- und Betriebskosten beim Ausbau der Telematikinfrastruktur anfallen (Telematikzuschlag).
Bis zum 31. Dezember 2017 müssen die Voraussetzungen für einen Zugriff auf die Notfalldaten der eGK durch zugriffsberechtigte Ärzte erfüllt sein.
Ab dem 1. Januar 2018 tritt der Telematikzuschlag in Kraft.
Ab dem 1. Juli 2018 wird die Leistungspflicht der Krankenkasse durch Vertragsärzte, Einrichtungen und Zahnärzte geprüft.
Bis zum 31. Dezember 2018 soll die Bereitstellung der Patientendaten in Form einer elektronischen Patientenakte möglich sein [1, 2].
Die geplanten Dienste sind allerdings nicht alle eindeutig und konkret definiert. So haben diverse Verbände zahlreiche Stellungnahmen zum E-Health-Gesetz verfasst. Anhaltend wird bis zum heutigen Zeitpunkt diskutiert, ob die Meilensteine sich durchsetzen lassen und ob die Fristen zur Einführung eingehalten werden können. Für die elektronische Patientenakte ist beispielsweise nur der Beginn des Routinebetriebs und die Schaffung einer Struktur festgelegt, weitere Termine fehlen. Das Gesetz verpflichtet nicht dazu, internationale Standards für das geplante Interoperabilitätsverzeichnis zu berücksichtigen. Gerade dies ist jedoch wichtig, damit keine nationalen Sonderlösungen entstehen, die in einem vernetzen Europa mit mobilen Patienten nicht kompatibel sind. ###more###
Digitale Gesundheit
In der Gesundheitsversorgung bietet die Digitalisierung große Chancen für die immer älter werdende Gesellschaft. Krankheiten werden früher erkannt, Klinikaufenthalte verkürzt und durch Telemedizin, Roboter oder Vernetzung bleiben die Menschen länger mobil.
Der etablierte erste Gesundheitsmarkt, den das E-Health-Gesetz berücksichtigt, befasst sich vor allem mit der Diagnose und Therapie von Krankheiten. Er bildet dabei die klassische, gesetzlich verankerte Gesundheitsversorgung von Leistungserbringern und Kostenträgern ab. Im zweiten Markt dreht sich alles um privat finanzierte Leistungen. In der digitalen Gesundheit, dem dritten Markt, entwickeln sich dagegen neue Geschäftsmodelle, für die es kaum Regulierungen gibt. Die Klassifizierung in zweiten und dritten Gesundheitsmarkt ist jedoch nicht eindeutig. Vielfach wird der Begriff „zweiter Markt“ auch für diese beiden Bereiche genutzt.
Das E-Health-Gesetz sieht vor, telemedizinische Lücken zu schließen, indem Videosprechstunden in die vertragsärztliche Versorgung aufgenommen werden. Die Digitalisierung dient vor allem ländlichen Regionen, sie soll den ortsunabhängigen Zugang zur Versorgung fördern. Es gibt schon zahlreiche Projekte, die hier Vorreiterrollen einnehmen. Zertifizierte Internetanwendungen und Apps – beispielsweise Patientus, die gesicherte Online-Sprechstunden zwischen Arzt und Patient anbieten – werden bereits von Kassen erstattet, oft jedoch nur regional oder für bestimmte Fachrichtungen. Der sektorenübergreifende Ausbau in weitere Regionen und Disziplinen ist sinnvoll.
Die Zahl der Gesundheits-Apps steigt
Eine überschaubare Menge des App-Angebotes dient bisher den Abläufen und der Information der Leistungserbringer. Beispiele hierfür gibt es im Kontext der Bildgebung in der Radiologie. Klassische Telemedizinanwendungen, die den ortsunabhängigen Austausch von Arzt und Patient per Internetverbindung ermöglichen, sind in Deutschland streng reguliert und selten.
Die meisten Patienten, die Gesundheits-Apps nutzen, sind Personen mit einer chronischen Erkrankung. Kassen bieten heute viele eigene Apps an (beispielsweise Pusteblume der TK zur Unterstützung bei Heuschnupfen); auch immer mehr unabhängige (Tinnitracks, myDiabetizer, CardioSecur, caterna, novego) werden nach Prüfung finanziert. Insgesamt wächst dieser Markt extrem, 2015 gab es 103.000 Neuzulassungen weltweit; Google und App Store bieten je 70.000 Gesundheits-Apps. Diese richten sich, wie der Name vermuten lässt, einerseits an Gesunde – in den Bereichen Fitness, Ernährung und Prävention –, dienen andererseits jedoch der Behandlung und Unterstützung bei Tinnitus, Diabetes, Herzrhythmusstörungen, Sehschwäche oder Depression (siehe Beispiele oben).
Oft treiben Betroffene diese Entwicklung voran: Sie erkennen, dass Apps schnell, praxisorientiert und unkompliziert sind. Mit einer weiteren App, LifeTime, werden Gesundheitsdaten auf Smartphones verwaltet; eine Hardwarebox ermöglicht das Importieren der Informationen des Arztes oder Krankenhauses.
Es geht also auch in Deutschland voran – mit E-Health-Gesetz und trotz aller Hürden und Datenschutzbedenken. Der digitale Gesundheitsmarkt steckt hier zwar im Vergleich zu Europa und den USA noch in den Kinderschuhen, könnte jedoch bald erwachsen werden. Innovationen in und aus Deutschland werden dringend benötigt. Uns steht ein bedeutendes Jahrzehnt in Sachen E-Health und Rechtsentwicklung bevor, der Quantensprung hat bereits begonnen.
Literatur
Bundesgesetzblatt: Gesetz für sichere digitale Kommunikation und Anwendungen im Gesundheitswesen sowie zur Änderung weiterer Gesetze, 21. Dezember 2015.
Bundesärztekammer: Hinweise und Erläuterungen zu § 7 Abs. 4 MBO-Ä (Fernbehandlung), 11. Dezember 2015.
3http://www.tinnitracks.com/de
Glossar
E-Health (Electronic Health) steht als Sammelbegriff für den Einsatz digitaler Technologien im Gesundheitswesen und ist der amerikanische Begriff für elektronische = digitale Gesundheit; in den USA liegen auch deren Wurzeln.
M-Health (Mobile Health) ist ein Teilbereich von E-Health und steht für die Unterstützung medizinischer Verfahren durch mobile Geräte wie Tablets und Smartphones.
Apps (Applikationen) sind technische Anwendungen = Softwarelösungen, insbesondere in mobilen Geräten. Bequemer als PC-orientierte Lösungen ermöglichen sie das Erfassen, Interpretieren und Weiterleiten von (medizinischen) Informationen.
Wearables bezeichnen tragbare IT-basierte Geräte, die am Menschen befestigt werden: Hörgeräte und spezielle Brillen gehören zu den bekannten Hilfsmitteln. Neuer sind Fitnessarmbänder, Smartwatches, Activity Tracker und Kleidungsstücke mit eingearbeiteten, elektronischen Hilfsmitteln. Sie zeichnen Daten oder physiologische Funktionen auf, verarbeiten diese und übertragen sie an andere Computer. Ziel sind Selbstmanagement und Prävention.
Quantified Self – das Messbarmachen von Körperfunktionen durch Monitoring von Vitalwerten, gegebenenfalls in einem Netzwerk von Patient, Leistungserbringer und Infrastrukturanbieter – führt als sich durchsetzender Trend zu einer stärkeren Patientenorientierung und Selbstbestimmung. In diesem Umfeld finden Wearables Anwendung. Die Hoheit der Daten liegt dabei bei den Patienten.
Ambient Assisted Living (AAL) bedeutet „Altersgerechte Assistenzsysteme für ein selbstbestimmtes Leben durch innovative Technik“. Methoden, Konzepte, (elektronische) Systeme und Produkte – also auch Apps und Wearables – sowie Dienstleistungen unterstützen das alltägliche Leben älterer und auch benachteiligter Menschen.
Entnommen aus MTA Dialog 1/2017
Artikel teilen