„Bronzekrankheit“: Erstbeschreibung der Nebenniereninsuffizienz
„Jackson war verheiratet“, heißt es weiter, „lebte in Gravesend und bekleidete das Amt eines Stromwärters beim Zollhaus. Er hatte ein galliges Temperament, dunkles Haar und fahle Gesichtsfarbe, die während seiner Krankheit viel dunkler wurde; bei seiner Aufnahme ins Hospital war sie dunkelolivbraun. Seine Frau sagte, ‚diese auffallende Veränderung der Gesichtsfarbe sei gleich beim Beginn seiner Krankheit eingetreten und habe von der Zeit an stetig zugenommen.‘“ Addison beobachtete: „Ohne Zweifel rührt diese Veränderung der Gesichtsfarbe von einer Vermehrung des Pigmentes her, denn, wenn man die Lippen herunterzieht, so sind die Schleimhäute durch Niederschläge von Pigment gefleckt, und sieht man genauer zu, so entdeckt man, dass die dunkle Farbe der Lippen, die zuerst wie Schmutz aussieht, auch durch das Vorhandensein von schwarzem Pigment verursacht wird, das sich nicht durch Befeuchten oder Waschen der Lippen entfernen lässt.“ Jacksons Erkrankung hatte „sechs Monate zuvor mit Kopfschmerzen, Erbrechen und Verstopfung angefangen“. Den ganzen Sommer blieb er schwach, im September begann er wieder zu arbeiten, doch zehn Tage vor Aufnahme im Krankenhaus traten erneut Kopfschmerzen, Erbrechen und Verstopfung auf. Ein Arzt besuchte ihn und ordnete die Symptome als „Ansteckungs-Vergiftung“ ein, „nicht nur wegen der allgemeinen Symptome, sondern auch wegen der dunklen schwerkranken Gesichtsfarbe, die derjenigen ähnlich sah, die sich beim Herannahen des Ohnmachtszustandes bei Cholera einstellt.“
Obduktion zeigte Auffälligkeiten
Addison vermutete: „Die Empfindlichkeit und das Pulsieren in der Oberbauchgegend, das häufige Erbrechen von Schleim und zersetztem Blut deuten auf [einen] entzündeten Zustand der Magenschleimhaut.“ Und er fragte: „Aber von welcher Veränderung im System rührt die Produktion von schwarzem Pigment her? Von Leberaffektion oder, wie Dr. Addison denkt, von Erkrankung der Nebennieren?“ Addison behandelte seinen Patienten selbst, konnte ihm jedoch nicht helfen – Jackson starb nach vier Wochen im Spital am 7. Dezember 1851. Die Obduktion ergab an beiden Nebennieren „kompakte faserige Niederschläge, die in den Geweben des Organs saßen; oberflächlich betrachtet, waren sie einigen Formen von Kropfknoten nicht unähnlich.“ Addison fasste zusammen: „Das langsame und tückische Herannahen und Zunehmen des allgemeinen Kräfteverfalles, der sehr schwache Puls und das Fehlen jeder Verletzung, die ausgedehnt genug gewesen wäre, um das Hinsiechen des Patienten zu erklären, der Mangel an Appetit, das Unbehagen und die Reizbarkeit des Magens und die Anzeichen von gestörter Gehirnzirkulation waren alle so stark hervortretend und denen so gleichartig, die bei der ausgedehntesten Erkrankung der Nebennieren beobachtet worden waren, dass, wenn wir sie mit dem übermäßig dunklen Pigment in der Oberhaut zusammenstellten, wir nicht an- standen, einen sehr weitgehenden Krankheitszustand dieser Organe bestimmt anzunehmen.“
Lange war die Funktion unklar
Die meisten endokrinen Organe waren bereits in der Antike bekannt. Andreas Vesalius (1514–1564) gilt als Begründer der modernen Anatomie, doch die Nebennieren kannte er noch nicht. Auch andere Anatomen wie Fallopius und Fabricius ab Aquapendente erwähnen die Nebennieren in ihrem Werk nicht. Bartholomaeus Eustachius Sanctoseverinatus (circa 1520–1574) war Professor in Rom. Als Erster beschrieb er 1564 die „Glandulae quae renibus incumbunt“ (die Drüsen, welche den Nieren aufliegen). Über ihre Funktion wurde lange spekuliert: Der niederländische Anatom Adrianus Spigelius nannte sie im 17. Jahrhundert „Renes succenturiati“ (etwa: untergeordnete Nieren). Über ihre Funktion befand er lapidar, sie seien „dazu gemacht, das Vakuum zwischen Nieren und Zwerchfell auszufüllen“ („factae sunt ad implendum vacuum quod inter renes et diaphragma interstat“). Zwar suchte man mit Beginn des 19. Jahrhunderts auf vergleichend-anatomischem Weg zu neuen Erkenntnissen zu kommen. So ordnete Jacob Henle 1841 die Nebennieren zu den „Blutgefäßdrüsen“, zu denen er auch Schilddrüse, Milz und Thymus zählte, und vermutete eine „nähere Beziehung“ zum Nervensystem. Franz von Leydig postulierte 1857, dass die Nebennieren „unmittelbar dem Nervensystem angereiht“ werden müssten. Und Albert von Koelliker unterschied 1854 zwei funktionell verschiedene Teile des Organs. Dabei sah er die Rinde in Beziehung zu den Blutgefäßdrüsen und das Mark in Beziehung zum Nervensystem. Doch knapp drei Jahrhunderte nach ihrer Erstbeschreibung blieb ihre Funktion letztlich unklar. Joseph Hyrtl, Anatomieprofessor in Prag und Wien, schrieb noch 1889 in der 20. Auflage seines „Lehrbuch der Anatomie des Menschen“: „Spigelius wußte (sic!) nicht mehr von ihrer Verrichtung, als wir heute wissen.“ Und: „Die unbekannte Funktion der Nebenniere sichert dieses Organ vor lästigen Nachfragen in der Heilwissenschaft.“ Da war Addisons Werk „On the constitutional and local effects of disease of the suprarenal Capsules“ schon längst erschienen. Hyrtls Prophezeiung hatte sich als falsch erwiesen.
Immatrikulation in Edinburgh 1812
Thomas Addison wurde 1793 in Long Benton bei Newcastle-on-Tyne geboren. Der Vater Joseph handelte mit Lebensmitteln und Blumen. In Newcastle-on-Tyne erhielt Addison eine gute Schulbildung und sprach fließend Latein. Dem Wunsch seines Vaters entsprechend hätte er Anwalt werden sollen, doch 1812 immatrikulierte er sich an der Universität Edinburgh für Medizin. Sein Studium schloss er mit einer Dissertation über die Syphilis ab. Ab 1815 arbeitete er am Londoner Lock Hospital, wo er sich vornehmlich mit Erkrankungen der Haut beschäftigte. Zudem betrieb er eine kleine ärztliche Praxis. Fünf Jahre später kam er als Schüler an das Guy’s Hospital, dem er fast 40 Jahre als Arzt und Lehrer verbunden blieb. 1824 wurde er dort Assistant Physician und veröffentlichte zusammen mit John Morgan „An essay on the operation of poisonous agents upon the living body“ (1829) und „Observations on the disorders of females with uterine irritation“ (1830). Er begann zu lehren – ab 1837 als Full-Physician – und teilte sich mit seinem Kollegen Richard Bright die Vorlesungen über praktische Medizin. Dabei kam ihm seine Beobachtungsgabe zugute, und im Lauf der Jahre wurde er zu einem allseits respektierten klinischen Lehrer am Spital. 1847 heiratete er Elizabeth Hauxwell, die zwei Kinder mitbrachte. Die Ehe der beiden blieb kinderlos.
Nicht zuletzt sein Interesse an Hautveränderungen lenkte Addison wohl auf die Erkrankungen der Nebenniere. Wie von Koelliker angenommen, weist sie zwei funktionell unterschiedliche Anteile auf: Das Nebennierenmark (NNM) ist ein umgewandeltes sympathisches Ganglion. Seine Zellen sind entwicklungsgeschichtlich Homologe der postganglionären Neurone. Die Ausschüttung der Katecholamine Adrenalin (80 Prozent) und Noradrenalin (20 Prozent) wird ausschließlich neuronal gesteuert, das NNM steht also in enger Verbindung zum Nervensystem. Dem gegenüber ist die Nebennierenrinde (NNR) ein endokrines Organ. Im Unterschied zum Nebennierenmark ist sie lebenswichtig, ohne sie ist ein Organismus nicht lebensfähig. Zahlreiche Hormone wurden aus ihr isoliert, darunter solche mit hauptsächlicher Wirkung auf den Kohlenhydrat- oder auf den Kalium-Natrium-Haushalt sowie Hormone mit androgener Wirkung. Alle sind Steroidhormone, die sich vom Progesteron ableiten lassen. Progesteron wiederum entsteht entweder aus Cholesterin oder durch Direktsynthese aus Acetyl-CoA. Die Nebennierenrinde ist mit 5 g Cholesterin/100 g Gewebe das cholesterinreichste Organ des Organismus und verfügt damit über eine reiche „Steroidreserve“ (Eckhart Buddecke).
Morbus Addison
1855 beschrieb Addison „die leitenden und charakteristischen Merkmale des Krankheitszustandes, auf den ich die Aufmerksamkeit lenken möchte ...“ als „... Blutarmut, allgemeine Mattigkeit und Schwäche, sehr geschwächte Herztätigkeit, Reizbarkeit des Magens und eine eigentümliche Veränderung der Hautfarbe, die in Verbindung mit einem krankhaften Zustand der ‚Nebennieren‘ auftritt.“ Der Beginn ist in der Regel schleichend: „Wie man es auch bei anderer Form von anämischer Erkrankung bemerkt hat, beginnt diese sonderbare Störung gewöhnlich in solcher Weise, dass der Patient nur schwer feststellen kann, wieviel Wochen oder sogar Monate verflossen sind, seit er die ersten Anzeichen von der Abnahme seiner Gesundheit und Kraft bemerkte.“ Der nach ihm benannte „Morbus Addison“ ist Prototyp der primären Insuffizienz der Nebennierenrinde. Die pathologisch-anatomischen Veränderungen und Destruktionen sind dabei in etwa zwei Drittel durch eine Immunreaktion (Immunadrenalitis) bedingt, das restliche Drittel wird durch Tuberkulose verursacht. Blutungen, Infarkte, Karzinommetastasen, Amyloideinlagerungen, Pilzinfektionen, HIV, Hämochromatose, Sarkoidose und kongenitale Enzymdefekte sind ursächlich möglich, aber selten. Addison beschrieb auch die Anämie als vordringliches Symptom. Die als perniziöse oder Biermersche (benannt nach Anton Biermer) oder Addison-Anämie bekannte Blutarmut ist auf einen Mangel an Vitamin B12 zurückzuführen. Sie kann allein oder in Kombina-tion mit Morbus Addison auftreten. Im engeren Sinn wird die Bezeichnung „perniziöse Anämie“ oder „Morbus Biermer“ nur für die Formen verwendet, bei denen die Bildung des „intrinsic factor“ gestört ist. Dabei handelt es sich um ein Glykoprotein, das für die Aufnahme von Vitamin B12 im terminalen Ileum unerlässlich ist.
Die Symptome bei Morbus Addison werden durch den Mangel an Glukokortikoiden und Mineralokortikoiden verursacht. Dabei führt Hypokortisolismus zu Schwindel, Müdigkeit, Gewichtsverlust, Übelkeit, Erbrechen und Hypoglykämie, während Hypoaldosteronismus Störungen des Elektrolytstoffwechsels mit Hyponatriämie, Hyperkaliämie, Dehydration und Hypotonie bewirkt. Und die von Addison beschriebene Hyperpigmentierung? Sie beruht darauf, dass die Hypophyse (Hirnanhangdrüse) vermehrt MSH (Melanozyten stimulierendes Hormon) freisetzt, wenn hemmende Einflüsse der zerstörten Nebennierenrinde wegfallen.
Die „Addison-Krise“ ist die „extreme Minus-Variante des Morbus Addison“ (W. Vetter in „Klinische Pathophysiologie“). Ihre wechselnde Klinik hängt damit zusammen, ob die glukokortikoide oder die mineralokortikoide Funktion der NNR stärker beeinträchtigt ist. Unbehandelt führt sie zum Tod. Von der primären Insuffizienz der NNR wird eine sekundäre Form unterschieden. Hier liegt eine Insuffizienz von Hypophysenvorderlappen und/oder Hypothalamus zugrunde. Neben ACTH (Adrenocorticotropes Hormon) sind meistens auch die anderen Hypophysenvorderlappenhormone vermindert (Panhypopituitarismus). Die Symptome betreffen vor allem Glukokortikoide und Androgene, weil Aldosteron relativ ACTH-unabhängig gebildet wird.
Addison litt wiederholt an Depressionen. 1860 stürzte er sich in einen Graben vor seinem Haus und verstarb an den Folgen seiner schweren Kopfverletzung.
Literatur (Auswahl)
1. Addison T: Die Erkrankungen der Nebennieren und ihre Folgen (1855). Zum ersten Male in deutscher Übersetzung herausgegeben und eingeleitet von Dr. med. Erich Ebstein. Leipzig: Barth Verlag 1912.
2. Buddecke E: Grundriss der Biochemie. Berlin: Walter de Gruyter, 7. Aufl. 1985.
3. Hyrtl J: Lehrbuch der Anatomie des Menschen. Wien: Verlag W. Braumüller, 20. Aufl. 1889.
4. Kaiser H, Kley HK: Cortisontherapie. Corticoide in Klinik und Praxis. Stuttgart: Georg Thieme Verlag, 11. Aufl. 2002.
5. Siegenthaler W (Hrsg.): Klinische Pathophysiologie. Stuttgart: Thieme Verlag 1994.
Entnommen aus MT im Dialog 3/2024
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