Pankreaszellen produzieren Insulin durch Malariamedikament
Seit einigen Jahren hatten sich Forscher an diesem Kunstgriff versucht, der eine simple und elegante Heilung des Typ-1 Diabetes versprach: Die vom eigenen Körper der Patienten zerstörten Beta-Zellen - verantwortlich für die Insulinproduktion - sollten durch neue, künstlich hergestellte Zellen ersetzt werden. Verschiedenste Ansätze wurden verfolgt, um Stamm- oder Körperzellen in die begehrten Beta-Zellen umzuwandeln. Dabei wurden zwar grundsätzliche Mechanismen aufgeklärt, die für die Entwicklung von Beta-Zellen entscheidend sind – doch ein Wirkstoff, der diesen zellulären Verwandlungstrick auslöst, fehlte bisher.
Artemisinine erwiesen sich als Volltreffer
Dem Team unter der Leitung von Stefan Kubicek, Forschungsgruppenleiter am CeMM (Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, gelang mit der jetzt erschienen Studie offenbar der große Wurf: Durch ein vollautomatisiertes Testverfahren, das die Effekte repräsentativer, zugelassener Wirkstoffe an Alpha-Zellkulturen untersucht, offenbarte sich die Gruppe der Artemisinine als Volltreffer. „Eigentlich werden Artemisinine gegen Malaria verschrieben“, erklärt Stefan Kubicek. „Wir konnten mit unserer Arbeit zeigen, dass diese Substanzen auch das genetische Programm von Alpha-Zellen, die Glukagon-produzierenden Gegenspieler der Beta-Zellen in der Bauchspeicheldrüse, verändern.“
Umwandlung von Alpha-Zellen kann stattfinden
Alpha- und Beta-Zellen bilden, gemeinsam mit zumindest drei weiteren hochspezialisierten Zelltypen, die sogenannten Langerhans-Inseln der Bauchspeicheldrüse, die Steuerzentralen für den Blutzuckerspiegel. Insulin aus Beta-Zellen senkt ihn, Glukagon aus Alpha-Zellen lässt ihn wieder ansteigen. Doch die Zellen sind flexibel: In vorangegangenen Studien mit Modellorganismen wurde gezeigt, dass bei einem extremen Verlust von Beta-Zellen eine Umwandlung der Alpha-Zellen stattfinden kann, die den Schaden ausgleicht. Man fand heraus, dass der genetische Hauptschalter Arx dabei eine zentrale Rolle spielt.
Graphische Darstellung der Wirkungsweise von Artemisininen in Alpha-Zellen Quelle: Cell Press
„Arx reguliert viele Gene, die für die Funktion einer Alpha-Zelle entscheidend sind“, so Stefan Kubicek. „In vorhergehenden Arbeiten konnte unser Kollaborationspartner Patrick Collombat von der Université Côte d´Azur in Nizza zeigen, dass das Ausschalten von Arx mit genetischen Methoden zur Umwandlung von Alpha- in Beta-Zellen führt.“ Bisher hatte man den Prozess jedoch nur im lebenden Modelorganismus beobachtet – niemand wusste, ob für solche Umwandlungen zusätzliche Faktoren aus dem unmittelbaren Umfeld der Zelle oder gar von fernen Organen nötig sind. Um diese Faktoren auszuschließen, nutzte Kubiceks Team gemeinsam mit der Gruppe von Jacob Hecksher Sorensen von Nordisk spezielle Alpha- und Beta-Zelllinien, die isoliert betrachtet werden konnten. Auch ohne den Einfluss des restlichen Körpers konnte die Umwandlung der Zelltypen beobachtet werden.
An Zelllinien die Wirkstoffe ausprobiert
An diesen Zelllinien konnte die Forschungsgruppe nun ihre Wirkstoffsammlung ausprobieren – so stießen sie auf die Artemisinine. In Zusammenarbeit mit den Forschungsgruppen von Christoph Bock und Giulio Superti-Furga am CeMM und Tibor Harkany an der Medizinischen Universität Wien gelang es ihnen, den exakten molekularen Mechanismus aufzuklären, mit dem Artemisinine die Alpha-Zellen umgestalten: Sie binden an ein Protein (Gephyrin), das GABA-Rezeptoren, zentrale Schaltstellen der zellulären Signalwege, aktiviert. In weiterer Folge verändern sich unzählige biochemische Prozesse in der Zelle, die schließlich zur Insulinproduktion führen. Eine Arbeit von Patrick Collombat zeigt, dass im Mausmodell die Injektion von GABA zur Umwandlung von Alpha- zu Beta-Zellen auslöst, und deutet damit auf denselben Wirkmechanismus der beiden Substanzen hin.
Wirkt es auch beim Menschen?
Die Wirkung der Malaria-Medikamente konnten die Forscher nicht nur in der Zellkultur nachweisen: In Zusammenarbeit mit anderen Forschungsgruppen (Martin Distel, CCRI Wien; Dirk Meyer, Leopold-Franzens-Universität Innsbruck; Patrick Collombat, Physiogenex) wurde diabetischen Fischen, Ratten und Mäusen der Wirkstoff verabreicht, und tatsächlich erhöhte sich ihre Beta-Zellmasse, ihr Blutzuckerspiegel normalisierte sich. Da sich die molekularen Bindungspartner von Artemisininen sowohl in Fischen, Ratten und Mäusen als auch im Menschen stark ähneln, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass auch hier ein ähnlicher Effekt eintritt, hofft Stefan Kubicek: „Natürlich muss man die Auswirkungen einer langfristigen Artemisinin-Verabreichung am Menschen noch gründlich und ausgiebig testen. Insbesondere ist bisher unbekannt, ob sich die Alpha-Zellen auch beim Menschen ständig regenerieren können. Außerdem müssen Wege gefunden werden, die neuen Beta-Zellen vor der Zerstörung durch das Immunsystem zu schützen. Doch wir sind sehr zuversichtlich, mit den Artemisininen und deren Wirkmechanismen die Grundlagen für eine neue Form der Therapie gegen Typ-1 Diabetes gefunden zu haben.“ (idw, red)
Hintergrundinformationen:
Förderung: Die Studie erhielt Förderungen von der Juvenile Diabetes Research Foundation (JDRF), dem European Research Council (ERC), der Medizinischen Universität Wien, der European Molecular Biology Organization (EMBO), der NovoNordisk Foundation, dem Marie Skłodowska-Curie Programm der Europäischen Kommission, dem Österreichischen Wissenschaftsfonds (FWF), der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), dem INSERM AVENIR Programm; der FMR, dem ANR/BMBF, LABEX SIGNALIFE, der Max-Planck Gesellschaft, Club Isatis, Herr und Frau Dorato, Herr und Frau Peter de Marffy-Mantuano, sowie der Fondation Générale de Santé and the Foundation Schlumberger pour l’Education et la Recherche.
Stefan Kubicek studierte organische Chemie in Wien und Zürich und promovierte in der Gruppe von Thomas Jenuwein am Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie (IMP) in Wien. Darauf folgte seine Arbeit als Postdoc bei Stuart Schreiber am Broad Insitute von Harvard und MIT im US-Amerikanischen Cambridge. 2010 begann er als Gruppenleiter am CeMM zu arbeiten. Er ist Leiter der Abteilung für Chemisches Screening am CeMM, der Österreichischen Plattform für Chemische Biologie (PLACEBO) und des Christian Doppler Labors für Chemische Epigenetik und Antiinfektiva.
Das CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften ist eine internationale, unabhängige und interdisziplinäre Forschungseinrichtung für molekulare Medizin unter wissenschaftlicher Leitung von Giulio Superti-Furga. Das CeMM orientiert sich an den medizinischen Erfordernissen und integriert Grundlagenforschung sowie klinische Expertise um innovative diagnostische und therapeutische Ansätze für eine Präzisionsmedizin zu entwickeln. Die Forschungsschwerpunkte sind Krebs, Entzündungen, Stoffwechsel- und Immunstörungen, sowie seltene Erkrankungen. Das Forschungsgebäude des Institutes befindet sich am Campus der Medizinischen Universität und des Allgemeinen Krankenhauses Wien.
www.cemm.at
Literatur:
Jin Li, Tamara Casteels, Thomas Frogne et al.: Artemisinins Target GABAA Receptor Signaling and Impair α Cell Identity. Cell, Published Online: December 01, 2016.
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