Noch viele offene Fragen bei Post-COVID
Das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi) hat ein neues virtuelles Dialogformat gestartet, mit dem aktuelle Studienergebnisse aus dem Bereich der Versorgungsforschung vorgestellt und öffentlich diskutiert werden. Das Livestreaming-Format „Zi insights“ hatte gestern Abend seine Premiere mit einer aktuellen Studie zum Post-COVID-Syndrom und dessen Folgen für die ambulante Versorgung.
Hausärzte übernehmen Gros der Patientenbetreuung
Das Zi konnte in einer Auswertung der vertragsärztlichen Abrechnungsdaten für das zweite Quartal 2021 zeigen, dass mehr als 97 Prozent der Patientinnen und Patienten mit Post-COVID-Syndrom im Jahr 2020 bereits in vertragsärztlicher Behandlung waren. Dabei wiesen diese signifikant häufiger spezifische somatische und psychische Vorerkrankungen auf als die Allgemeinbevölkerung – allen voran Adipositas, Rückenschmerzen oder Anpassungsstörungen. Adipositas etwa ist bereits in anderen Studien als Risikofaktor für Post-COVID-Komplikationen identifiziert worden. Mit über 70 Prozent des Versorgungsbedarfs erbringen Hausärzte einen ganz erheblichen Teil der Patientenbetreuung, insbesondere durch zeitintensive Konsultationen wie das problemorientierte Gespräch und telefonische Beratungen. Die Identifizierung von Post-COVID-Patientinnen und –Patienten wurde erstmalig mit der Einführung eines eigenen ICD-Codes ab dem Jahr 2021 möglich. Die Auswertung zeigt, dass Frauen überproportional im Post-COVID Patientenkollektiv vertreten sind, sowohl absolut als auch relativ zur Grundgesamtheit.
Rolle von Vorerkrankungen
„Im ersten Quartal 2021 führte etwa jede zwanzigste Infektion mit SARS-CoV-2 zu einem ärztlich dokumentierten Post-COVID-Syndrom. Demnach ist Post-COVID seltener als in vielen anderen Studien berichtet. Zudem wird die Rolle von Vorerkrankungen deutlich, die das Auftreten eines Post-COVID-Syndroms begünstigen. Nur sehr selten erkranken Menschen am Post-COVID-Syndrom, die bis zur SARS-CoV-2-Infektion völlig gesund waren. Vielmehr handelt es sich bei den 160.000 Erkrankten im zweiten Quartal 2021 fast ausschließlich um Patientinnen und Patienten, die bereits wegen zahlreicher, meist chronischer Erkrankungen in vertragsärztlicher Behandlung waren. Drei von vier Erkrankten sind dabei alleine hausärztlich versorgt worden. Jede sechste Patientin bzw. jeder sechste Patient musste darüber hinaus fachärztlich durch Pneumologen oder Kardiologen betreut werden. Jedem 200. Patienten mit einer Post-COVID-19-Diagnose ist zudem eine medizinische Rehabilitation verordnet worden. So ergibt sich ein Mengengerüst für eine gestufte Versorgung von Post-COVID-19-Erkrankten in Deutschland. Fest steht: Die spezifische Behandlung dieser Personengruppe ist mit einem hohen Konsultationsbedarf und Koordinationsaufwand verbunden. Wegen der Bedeutung der Vorerkrankungen für den weiteren Behandlungsverlauf sollte die Koordination primär durch die Hausärztin oder den Hausarzt erfolgen“, sagte der Zi-Vorstandsvorsitzende Dr. Dominik von Stillfried. Bei der Frage nach Lücken in der ICD-Verschlüsselung musste jedoch Dr. Kristina Spöhrer, Hausärztin aus Winsen/Luhe und Mitglied des Landesvorstandes des Hausärzteverbandes Niedersachsen, bei der anschließenden Diskussion zugeben, dass im Alltagsstress keine Zeit bleibe, sich ewig Gedanken über die ICD-Codierung zu machen. Das Wichtigste werde eingegeben. Die Frage nach methodischen Lücken bei der Erfassung sei somit berechtigt.
Hoher Koordinationsaufwand bei Post-COVID
Dr. Spöhrer verwies auf den hohen Koordinationsaufwand bei der Diagnostik und Behandlung von Post-COVID-19-Patientinnen und -Patienten: „Wir sehen viele Patientinnen und Patienten mit sehr unspezifischen Symptomen. Nach einer differenzierten Diagnostik geht es dann darum, Behandlungspfade für die Betroffenen möglichst individuell zu strukturieren. Neben dem Faktor Zeit ist hier die Vernetzung der verschiedenen Versorgungsangebote, von Atemtherapie und Physiotherapie bis hin zur Rehabilitation, entscheidend für den nachhaltigen Erfolg der Behandlung.“ In der aktuellen Welle habe sie selbst bisher erst wenige Fälle mit Long-COVID gesehen. Vielen Patienten falle es aber schwer, in der Akutphase dem Körper Ruhe zu gönnen. Dies sei eine Herausforderung für die Gesellschaft. Sollte eine Reha nötig werden, müsse der Patient oft kämpfen. Da könne durchaus auch mal ein halbes Jahr ins Land gehen, so die Ärztin. Oft sei ein Widerspruchsverfahren nötig.
Wichtige transsektorale Vernetzung
Auch Dr. Jördis Frommhold, Chefärztin der Abteilung für Atemwegserkrankungen und Allergien an der MEDIAN Klinik Heiligendamm, hob auf die zentrale Bedeutung der transsektoralen Vernetzung medizinscher Versorgungsangebote ab: „Wichtig ist, dass alle an einem Strang ziehen, um die Menschen, die an Long- oder Post-COVID leiden, optimal zu versorgen. Auch in der Rehabilitation geht es darum, geeignete Versorgungspfade zu entwickeln, die auch die Potenziale der Digitalisierung ausschöpfen. Hier ist in den letzten Jahren sehr viel liegen geblieben. Wir sehen aber, dass COVID auch als Beschleuniger für die digitale Vernetzung wirkt. Fehlende Kapazitäten der Physio- oder Ergotherapie können so ausgeglichen werden. Aber wir müssen das jetzt angehen, viel zu viel Zeit ist schon verloren gegangen.“ Es müssten auch nicht immer neue Strukturen aufgebaut werden, dies sei auch die Chance für Zusammenarbeit. Gute Lösungen müssten allen zugänglich gemacht werden. Und auch Spöhrer hätte gerne, dass neue Informationen möglichst zeitnah in die Fläche getragen werden müssten.
Quelle: Zi
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