Das Team der Augenklinik des Universitätsklinikums Erlangen der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) hat erneut zwei Therapieversuche durchgeführt. Ein 51-jähriger Mann aus dem Allgäu und eine 39-jährige Frau aus Mittelfranken erhielten den Wirkstoff BC 007 im Rahmen einer einmaligen je 75-minütigen Infusion und blieben danach drei Tage unter stationärer Kontrolle. Seitdem werde ihr Gesundheitszustand ambulant weiter überwacht. Die verbesserte Leistungsfähigkeit und Lebensqualität sei bei beiden Betroffenen deutlich spür- und messbar, so die Uni.
Abklingen der Long-COVID-Symptome
Wie schon bei dem ersten behandelten Patienten habe BC 007 auch bei Patient zwei und Patientin drei zeitnah zum Abklingen der Long-COVID-Symptome geführt. „Nach einer COVID-19-Erkrankung zirkulieren spezielle Autoantikörper im Blut. Diese richten sich gegen den eigenen Organismus und können zum Beispiel bestimmte Körperstrukturen schädigen und die Durchblutung beeinträchtigen“, erklärt Augenärztin PD Dr. Dr. Bettina Hohberger. Das Medikament BC 007 wurde vor einigen Jahren eigentlich für Patientinnen und Patienten mit einer schweren Herzerkrankung entwickelt und könnte nun gegen Long-COVID zum Einsatz kommen. „Bei den beiden aktuell Behandelten sehen wir: BC 007 neutralisiert die schädlichen Autoantikörper, und die retinale Mikrozirkulation verbessert sich – also die Durchblutung in den feinsten Blutgefäßen des Auges. Das können wir mithilfe der Optischen Kohärenztomografie-Angiografie, der OCT-A, nachweisen. Außerdem haben die klinischen Long-COVID-Symptome bei beiden Behandelten abgenommen“, bestätigt Bettina Hohberger.
„Ich war ein Abziehbild meiner selbst“
Der zweite Patient, der den Wirkstoff gegen Long-COVID erhielt, ist der 51-jährige Oliver G. aus dem Allgäu. Im Mai 2020 riss ihn eine Corona-Infektion mitten aus dem Leben. Bis dahin war Oliver G. ein erfolgreicher, international tätiger Key Account Manager gewesen, mehrfacher Ironman und Skilangläufer mit einem gesunden Lebensstil. Infolge seiner COVID-19-Erkrankung habe er plötzlich unter starken Erschöpfungszuständen, Gleichgewichts-, Koordinations- und Gedächtnisstörungen sowie unter Muskelzuckungen und einem starken Zittern der rechten Hand und des Arms (Tremor) gelitten. „Das Zittern war so stark, dass es bis ins Bein ausstrahlte. Ich dachte irgendwann, ich habe Parkinson“, berichtet der Patient, der seinen fordernden Beruf im Vertrieb bereits im Mai 2020 aufgeben musste. „Ich war völlig desorientiert und unkonzentriert und versuchte einfach nur, zu überleben. Ich war ein Abziehbild meiner selbst – ein Zombie und nicht ich“, beschreibt Oliver G. den sogenannten Gehirnnebel in seinem Kopf (brain fog), von dem viele Long-COVID-Betroffene berichten. Eine berufliche Wiedereingliederung in seiner Firma musste er nach drei Monaten abbrechen. „Ich konnte Gesprächen nicht mehr folgen, keine Präsentationen erstellen oder Verhandlungen führen und brauchte bei allem die Unterstützung von Kollegen. Zu Hause stellten mich die kleinsten Alltagstätigkeiten vor extreme Herausforderungen, sodass ich zeitweise sogar eine Haushaltshilfe brauchte. Lesen, etwas im Garten machen, mit meinem Hund Gassi gehen – nichts ging mehr. Wegen der Gleichgewichtsprobleme waren auch Fahrrad-, Motorrad- und Autofahren nicht mehr möglich. Dazu kamen Existenzängste, Panikattacken und eine Art Gefühlsinkontinenz, wie ich es nenne: Ich konnte meine Emotionen überhaupt nicht mehr regulieren.“ Den Sport, der für Oliver G. immer ein wichtiger Ausgleich gewesen war, konnte er nicht mehr ausüben.
Infusion mit BC 007
Anfang Juli 2021 erfuhr der 51-Jährige schließlich vom ersten erfolgreichen Heilversuch gegen Long-COVID und wandte sich an die Augenklinik des Uni-Klinikums Erlangen – Ende Juli erhielt er die Infusion mit BC 007. Die Autoantikörper wurden neutralisiert, und die Durchblutung, gemessen mit der OCT-A, verbesserte sich. Schon am Tag nach der Medikamentengabe habe sich der Gehirnnebel verzogen und die Muskelzuckungen nachgelassen. An Tag zwei sei der Tremor gewichen. Im Lauf der ersten Woche hätten sich Gleichgewicht, Erschöpfungszustände, Koordination und Gedächtnisleistung deutlich gebessert. „Meine körperliche, kognitive und psychische Leistungsfähigkeit ist zurückgekehrt. Das Dahinvegetieren hat ein Ende; ich kann wieder klar denken, Freude empfinden und bin emotional stabil“, sagt der Patient und freut sich: „Im September fange ich wieder an, in meiner alten Position zu arbeiten – nach 15 Monaten! Ich bin dankbar, dass mein Arbeitgeber mich nicht aufgegeben und mich auf meinem Weg der Heilung immer unterstützt hat.“
Die bisher am schwersten betroffene Long-COVID-Patientin
Patientin drei ist eine 39-jährige Grundschullehrerin aus Mittelfranken. Auch sie habe infolge ihrer COVID-19-Erkrankung unter massiver Abgeschlagenheit, Gleichgewichts-, Koordinations-, Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen und brain fog sowie an Gangunsicherheiten und Geschmacksstörungen gelitten. Dazu seien zeitweise Lähmungserscheinungen in einer Hand und in einem Fuß gekommen. „Diese Patientin war die am schwersten von Long COVID Betroffene, die ich bisher gesehen habe“, berichtet Bettina Hohberger. „Sie war nicht mehr arbeitsfähig. Ihre Gangunsicherheiten waren massiv. Gesprächen konnte sie nur sehr schwer folgen und schlief dabei ständig ein“, berichtet die Ärztin. „Vor meiner COVID-Erkrankung war ich ein gesunder Mensch. Ich war dreimal in der Woche joggen und leidenschaftliche Fahrradfahrerin. Auch mich hat COVID plötzlich aus meinem Leben gerissen. Die überwiegende Zeit lag ich im Bett und konnte nicht mal lesen“, schildert die Patientin. „Bereits der Besuch beim Arzt, kurze Gespräche mit Kollegen oder ein kurzer Spaziergang lösten bei mir für einige Stunden Lähmungserscheinungen aus. An den schlimmsten Tagen blieb auch die Sprache trotz klarer Gedanken kurzzeitig weg. Ohne meinen Mann, meine Eltern und unsere hilfsbereiten Freunde hätte ich das alles nicht geschafft“, sagt sie.
Brain fog ließ deutlich nach
Auch die 39-Jährige bekam BC 007 in der Erlanger Augenklinik. „Schon an Tag eins nach der Gabe des Medikaments ließ der brain fog deutlich nach“, sagt Bettina Hohberger. „Zudem bessern sich seitdem ihre neurologischen Einschränkungen und die Erschöpfung zusehends.“ Auch bei dieser Patientin greife der Wirkstoff erfolgreich in den molekularen Pathomechanismus ein: Die Autoantikörper gegen G-Protein-gekoppelte Rezeptoren seien neutralisiert worden, und in der klinischen Diagnostik habe sich eine Verbesserung der Augendurchblutung gezeigt. „Nach und nach spüre ich die Verbesserung meiner neurologischen Symptome. Lähmungserscheinungen hatte ich seit der Infusion nicht mehr. So langsam gewinne ich wieder Vertrauen in meinen Körper. Wenn ich nun wieder Laufen übe oder mit meinen Kindern etwas spiele, spüre ich zwar, dass mein Körper noch schneller erschöpft ist als vor der Krankheit, aber ich erhole mich davon nach einer Ruhephase. Das war vor der Medikamentengabe nicht möglich“, berichtet die Patientin. „Ich freue mich täglich über jede Verbesserung und bin überglücklich, dass ich anfangen kann, wieder für meine Kinder da zu sein. Ich nähere mich meinem großen Traum: Selbstständigkeit, für meine Familie da sein und dann endlich wieder für meine Schulkinder. Ich bin stolz auf die Forschung hier in Erlangen und unendlich dankbar für die sehr kompetente und liebenswürdige Arbeit und Betreuung und hoffe, dass bald noch vielen Long-COVID-Patienten mit dem Medikament geholfen werden kann“, so die 39-Jährige am zehnten Tag nach ihrer Behandlung.
Keine weiteren Heilversuche – Warten auf klinische Studie
Auch Patient Nummer eins – dem 59-jährigen Bankkaufmann aus dem Landkreis Coburg – gehe es drei Monate nach dem initialen Heilversuch am Uni-Klinikum Erlangen weiterhin gut. Er habe keine Long-COVID-spezifischen Beschwerden mehr, fühle sich fit und sei aktiv, so die FAU. Prof. Dr. Christian Mardin, leitender Oberarzt der Augenklinik, betont: „Eine vierte Behandlung mit BC 007 haben wir kürzlich noch durchgeführt. Jetzt wird es keine weiteren Heilversuche bei Patientinnen oder Patienten mit Long-COVID mit dem Medikament BC 007 mehr geben. Wir haben beim Bundesministerium für Bildung und Forschung einen Antrag auf Fördergelder gestellt und hoffen, dass er bewilligt wird. Dann könnten wir vielleicht noch dieses Jahr mit einer klinischen Studie starten.“
Quelle: idw/Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
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