Jährlich nimmt die Anzahl der Flugreisenden um circa sechs Prozent zu und liegt derzeit bei geschätzten 3,7 Milliarden. Soziale und ökonomische Ungleichheit machen zudem etwa 100 Millionen Menschen pro Jahr zu Wanderarbeitern und fast ebenso viele sind vor Krieg und Verfolgung auf der Flucht. Eine kleine Gruppe wohlhabender Menschen aus Europa, Nordamerika und China schließlich reist zu kostengünstigen medizinischen Eingriffen insbesondere nach Indien.
Es wird geschätzt, dass der Medizintourismus allein dort jährliche Zuwachsraten von 30 Prozent aufweist. Vor diesem Hintergrund kommt gerade der Besiedelung mit multiresistenten Bakterien eine besondere Bedeutung zu, da diese häufig nach Krankenhausaufenthalten im Ausland als unerwünschte Mitbringsel nach Deutschland eingeschleppt werden.
Das MEDICA LABMED FORUM, ein neues Programmelement der Medizinmesse MEDICA in Düsseldorf (13. – 16. November), greift das Thema „Gefährliche Reisebegleiter“ am 16. November in der Zeit von 11 bis 16 Uhr auf. In Vorträgen präsentieren Mediziner und Biologen aktuelle Probleme und zeigen in der interdisziplinär angelegten Podiumsdiskussion mögliche Lösungsszenarien auf. „Wir haben uns einen aktuellen Schwerpunkt ausgesucht, der zurzeit viele Menschen bewegt und zu dem die Labormedizin viel zu sagen hat“, so Prof. Dr. Georg Hoffmann, der für die Gesamtorganisation des Forums verantwortlich zeichnet.
PD Dr. Beniam Ghebremedhin, leitender Oberarzt am Institut für medizinische Labordiagnostik am Helios Universitätsklinikum Wuppertal, übernimmt den fachlichen Vorsitz an diesem Tag und führt durch das Programm. „Um einen Patienten behandeln zu können, muss ich wissen, woher er stammt, welche Erreger er mitgebracht haben könnte, oder welchen multiresistenten Infektionserregern er möglicherweise ausgesetzt war“, erklärt der Facharzt für Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie. „Das ist vor allem elementar, wenn es um multiresistente Keime geht. In meinem Vortrag widme ich mich den gramnegativen Bakterien, die zunehmend an Bedeutung gewinnen, zum Beispiel Escherichia coli, Klebsiella pneumoniae oder Acinetobacter baumannii.“
Geringer Zugang zu adäquater medizinischer Versorgung
„Infektionskrankheiten sind bei Geflüchteten generell häufig anzutreffen. Die Gefahr einer Ausbreitung auf die weitere Bevölkerung ist aber sehr gering und bisher auf Einzelfälle beschränkt“, beruhigt Prof. Dr. August Stich, Chefarzt der Tropenmedizinischen Abteilung am Klinikum Würzburg Mitte. „Hingegen sind die Geflüchteten selbst aufgrund ihrer Lebensbedingungen und des geringeren Zugangs zu adäquater medizinischer Versorgung die Gefährdeten. Wenn sich also Erkrankungen wie Krätze, Tuberkulose, Masern, Windpocken oder Durchfallerkrankungen ausbreiten, dann in den Unterkünften unter den Flüchtlingen selbst. Hier sind Maßnahmen der Hygiene, rasche Impfkampagnen, vor allem aber das Absenken von Barrieren beim Zugang zu Gesundheitsversorgung die entscheidenden Maßnahmen“, mahnt der Tropenmediziner.
Hochkontagiöse, lebensbedrohliche Erkrankungen werden selten nach Deutschland eingeschleppt. Doch welche Maßnahmen greifen, wenn diese bei Reiserückkehrern, Migranten oder Flüchtlingen dennoch auftreten sollten? Gibt es ausreichend Behandlungseinrichtungen und speziell geschultes Fachpersonal?
„Deutschland ist in Bezug auf die Behandlung von importierten Fällen mit hochpathogenen Erregern wie Ebola, Lassa-Fieber oder Lungenpest gut vorbereitet. Es gibt im Land sieben hoch spezialisierte Sonderisolierstationen, die solche Patienten nach höchsten Standards behandeln können. Es besteht eine intensive gegenseitige Vernetzung und eine enge Kooperation zu den öffentlichen Gesundheitsbehörden“, beschreibt Stich die Situation. Wichtig sei die Früherkennung solcher Fälle, um deren schnelle Isolation und fachgerechte Versorgung zu ermöglichen. ###more###
Tuberkulose - Identifizierung von Biomarkern
Oberstarzt PD Dr. Roman Wölfel von der Sanitätsakademie der Bundeswehr weist darauf hin, dass Ausbrüche gefährlicher Krankheiten immer wieder in Ländern auftreten, in denen das Gesundheitssystem durch Armut und Konflikte bereits geschwächt ist. In solchen Fällen werden andere Nationen auch in Zukunft schnell Hilfe leisten müssen.
In einem weiteren Kurzvortrag berichtet Dr. med. Christian Herzmann von seiner Arbeit am Forschungszentrum Borstel. Dieses hat im Bereich der Tuberkulose folgende Ziele: „Es sollen sogenannte Biomarker identifiziert werden, anhand derer die Erkrankung von Personen vorhergesagt werden kann, die Tuberkulosebakterien ausgesetzt waren. Zudem suchen wir nach Biomarkern, die Ärzten mitteilen können, wann eine Therapie beendet werden kann, ohne dass ein Rückfallrisiko besteht. Das wird flankiert von Forschung im Bereich der Diagnostik (zum Beispiel Erkennung der Tuberkulosebakterien durch ein Kaugummi) und Ausbau von Kapazitäten in der medizinischen Versorgung und Forschung in betroffenen Ländern. Kooperationen bestehen unter anderem mit Moldawien, wo die höchsten Raten von resistenter Tuberkulose in Osteuropa vorliegen, und mit Namibia, das die weltweit fünft-höchste Tuberkuloserate hat.“
Da die Tuberkulose grundsätzlich wenig ansteckend sei, könne man sich schützen und auch die Krankheit heilen. „Wichtig ist, dass ärztliche Kollegen, die nicht oft eine Tuberkulose sehen, immer wieder daran denken, um keine Kranken zu übersehen. Für die deutsche Bevölkerung besteht nach derzeitigem Stand keine erhöhte Gefahr. Im Gegenteil, der Anteil an Tuberkulosekranken, die in Deutschland geboren sind sinkt jedes Jahr“, weiß der Oberarzt vom Klinischen Studienzentrum.
Verschiedenartige multiresistente gramnegative Bakterien
Einen Blick auf den Umgang mit dem HIV-Heimtest wirft Prof. Dr. Lutz Gürtler, Virologe und der Entdecker des HIV-Subtyps O. „Ziel ist es, die HIV-Neuinfektionsrate zu senken. Nach EU-Richtlinien kann die HIV-Selbsttestung vom Bundesgesundheitsministerium nicht verboten – oder nur zeitlich beschränkt werden“, das sei bekannt. Die entscheidenden Punkte aber sind für Gürtler: „Wie reagiert man in Deutschland auf die Unsicherheit nach einer HIV-Selbsttestung, welche Alternativen bietet man an und wie werden die Angebote bei den Betroffenen-Verbänden auf- und angenommen.“
„Aktuelle Studien zur MRSA-Besiedlung bei Flüchtlingen und Asylsuchenden in Deutschland zeigen, dass die MRSA-Prävalenzen in dieser Gruppe höher sind als bei den ,klassischen‘ Risikogruppen für MRSA“, konstatiert Dr. Franziska Layer vom Robert Koch-Institut (RKI). Das RKI empfehle dementsprechend ein Screening auf MRSA bei Aufnahme in ein Krankenhaus bei Asylsuchenden in den ersten 12 Monaten nach Ankunft in Deutschland. Dabei betont die Wissenschaftlerin der Fachgruppe Nosokomiale Infektionserreger und Antibiotikaresistenzen, Nationales Referenzzentrum für Staphylokokken und Enterokokken, dass sich das Risiko nicht aus dem Zustand ergebe, Asylsuchender zu sein, sondern daraus, in bestimmten Ländern mit hoher MRE-Prävalenz und eingeschränkter medizinischer und hygienischer Versorgung gelebt zu haben und geflohen zu sein. Für das weitere Vorgehen würden die KRINKO-Empfehlungen zu MRSA gelten. „Zu VRE und Migranten liegen keine speziellen Informationen vor, beziehungsweise die begrenzten Daten, die vorliegen, deuten keine erhöhte Prävalenz in dieser Bevölkerungsgruppe an“, so Layer.
Auf die Situation der verschiedenartigen multiresistenten gramnegativen Bakterien, den 3MRGN und 4MRGN, geht Dr. Yvonne Pfeifer ein: „3MRGN, einschließlich der ESBL-Bildner, sind resistent gegenüber drei häufig zur Therapie eingesetzten Antibiotikagruppen. Mit Carbapenem-Antibiotika ist eine 3MRGN-Infektion aber noch behandelbar. 4MRGN, einschließlich der Carbapenemase-Bildner, sind im Vergleich zu 3MRGN zusätzlich resistent gegenüber Carbapenem-Antibiotika. In Falle einer 4MRGN-Infektion gibt es nur noch wenige Einzelsubstanzen, die für eine erfolgreiche Therapie infrage kommen. In anderen europäischen Ländern wurden bereits 4MRGN gefunden, die gegen sämtliche verfügbare Antibiotika resistent waren. Daher ist der Nachweis von 4MRGN in Deutschland meldepflichtig, und es sind Maßnahmen zu ergreifen, die die Verbreitung dieser Erreger verhindern.“
Quelle: Medica, 03.11.2017
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