Neue Rechtsprechung 2021

I. Rufbereitschaft oder Bereitschaftsdienst, sogenannte Arbeitszeit auf Abruf Der EuGH unterscheidet bei seiner Wertung als Arbeitszeit zwischen dem Bereitschaftsdienst und der Rufbereitschaft. Als vergütungspflichtige Arbeitszeit gilt nur der Bereitschaftsdienst, bei dem sich die oder der Beschäftigte, außerhalb der regulären Arbeitszeit, am Arbeitsort aufhalten muss, um bei Bedarf die Arbeitsleistung dem Arbeitgeber zur Verfügung zu stellen (siehe unter anderem EuGH, BeckRS 2004, 76174; EuGH, BeckRS 2011, 80562; zusammenfassend Krimphove, ArbRAktuell 2021, 1). Bei der Rufbereitschaft, bei der die beziehungsweise der Beschäftigte sich an einem selbstbestimmten Ort außerhalb seiner regulären Arbeitszeit dem Arbeitgeber zur Verfügung halten muss, um seinen Dienst antreten zu können, ist nur die nach dem Ruf des Arbeitgebers aufgewandte Zeit Arbeitszeit und als solche zu vergüten (EuGH, BeckRS 2004, 76174, 74468, Rn. 58 ff. mit weiteren Nachweisen). Da die Rufbereitschaft Beschäftigte in der Ausübung ihrer Freizeit erheblich beeinträchtigen kann, wie beim Bereitschaftsdienst, war die Frage zu entscheiden, ob die Rufbereitschaft dann noch als unbezahlte „Freizeit“ gelten kann.

Der EuGH hat dazu die bisherige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu den fragwürdigen Kriterien, Aufenthalt der Beschäftigten, zeitliche Erreichbarkeit und Zugehörigkeit zu einer bestimmten Berufsgruppe, aufgegeben und nimmt die Abgrenzung nun danach vor, inwieweit Beschäftigte in ihrem Freizeitverhalten wesentlich beeinträchtigt werden. Können die betroffenen Beschäftigten ihre Freizeit während einer Rufbereitschaft zum größten Teil nicht selbstbestimmt nutzen, das heißt eigene Freizeitaktivitäten planen und durchführen, ist diese Zeit als Arbeitszeit zu vergüten. Dem lag zum einen die Entscheidung in der Rechtssache C-344/19 (BeckRS 2021, 3588) zugrunde, in der ein Techniker neben seiner regulären Arbeitszeit täglich sechs Stunden Bereitschaftsdienst leistete, in denen er auf Abruf durch den Arbeitgeber innerhalb einer Stunde am Arbeitsplatz sein musste. Dies hatte zur Folge, dass der Techniker gezwungen war, sich an einem Ort ohne große Freizeitmöglichkeiten aufzuhalten. Der EuGH bejahte hier eine Vergütung der Rufbereitschaft als Arbeitszeit. Zum anderen lag dem die Entscheidung zugrunde, dass ein Feuerwehrmann regelmäßig Bereitschaftszeiten in Form von Rufbereitschaft leistete (BeckRS 2021, 3578). Er musste sich nicht an einem bestimmten Ort aufhalten, hatte aber, im Abruffall, nur 20 Minuten Zeit, in seiner Einsatzkleidung mit seinem Einsatzfahrzeug die Stadtgrenze zu erreichen. Die freie Gestaltung der Freizeit in der Rufbereitschaft war somit erheblich beeinträchtigt. Der EuGH sprach folglich dem Beschäftigten für seine Rufbereitschaft einen Vergütungsanspruch zu. Auch das BAG hat einen Busfahrer, der sich zur Erreichbarkeit nur zu Hause aufhalten durfte, schon im Jahr 1986 einen Entgeltanspruch wegen der Beeinträchtigung seines Freizeitverhaltens anerkannt, sodass zu erwarten ist, dass das Kriterium der Freizeitbeeinträchtigung nun auch hier das entscheidende Kriterium für Arbeitszeit und damit den Vergütungsanspruch ist.

Was heißt das für MTA? Sofern bei Rufbereitschaft der Zeitraum vom Abruf bis zum Einsatzort Ihre Freizeit beeinträchtigt, da Sie zum Beispiel innerhalb von 20 Minuten am Arbeitsort sein müssen, stellt dies vergütungspflichtige Arbeitszeit dar. Zudem hat der EuGH diese Grundsätze auch auf Pausenzeiten übertragen (BeckRS 2021, 3588, Rn. 37), da die Situation, dass ein Betriebsfeuermann auch in seiner Pause erreichbar sein muss, der der Rufbereitschaft und des Bereitschaftsdienstes vergleichbar ist. Auch die Abgrenzung von Arbeitszeit i. S. d. Art. 2 Rl 2003/88 und Pausenzeit ist danach vorzunehmen, ob der Arbeitnehmer seine Zeit selbst frei gestalten und nach eigenen Interessen nutzen kann, da dies der Zweck der Arbeitspause sei. Eine Erreichbarkeit und hier zweiminütige vollständige Einsatzbereitschaftspflicht widersprechen diesem Zweck. Die Pause ist daher als vergütungspflichtige Arbeitszeit zu werten.

Viele MTA berichten, dass sie auch während ihrer Pause stets bei Abruf unverzüglich arbeiten müssen, da zum Beispiel kein Springer da ist. Das Freizeitverhalten in der Pause ist daher eingeschränkt, sodass die Pause als vergütungspflichtige Arbeitszeit zu werten ist.

II. Kettenbefristung Der EuGH entschied (BeckRS 2021, 12692), dass eine Kettenbefristung berechtigt sein kann, wenn der Arbeitgeber die Dauer aufeinanderfolgender Arbeitsverträge und/oder die zulässige Zahl der Verlängerungen nachvollziehbar begrenzt. Dies war im Streitfall gegeben, da der Nachwuchswissenschaftler einen mit dem Grund universitäre Bildung befristeten Vertrag für drei Jahre und einen von vornherein auf zwei Jahre befristeten Nachfolgevertrag erhielt. Ein anderer anerkannter Grund sei auch eine bestimmte Qualifikation der Beschäftigten.

Was heißt dies für MTA? Sofern die hintereinander erfolgende Befristung und/oder die Zahl der zulässigen Befristungen von vornherein klar ist, sind diese als wirksame Kettenbefristung anzusehen.

III. Anerkennung von beruflichen Qualifikationen Im Fall einer litauischen Pharmaziestudentin entschied der EuGH (BeckRS 2021, 17493) über die Teilanerkennung von Qualifikationen. Die Pharmaziestudentin hatte ihre Masterprüfung erfolgreich in Großbritannien abgeschlossen. Um in Großbritannien als Apothekerin arbeiten zu können, musste sie zusätzlich ein einjähriges Praktikum machen, welches sie aus persönlichen Gründen nur zur Hälfte absolvieren konnte. Die andere Praktikumshälfte leistete sie in Litauen. Die litauischen Behörden erkannten zwar den Masterabschluss nicht aber die Praktikumszeit in England an. Sie versagten daher, wegen der nur hälftigen Praktikumszeit, die Zulassung zum Apothekerberuf. Dem folgt auch der EuGH. Die Anerkennungs-Rl 2005/36 verfolge das Ziel, eine in einem anderen Mitgliedstaat vollständig abgeschlossene Ausbildung anzuerkennen (Rn. 26 f.). Gerade an diesem Erfordernis fehlt es aber bei dem nur teilweise absolvierten Praktikum (Rn. 28). Die Mitgliedstaaten sind allerdings nach Art. 15 II GRC und Art. 45 AEUV verpflichtet, den in einem anderen Mitgliedstaat abgeleisteten Teil einer Berufsausbildung daraufhin zu überprüfen, ob er ihren Berufsanforderungen entspricht. Tut er das nicht, kann der Mitgliedstaat von der Kandidatin verlangen, den noch fehlenden Teil der Ausbildung in seinem Inland nachzuholen (Rn. 38; auch EuGH, BeckRS 2010, 91368, Rn. 72), um dann die gesamte Ausbildung anzuerkennen.

Anders wäre der Fall zu beurteilen, wenn es sich um einen anderen europäischen Mitgliedstaat gehandelt hätte. Eine Anerkennung wäre i. S. d. Art 1 i.V.m. Art 10 lit. b Rl 2005/36 möglich.

Fazit für MTA? Sofern Teile der Ausbildung oder des Studiums in einem anderen Land absolviert werden, sollte vorab schon die Anerkennung geklärt werden, um später die volle Anerkennung zu erhalten.

Sofern die Versagung der Anerkennung an ein bestimmtes Alter geknüpft werden sollte, sollte immer auch geprüft werden, ob dies nicht eine unzulässige Benachteiligung wegen des Alters ist (Art. 21 GRC und nach Art. 6 Abs. 1 Rl 2000/78/EG).

IV. Diskriminierungsverbot Nach der bisherigen Rechtsprechung des EuGH bestand die Gleichbehandlungspflicht nach Art. 157 AEUV dann, wenn Arbeitgeber männliche wie weibliche Beschäftigte trotz gleicher Arbeit ungleich behandelten. Der EuGH nimmt nun eine Gleichbehandlungspflicht nicht nur für die gleiche, sondern für eine gleich„wertige“ Arbeitsleistung an. Im konkreten Fall übten die Frauen andere Tätigkeiten aus, die der Arbeitgeber daher anders vergütete. Dies hielt der EuGH nicht für gerechtfertigt. Der EuGH sah in der arbeitgeberseitigen Praxis, die Frauen ungleich zu entlohnen, eine unzulässige geschlechtsbezogene Diskriminierung.

Fazit für MTA? Als Frauenberuf ist die Rechtfertigung für eine Diskriminierung nun schon bei einer gleichwertigen Tätigkeit gegeben und nicht erst bei einer gleichen Tätigkeit im Vergleich zu männlichen MTA.

Entnommen aus MTA Dialog 2/2022

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