Die Wissenschaftler nutzten für ihre Untersuchung ein lange bekanntes Phänomen: Zeigt man Menschen nacheinander zwei Bilder, nehmen diese das zweite nur dann bewusst wahr, wenn der zeitliche Abstand zum ersten lang genug ist. Die Teilnehmer der Studie sahen auf dem Computerschirm eine Abfolge von Fotos, die im Abstand von etwas mehr als einer zehntel Sekunde wechselten. Zuvor hatte man den Probanden zwei Motive gezeigt, auf die sie besonders achten sollten. Am Ende mussten sie angeben, ob sie diese beiden Motive im Strom der anderen Bilder gesehen hatten.
Zeitlicher Abstand variiert
„Wir haben nun den zeitlichen Abstand zwischen den beiden gesuchten Fotos variiert“, erklärt Dr. Thomas P. Reber, einer der Autoren der Studie: „Mal erschienen sie direkt hintereinander auf dem Monitor, mal waren ein anderes Foto oder sogar mehrere dazwischen. Wenn die Motive direkt aufeinander folgten, gaben die Versuchsteilnehmer später in etwas weniger als der Hälfte der Fälle an, nur das erste gesehen zu haben. So können wir bewusste mit unbewusster Verarbeitung von identischen Bildpräsentationen vergleichen.“
Epilepsie-Patienten ins Gehirn geschaut
Reber arbeitet an der Klinik für Epileptologie des Universitätsklinikums Bonn – einem der größten Epilepsiezentren Europas. Hier werden unter anderem Patienten behandelt, die unter schweren Formen einer so genannten Schläfenlappen-Epilepsie leiden. Dabei versucht man, das defekte Nervengewebe operativ zu entfernen, das die Krampfanfälle auslöst. Um den Krampfherd zu lokalisieren, werden dazu in manchen Fällen zunächst Elektroden ins Gehirn der Kranken implantiert. Über diese lässt sich die Aktivität der Nervenzellen aufzeichnen. Als Nebeneffekt können Forscher diesen Umstand auch nutzen, um den Patienten gewissermaßen beim Denken zuzuschauen.
So auch in der aktuellen Studie: Die 21 Teilnehmer waren allesamt Epilepsie-Patienten, denen haarfeine Spezialelektroden in den Schläfenlappen eingesetzt worden waren. „Damit konnten wir die Reaktion einzelner Nervenzellen auf visuelle Reize messen“, erläutert der Leiter der Arbeitsgruppe Kognitive und Klinische Neurophysiologie Prof. Dr. Dr. Florian Mormann. „Wir wollten so herausfinden, inwiefern sich die Verarbeitung von Bildern unterscheidet – je nachdem, ob sie bewusst wahrgenommen wurden oder nicht.“
Gesehen: ja; wahrgenommen: nein
Wenn ein Bild auf die Netzhaut fällt, leitet der Sehnerv die dazu gehörigen Reize zunächst an die Hinterseite des Schädels zum so genannten visuellen Cortex. Dort verzweigt sich das Signal; ein Teil läuft durch den Schläfenlappen zurück Richtung Stirn. Die Messungen zeigen, wie sich die elektrischen Pulse auf diesem Weg verändern: „Im hinteren Bereich des Schläfenlappens – also dem, der früher in der Verarbeitungskette liegt – gibt es kaum Unterschiede zwischen bewusst und unbewusst verarbeiteten Bildern“, erläutert Dr. Reber. „Die Trennung zwischen ‚bewusst‘ und ‚unbewusst‘ erfolgt erst danach – und damit deutlich später, als viele Forscher bislang vermuteten: Auf dem Weg in die vorderen Teile des Schläfenlappens erfolgen die Pulse bei unbewussten Bildern mit einer immer größeren Zeitverzögerung. Zudem werden sie auf ihrer Reise immer schwächer.“
Neue Erkenntnisse über Grenze zwischen bewusst und unbewusst
Das Auge registriert also das Foto und erzeugt ein entsprechendes Signal. Dieses scheint jedoch auf dem Weg ins Bewusstsein zu „versickern“; der Proband nimmt das Bild also nicht wahr. „Es ist schon erstaunlich“, meint Reber: „Wir können mit unseren Messungen nachweisen, dass der Patient ein bestimmtes Motiv gesehen hat – auch wenn der diese Tatsache auf Nachfrage verneint.“ Die Grundlagenarbeit liefert somit neue Erkenntnisse über die Grenze zwischen bewusst und unbewusst. (idw, red)
Thomas P. Reber, Jennifer Faber, Johannes Niediek, Jan Boström, Christian E. Elger, Florian Mormann: Single-neuron correlates of conscious perception in the human medial temporal lobe. Current Biology; DOI: 10.1016/j.cub.2017.08.025.
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