„Wir haben erstmalig ein KI-basiertes Prognosemodell für Dickdarmkrebs entwickelt, welches den sogenannten ‚AImmunoscore‘ aus einer Vielzahl von mikroskopischen Bildern des Tumorgewebes ermittelt. Der große Vorteil liegt darin, dass unser sogenanntes ‚Multistain Deep Learning‘-Modell eine viel genauere Prognosevorhersage liefert – genauer als andere klinische, molekulare oder Immunzell-basierte Modelle. Verglichen mit der bislang üblichen manuellen Zählung von Immunzellen und den vorherrschenden einfachen statistischen Verfahren, ermöglicht das neuentwickelte Modell somit eine bessere Vorhersage darüber, ob eine Krebstherapie anspricht und wie die Überlebenschancen der Betroffenen sind“, erläutert Dr. Sebastian Försch, Erstautor der Publikation und Arzt am Institut für Pathologie der Universitätsmedizin Mainz.
Immunzellen im Tumorgewebe als Indikator
Immunzellen, die sich im Tumorgewebe aufhalten, können einen Aufschluss darüber geben, wie hoch die Überlebenschancen der Betroffenen sind. Die erworbene oder sogenannte adaptive Immunabwehr bekämpft Tumorzellen und andere Erreger. Dafür setzt das Immunsystem Immunzellen mit unterschiedlichen Funktionen ein. Die Art und Anzahl der Immunzellen, die sich im Tumor und seiner Umgebung aufhalten, sind ein Indikator dafür, wie effektiv die Tumor-Immunabwehr ist. Bisher gibt es jedoch keine Immunzell-basierte KI-Anwendung, die in der Klinik eingesetzt wird.
Umfassende Bildanalyse
Um den KI-Algorithmus mit Hilfe von Deep Learning zu trainieren, haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler über 300.000 mikroskopische Bilder von rund 1000 Betroffenen mit Dickdarmkrebs verwendet. Durch die Bildanalyse der verschiedenen Immunzellen konnte das Programm den AImmunoscore bestimmen und damit die Rezidiv-freie Überlebenschance vorhersagen. Die Genauigkeit des innovativen Modells lag dabei bei rund 80 Prozent. Mithilfe des Modells konnten die Forschenden die Patient:innen dahingehend einordnen, ob sie ein erhöhtes Risiko für einen Rückfall (Rezidiv) haben oder nicht.
Genauigkeit von 74 Prozent
Zudem hat das Forschungsteam ihr Multistain Deep Learning-Modell bei Patientinnen und Patienten getestet, die sich einer neoadjuvanten, sprich einer vor der Operationen durchgeführten, Radiochemotherapie unterzogen haben. Ziel war es, vorhersagen zu können, ob die Therapie bei den Betroffenen ansprechen würde. Von den 117 Patientinnen und Patienten wurden 86 richtig eingestuft, das entspricht einer Genauigkeit von rund 74 Prozent.
Ausblick und Visionen
Die Forschenden der Universitätsmedizin Mainz kooperierten für dieses interdisziplinäre Projekt mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus anderen Mainzer Institutionen sowie aus Erlangen, Kiel, München, Aachen, Dresden und Marburg. Im nächsten Schritt sollen die Forschungsergebnisse in großen prospektiven Multizentrumsstudien bestätigt und das Prognosemodell weiter optimiert werden. Zu den Visionen des Forschungsteams ergänzt Försch: „Aktuell verfügbare Modelle sind teilweise durch Patente geschützt und nahezu ausschließlich kommerziell erhältlich. Wir möchten das Programm frei zur Verfügung stellen und für alle Forschenden weltweit nutzbar machen. Unsere Vision ist es, eine webbasierte Anwendung zu entwickeln, auf die Ärztinnen und Ärzte Bilddaten hochladen und sofort eine Prognoseeinschätzung für ihre Patientinnen und Patienten erhalten können. Dies würde die Behandlung von Dickdarmkrebs nachhaltig verbessern.“
Bundesweit 61.000 Betroffene jährlich
Darmkrebs zählt zu den weltweit häufigsten Tumorerkrankungen. In den westlichen Industrienationen ist er für rund zehn Prozent alles krebsbedingten Todesfälle verantwortlich. In Deutschland erkranken jährlich rund 61.000 Menschen neu an Darmkrebs – das sind rund 10 Prozent der neuen Tumorerkrankungen. Wird der Tumor rechtzeitig entdeckt, können im ersten Stadium fast alle Betroffenen langfristig geheilt werden. Hier können KI-unterstützte Prognosemodelle einen entscheidenden Beitrag leisten.
Quelle: Universität Mainz
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