Einschätzungen darüber, wie Menschen ihr künftiges Wohlergehen einschätzen, sind Grundlage vieler Entscheidungen. Menschen können ihr subjektives Wohlbefinden eher schlecht vorhersagen, berichten nun Dr. Reto Odermatt und Prof. Dr. Alois Stutzer von der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Basel. Für ihre Studie verwendeten sie Daten aus einer wiederholten Befragung von mehr als 30.000 Personen in Deutschland.
Die beiden Forscher verglichen die prognostizierte Lebenszufriedenheit mit der fünf Jahre später tatsächlich realisierten Lebenszufriedenheit der Befragten. Dabei konzentrierten sie sich auf Menschen, die gerade große Lebensereignisse wie Heirat, Tod des Partners, Invalidität, Arbeitslosigkeit, Trennung oder Scheidung erlebt hatten. Dabei zeigte sich, dass sich die Ereignisse auf die vorhergesagte Zufriedenheit langfristig schwächer auswirken als von den Befragten angenommen.
Die untersuchten Lebensereignisse schlugen sich wie erwartet deutlich im subjektiven Wohlbefinden der Betroffenen nieder: Positive Ereignisse waren mit einem starken Anstieg und negative Ereignisse mit einer starken Verringerung der Lebenszufriedenheit verbunden. Doch Menschen überschätzten systematisch, wie lange der Einfluss eines Ereignisses anhält. Die Ausschläge der Lebenszufriedenheit hielten nicht lange an, sondern pendelten sich ganz oder teilweise auf das langfristige Niveau der Vorjahre ein.
Der Effekt der Gewöhnung
So überschätzten frisch Verheiratete, wie zufrieden sie in fünf Jahren sein werden. Im Gegensatz dazu unterschätzen Menschen ihre künftige Lebenszufriedenheit nach negativen Ereignissen: etwa Personen, die kürzlich ihre Arbeitsstelle verloren haben, invalide oder teilinvalide geworden sind oder deren Partnerin oder Partner gestorben ist. Mit einer Ausnahme: Nach einer Trennung vom Partner schätzten die Befragten die Veränderung ihrer Lebenszufriedenheit fünf Jahre später ziemlich richtig ein.
„Unsere Resultate liegen quer zur grundlegenden Annahme der ökonomischen Theorie, dass Individuen in der Regel korrekt vorhersagen können, was ihnen wie viel Nutzen bringt“, erläutern die Forscher. Als Ursache für Fehleinschätzungen könnte der Effekt der Gewöhnung infrage kommen: Demnach würden Menschen zu wenig bedenken, dass sie sich an positive und negative Umstände gewöhnen und sich anpassen können. Dadurch verlieren Ereignisse und neue Umstände an Attraktivität – oder werden weniger belastend.
Fehleinschätzungen können zu Verzerrungen in Entscheidungen führen, so die Forscher weiter, wenn die Gewöhnung nicht mit einbezogen wird. Menschen könnten sich anders entscheiden, wenn ihnen vorher bewusst wäre, wie schnell sie sich an gewisse veränderte Lebensumstände gewöhnen. Zudem ist das Risiko von Fehleinschätzungen besonders groß, wenn Abwägungen zwischen verschiedenen Lebensbereichen getroffen werden müssen – oder zwischen Aktivitäten und Gütern, an die sich Menschen möglicherweise ganz unterschiedlich gewöhnen. So zeigt sich etwa, dass die Gewöhnung bei materiellen Gütern hoch und bei sozialen Umständen eher gering ausfällt.
Reto Odermatt, Alois Stutzer
(Mis-)Predicted Subjective Well-Being Following Life Events
Journal of the European Economic Association (2019), doi: 10.1093/jeea/jvy005
Quelle: Universität Basel, 11.02.2019
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