Unkraut im Gehirn

Struktur von Proteinaggregaten
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Bei neurodegenerativen Krankheiten sammeln sich Proteinablagerungen in den Nervenzellen an. Sind sie einmal vorhanden, wuchern sie wie Unkraut. Ob und wie diese Ablagerungen Nerven schädigen, ist bisher noch unklar. Doch ein neuer Blick in die Struktur der Proteine soll Forschern nun helfen.

Alzheimer, Parkinson und Huntington – neurodegenerative Krankheiten haben die Gemeinsamkeit von Proteinablagerungen im Gehirn. Bei diesen Krankheiten läuft es ähnlich wie mit dem Unkraut – nimmt es einmal Überhand, wird es schwierig für die Zierpflanzen zu wachsen. Dabei übernehmen molekulare Maschinen, große Proteinkomplexe, die Aufgabe des Gärtners. Sie steuern die lebenswichtigen Prozesse, indem sie Proteine in die richtige Form bringen und diese pflegen.

Damit diese Proteine ihre Aufgaben erfüllen können, müssen sie die richtige dreidimensionale Struktur haben. Die Aminosäuren dieser Proteine werden in eine komplexe Faltung gebracht – ist diese Anordnung fehlerhaft, werden die defekten Proteine abgebaut. Geschieht dies aber nicht, können sie verklumpen und Ablagerungen bilden. Diese Proteinaggregate wirken toxisch auf Zellen. In Gehirnen von Patienten mit neurodegenerativen Krankheiten wie Alzheimer oder Parkinson treten solche Aggregate auf. Unklar ist jedoch, wie diese Zellen durch die Aggregate geschädigt werden. Unter der Leitung von Wolfgang Baumeister, Ulrich Hartl und Rüdiger Klein konnte ein Team nun eine hochauflösende 3D-Struktur der Proteinaggregate, die mit der Huntington-Krankheit assoziiert sind, in ihrer intakten zellulären Umgebung entschlüsseln.

Durch eine neuartige Technik der Strukturforschung, der Kryo-Elektronentomographie, war dies möglich. Hierbei werden Zellen blitzartig eingefroren und mit dem Elektronenmikroskop zweidimensionale Aufnahmen aus verschiedenen Winkeln erstellt. Am Computer werden die Aufnahmen dann zu einem hochaufgelösten Modell zusammengesetzt. „Mit dieser Methode können wir eine Momentaufnahme der Struktur von Proteinen in intakten Zellen erstellen und analysieren, mit welchen anderen Zellbestandteilen diese Proteine interagieren“, erklärt Rubén Fernández-Busnadiego, Koordinator der Studie, die Besonderheiten dieser Technik.

Verklebte Proteinaggregate

Bei der Untersuchung dieser Aufnahme fanden die Wissenschaftler Einschlusskörper, die aus verklebten, faserartigen Bündeln des Huntington-Proteins (Fibrillen) bestanden. Bei Huntington ist dieses Protein aufgrund einer Veränderung eines einzelnen Gens fehlerhaft. Dadurch werden im fertigen Protein vermehrt der Proteinbaustein Glutamin an das Ende geheftet, wodurch das fehlerhafte Huntington-Protein besonders klebrig ist und leicht zu unlöslichen Knäueln verklumpt. „Mit der Zeit lagern sich immer mehr solcher Proteinaggregate ab“, erklärt Felix Bäuerlein, Erstautor der Studie.

So wie Unkraut auch auf andere Bereiche übergreift, wirken auch die verklumpten Proteine auf benachbarte Zellbereiche und Proteine. „Breiten sich die Ablagerungen aus, verformen sie an den Kontaktstellen die Membranen umliegender Zellbestandteile. Teilweise kann das zum Zerreißen dieser Hülle führen“, so Bäuerlein. Eine der betroffenen Zellstrukturen ist beispielsweise das endoplasmatische Retikulum. Womöglich wird so die Funktion gesunder Organellen und Proteine beeinträchtigt. Die Studienautoren gehen weiter von der Annahme aus, dass so mit der Zeit die Infrastruktur der Zelle zerstört wird.

Bisherige Therapien behandeln nur die Symptome neurodegenerativer Erkrankungen, eine Heilung der Patienten ist noch nicht möglich. Doch mithilfe der Struktur der Proteinaggregate kann die toxische Wirkung der Proteinaggregate auf die Nervenzellen besser verstanden werden. Dadurch können in Zukunft neuartige Behandlungsansätze entstehen.

Quelle: idw/Max-Planck-Institut für Biochemie, 08.09.2017

Originalpublikation:

F. Bäuerlein, I. Saha, A. Mishra, M. Kalemanov, A. Martínez-Sánchez, R. Klein, I. Dudanova, M.S. Hipp, F.U. Hartl, W. Baumeister, & R. Fernández-Busnadiego: In Situ Architecture and Cellular Interactions of PolyQ Inclusions, Cell, September 2017. DOI: 10.1016/j.cell.2017.08.009

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