Prof. Dr. Dr. Axel Schambach hat von der Europäischen Union die sehr begehrte Auszeichnung "Consolidator Grant" des Europäischen Forschungsrates "European Research Council" (ERC) erhalten. Damit verbunden ist eine Förderung seiner Wissenschaft in Höhe von rund zwei Millionen Euro für die kommenden fünf Jahre. Der Leiter des MHH-Instituts für Experimentelle Hämatologie nutzt die Förderung für das Projekt "iHEAR", dessen langfristiges Ziel es ist, Kinder und Erwachsene vor Taubheit zu schützen.
Die Anzahl der Betroffenen ist groß: Etwa zwei bis fünf von tausend Kindern werden taub geboren. Zudem erfahren im Laufe des Lebens rund 20 Prozent der Bevölkerung eine Beeinträchtigung ihres Hörvermögens. So sind in Deutschland rund 15 Millionen Menschen schwerhörig bis gehörlos. Sie müssen mit den Folgen leben, die sich auch auf gesellschaftliche Teilhabe sowie auf Bildungs- und Berufschancen beziehen. Derzeit ist Gehörlosigkeit nicht heilbar. Beim Ausfall des Innenohres kann sie allerdings mit einem Cochlea-Implantat technisch überwunden werden, wobei die Taubheit biologisch bestehen bleibt. Bei rund der Hälfte der taub geborenen Kinder liegt die Gehörlosigkeit daran, dass ein oder mehrere Gene nicht funktionieren. Derzeit sind rund 100 Gene bekannt, deren Fehlfunktionen zur Taubheit führen können.
Das "iHEAR"-Team will Taubheit mit Gentherapie heilen. Dabei konzentriert es sich auf Gene, die für die zum Hören notwendigen Haar- und Sinneszellen im Innenohr verantwortlich sind. Das Ziel: sogenannte Genfähren (lentivirale und adenoassoziierte Virusvektoren) ins Innenohr zu injizieren, die mit der funktionierenden Version des Gens beladen sind. Die Fähren sollen das Gen in die Haar- und Sinneszellen bringen, damit das fehlende Protein gebildet werden kann und die Zellen wieder funktionieren.
Patientenspezifische Erkrankungsmodelle
Dem Team geht es zudem darum, mithilfe der Gentherapie spontaner Ertaubung entgegenzuwirken. Diese kann durch die Behandlung mit Medikamenten wie etwa bestimmten Chemotherapeutika entstehen. Hierbei soll die Gentherapie die ungewollte Aufnahme der Medikamente in die Haarzellen verhindern beziehungsweise das Herauspumpen des Medikaments aus diesen empfindlichen Zellen bewirken.
Die Studien werden zunächst anhand von Zellversuchen und in Modellsystemen durchgeführt. Damit die Forschungsergebnisse möglichst bald auch am Menschen angewendet werden können, entwickeln sie auch selber patientenspezifische Erkrankungsmodelle. Diese basieren auf sogenannten induzierten pluripotenten Stammzellen, die - im Falle dieses Projekts - von Zellen gehörloser Menschen abstammen.
Das Forschungsteam geht davon aus, dass die Arbeiten nicht nur Kindern und jungen Erwachsenen nützen werden: "Wir hoffen, dass die von uns erzielten Ergebnisse langfristig auch zur Therapie der Altersschwerhörigkeit beitragen", sagt Schambach.
Komplexe Zellarchitektur des Innenohrs
Der nun erzielte Fördererfolg beruht auf einer Teamleistung. "Ohne die Vorarbeiten, die unter anderem im Rahmen der Exzellenzcluster 'REBIRTH - Von Regenerativer Biologie zu Rekonstruktiver Therapie' und 'Hearing4all' stattgefunden haben, gäbe es das neue Projekt 'iHEAR' nicht", sagt Schambach. Beispielsweise entstanden die Genfähren im Rahmen des Exzellenzclusters REBIRTH, in dem sie auch mehr als zwölf Jahre weiterentwickelt wurden.
Maßgeblich am Projekt "iHEAR" beteiligt sind unter anderem Prof. Dr. Brigitte Schlegelberger und Dr. Bernd Auber, MHH-Institut für Humangenetik, sowie Privatdozentin Dr. Athanasia Warnecke, Ärztin der MHH-Klinik für Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde (HNO). "Die Gentherapie eröffnet grundsätzlich neue Behandlungsmöglichkeiten der Schwerhörigkeit. Sie ermöglicht, die Ursache der Hörstörung zu beseitigen und somit eine Heilung herbeizuführen. Für die Klinikerin Dr. Warnecke steckt die größte Herausforderung in der komplexen Zellarchitektur des Innenohrs. "Bei der von uns angestrebten Gentherapie bei Schwerhörigkeit müssen exakt diejenigen Strukturen wiederhergestellt werden, die defekt sind, und nur exakt in genau jenen Zellen, in denen sie natürlicherweise vorkommen", erläutert sie.
Quelle: MHH, 25. 03. 2019
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