Die bisher verfügbaren antientzündlichen bzw. Immuntherapien können den Krankheitsverlauf bei MS zwar modifizieren bzw. die Häufigkeit der Schübe reduzieren – eine Heilung gibt es aber derzeit nicht. Ein international besetztes Forscherteam aus Münster untersuchte Patienten, die mit dem Medikament Teriflunomid behandelt wurden, und analysierte die direkte Wirkung auf Immunzellen – mit ersten vielversprechenden Ergebnissen.
Weltweit ca. 2,5 Millionen Menschen betroffen
Multiple Sklerose (MS) ist die häufigste chronische Erkrankung des zentralen Nervensystems (ZNS) bei jüngeren Erwachsenen. Weltweit sind ca. 2,5 Millionen Menschen betroffen, deutschlandweit rund eine Viertelmillion. Jährlich erkranken in Deutschland 2.500 Menschen neu, meist zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr. Bei MS kommt es meist zu einem schubförmigen Verlauf mit vielfältigen Symptomen wie Sensibilitätsstörungen (Missempfindungen, Fehlwahrnehmungen), Sehstörungen/Sehnervenentzündung (mit Schleiersehen oder Doppelbildern), Störungen der Feinmotorik, Beinschwäche, Gangstörung bzw. Gangunsicherheit. Kognitive Einschränkungen, Depression und Fatigue kommen oft im Krankheitsverlauf hinzu und führen nicht selten zu sozialem Rückzug. Etwa ein Drittel der Patienten wird im Verlauf vorzeitig berentet.
Heilung gibt es derzeit nicht
Ursächlich für die MS sind autoimmune, chronisch-entzündliche Prozesse im ZNS, die zur sogenannten Entmarkung von Nervenfasern („Demyelinisierung“) führen, das bedeutet, die aus Myelin bestehende Schutz- bzw. Isolierschicht der Nervenfasern (Markscheiden/Myelinscheiden) wird zerstört. In der Folge können Nervensignale nicht mehr richtig fortgeleitet und übertragen werden. Die verfügbaren Therapien können den Krankheitsverlauf heute recht gut modifizieren, indem die beteiligten Immun- bzw. Entzündungsprozesse gehemmt werden, was die Häufigkeit der Schübe deutlich reduzieren kann. Eine Heilung gibt es aber derzeit nicht.
Bei vielen Autoimmunkrankheiten, beispielsweise bei rheumatischen Erkrankungen, spielt der Energiestoffwechsel der Zellen (Metabolismus) eine besondere Rolle. In einer im renommierten Fachjournal „Science Translational Medicine“ publizierten Arbeit [1] haben Wissenschaftler der Universität Münster nun erstmals gezeigt, dass auch die Immunzellen bei der MS stark abhängig von Abläufen im Zellstoffwechsel sind – der Immunmetabolismus von bestimmten weißen Blutkörperchen (T-Lymphozyten) ist nämlich während eines akuten MS-Schubs deutlich verändert:
Bei der Vermehrung aktivierter B- und T-Lymphozyten ist das Stoffwechsel-Enzym Dihydro-Orotat-Dehydrogenase (DHODH) für die Pyrimidin Biosynthese und damit der Verfügbarkeit von DANN- und RNA-Bausteinen von hoher Relevanz. Die Wissenschaftler konnten zeigen, dass die medikamentöse DHODH-Hemmung mit Teriflunomid selektive Veränderungen in der Zusammensetzung der T-Zell-Subpopulationen und der Zusammensetzung des T-Zell-Repertoires bei RRMS-Patienten verursacht.
Erhöhte OXPHOS- und Glykolyse-Aktivität
Der Mechanismus ist, dass die DHODH-Blockade bei aktivierten T-Zellen in den Stoffwechselschritt der sogenannten oxidativen Phosphorylierung (OXPHOS) sowie in die Glykolyse eingreift, was den Energiestoffwechsel im Rahmen der Zellaktivierung inhibiert. Interessanterweise unterdrückt die DHODH-Hemmung insbesondere die Vermehrung von hochaffinen T-Zellen, da diese nämlich besonders stark auf die oxidative Phosphorylierung, einem Prozess zur Energiegewinnung, während der frühen Aktivierungsphase angewiesen sind. Verglichen mit T-Zellen von Gesunden weisen T-Zellen von Patienten mit schubförmiger MS („relapsing-remitting“, RRMS) eine erhöhte OXPHOS- und Glykolyse-Aktivität auf, die durch Teriflunomid wieder reduziert wird.
Wirkstoff tritt quasi mit voller Kraft auf die Bremse
„Das Medikament greift gezielt in den Energiestoffwechsel der Mitochondrien, die ja die Zellatmung regulieren, ein – und zwar umso stärker, je aktiver die Zelle ist“, erklärt Prof. Dr. med. Luisa Klotz, Erstautorin des Artikels und Oberärztin der Klinik für Neurologie mit Institut für Translationale Neurologie. „Der Wirkstoff tritt quasi bei diesen Zellen mitten im Kickstart mit voller Kraft auf die Bremse.“
Die Erkenntnis bietet Potenzial für weitere Untersuchungen. „Künftige Studien können uns helfen, Störungen des Immunmetabolismus bei Autoimmunerkrankungen genauer zu verstehen und gezielter zu beeinflussen“, erläutert Luisa Klotz. Neue Therapieansätze, die ausschließlich den Metabolismus der hyperaktiven, schädigenden Immunzellen verändern bzw. wieder normalisieren, könnten einen neuen Weg in der spezifischen Immuntherapie eröffnen. So würden auch die unerwünschten Nebenwirkungen auf das Immunsystem minimiert - die Schattenseite vieler moderner Therapieansätze. (idw, red)
[1] Klotz L, Eschborn M, Lindner M, et al.: Teriflunomide treatment for multiple sclerosis modulates T cell mitochondrial respiration with affinity-dependent effects. Sci Transl Med, Vol. 11, Issue 490, eaao5563, DOI: 10.1126/scitranslmed.aao5563.
Quelle: DMSG, DGN, idw
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