Im Frühjahr 1495 wurde der Italienfeldzug Karls VIII. von Frankreich durch den Ausbruch einer bis dahin unbekannten Krankheit unterbrochen, die eine hohe Sterblichkeitsrate aufwies, sich rasch über ganz Europa ausbreitete und bei den Überlebenden zu schweren körperlichen und geistigen Schäden führte. Die so dokumentierte Epidemie gilt heute als erster historischer Nachweis der Syphilis. Doch wo und wann die Krankheit ihren Ursprung hatte, ist jedoch seit Jahrzehnten umstritten. Der Ausbruch gegen Ende des 15. Jahrhunderts, kurz nachdem Kolumbus und seine Mannschaft von ihren ersten Entdeckungsreisen nach Amerika zurückgekehrt waren, ließ manche vermuten, dass der Kontakt mit neuen Ländern und Menschen zu dem plötzlichen Auftreten der Krankheit beigetragen haben könnte. Die Hypothese war, dass obwohl viele übertragbare Krankheiten in der frühen Kolonialzeit von Europa nach Amerika eingeschleppt wurden und verheerende Folgen für die einheimische Bevölkerung hatten, die Syphilis eine der wenigen war, die möglicherweise den umgekehrten Weg genommen hat.
Begann Syphilis in Europa vor Kolumbus?
Diese Theorie hat zwar in den letzten Jahren an Popularität gewonnen, doch bei näherer Betrachtung der Läsionen an Knochen aus dem mittelalterlichen Europa beginnt sich das stark vereinfachte Bild aufzulösen. Sowohl Langzeitkranke als auch Menschen, die mit einer Infektion geboren wurden, können Veränderungen an Knochen oder Zähnen entwickeln. In den letzten Jahrzehnten wurden in Europa eine Reihe solcher Skelettreste aus der Zeit vor 1492 gefunden. Viele Experten glauben heute, dass die Geschichte der Syphilis in Europa lange vor Kolumbus begann und dass die Pandemie Ende des 15. Jahrhunderts aus Gründen ausbrach, die nichts mit dem Beginn der Kolonialzeit zu tun hatten. Keine der beiden Theorien konnte bisher bestätigt werden.
DNA von Krankheitserregern aus archäologischen Knochen
Um zu entscheiden, welche Theorie die wahrscheinlichere ist, soll DNA von Krankheitserregern aus archäologischen Knochen helfen. Schon in der Vergangenheit haben solche alten Genome neue Erkenntnisse über die Geschichte der Pest, der Tuberkulose, der Lepra und der Pocken gebracht, aber die Geschichte der Syphilis aufzuklären, erwies sich als Herausforderung. „Wir haben in der Vergangenheit mehrere Genome von Erregern der Syphilis und verwandter Krankheiten aus archäologischen Knochen extrahiert und rekonstruiert, aber die zentrale Frage, ob die Syphilis vor oder nach Kolumbus auftrat, konnten wir damit nicht beantworten“, sagt Kirsten Bos, Gruppenleiterin in der Abteilung Molekulare Paläopathologie am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie.
Syphilis-ähnliche Infektionen in Amerika
Eine neue Studie unter der Leitung von Bos und Johannes Krause, Direktor der Abteilung für Archäogenetik am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig, ist der Klärung dieser Frage nun einen entscheidenden Schritt nähergekommen. In Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern und Archäologen aus mehreren Ländern Amerikas konzentrierte sich die Studie auf die Untersuchung archäologischer Knochen aus der Zeit vor Kolumbus, an denen Infektionen Syphilis-ähnliche Läsionsmuster hinterlassen haben. „Wir wissen seit einiger Zeit, dass es in Amerika seit Tausenden von Jahren Syphilis-ähnliche Infektionen gibt, aber allein anhand der Läsionen können wir die Krankheit nicht eindeutig identifizieren“, sagt Casey Kirkpatrick, Postdoc und Paläopathologin, die an der aktuellen Studie beteiligt war. Die Pathologie der Knochen allein lässt auch keine Rückschlüsse darauf zu, ob die Krankheit ihren Ursprung in Amerika hatte oder ob sie vor langer Zeit, während der Besiedlung Amerikas vor etwa 15.000 Jahren, aus Asien eingeschleppt wurde.
Erreger kursierten schon früh in Amerika
Dem Team gelang es, fünf alte Genome von Syphilis und verwandten Erregern aus Mexiko, Chile, Peru und Argentinien zu rekonstruieren und zu analysieren. Lesley Sitter, Postdoc und Bioinformatiker (computational microbiologist), der sich mit der Lösung des Rätsels auf der molekularen Ebene befasst hat, sagt dazu: „Obwohl die Untersuchung aufgrund des schlechten Erhaltungszustands einige analytische Herausforderungen mit sich brachte, konnten wir die Beziehungen zwischen diesen ausgestorbenen Formen und den Stämmen, die heute weltweit die Gesundheit beeinflussen, sicher bestimmen.” Syphilis gehört zu einer Familie von Krankheiten, zu denen auch Frambösie und Bejel gehören. Beide gelten als wenig bekannte Tropenkrankheiten, die weltweit in äquatornahen Gebieten vorkommen. Der Postdoc Rodrigo Barquera hat bereits mit archäologischen Knochenfunden aus dem Mexiko der Kolonialzeit gearbeitet und konnte das Vorkommen von Syphilis und Frambösie in Mexiko-Stadt bis hinein ins 17. Jahrhundert nachweisen. Die neuen Genomdaten zeigen nun, dass Amerika schon vor der Ankunft von Christoph Kolumbus eine Drehscheibe für die frühe Vielfalt dieser Krankheitsgruppe war. „Wir fanden ausgestorbene Schwesterlinien für alle bekannten Formen dieser Krankheitsfamilie. Syphilis, Frambösie und Bejel sind also moderne Überbleibsel von Erregern, die einst in Amerika kursierten“, erklärt Barquera.
Einschleppung nach Europa ab dem späten 15. Jahrhundert
„Die Daten zeigen eindeutig, dass die Syphilis und ihre bekannten Verwandten ihren Ursprung in Amerika haben, und ihre Einschleppung nach Europa ab dem späten 15. Jahrhundert stimmt mit diesen Daten überein“, fügt Bos hinzu. So scheint es um 1.500 AD zu einem explosionsartigen Anstieg der Syphilis- und Frambösiefälle gekommen zu sein. Dies dürfte der Grund für das Ausmaß und die Intensität der Epidemie im 16. Jahrhundert in Europa gewesen sein, deren globale Ausbreitung in den folgenden Jahrzehnten und Jahrhunderten durch Menschenhandelsnetze und die europäische Expansion nach Amerika und Afrika begünstigt wurde. „Während die indigenen Bevölkerungsgruppen Amerikas an den frühesten Formen dieser Krankheiten litten, spielten die Europäer eine entscheidende Rolle bei ihrer weltweiten Verbreitung“, sagt Bos.
Suche nach frühen Formen geht weiter
Wenn man also annimmt, dass die Syphilis ihren Ursprung in Amerika hatte, wie passt dann die aktuelle Darstellung zu den Belegen für Syphilis-ähnliche Knochenläsionen, die viele in Europa schon vor 1492 zu sehen glauben? „Die Suche nach diesen früheren Formen geht weiter, und alte DNA wird dabei sicher eine wertvolle Ressource sein“, sagt Krause. „Wer weiß, welche älteren verwandten Krankheiten mit Menschen und anderen Tieren um die Welt gereist sind, bevor die Syphilis-Erregerfamilie auftauchte.“
Quelle: idw/MPG
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