Sepsis bei HIV-Patienten: Die angeborene Immunantwort ist intakt

Labordiagnostik
Hardy-Thorsten Panknin
Sepsis bei HIV-Patienten: Die angeborene Immunantwort ist intakt
Sepsis bei HIV-Patienten: Die angeborene Immunantwort ist intakt © Fotolia/psdesing
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Infektionen mit dem HIV-Virus lassen sich heute durch eine frühzeitige Kombinationstherapie mit antiviralen Substanzen sehr gut behandeln. Die HIV-Infektion wird dadurch zwar nicht geheilt, jedoch kann die Viruslast im Blut bei entsprechender Compliance des Patienten oft über viele Jahre unter der Nachweisgrenze gehalten werden.

Hintergrund

Aufgrund der dadurch gestiegenen Lebenserwartung erkranken immer mehr HIV-Patienten an Alters-assoziierten Erkrankungen wie Diabetes mellitus Typ 2, Herzinfarkt oder Osteoporose-bedingter Hüftfraktur. Kommt es infolge dieser Erkrankungen zu Komplikationen, so werden HIV-Patienten auch – wie viele andere chronisch kranke Personen – auf der Intensivstation behandelt. Damit stellt sich für die klinischen Behandler die Frage, ob HIV-Patienten auf der Intensivstation in besonderer Weise behandelt werden müssen, ob bestimmte Abweichungen von Laborparametern von vornherein zu erwarten sind, und ob die Mortalität auf der Intensivstation höher ist als bei Patienten ohne zugrunde liegende HIV-Infektion.

Labormarker der angeborenen Immunität bei HIV-Patienten

Im Gefolge der oben genannten, Alters-assoziierten Erkrankungen kann es auf der Intensivstation zu sekundären Infektionen, schlimmstenfalls zu einer Sepsis, kommen. Es wird geschätzt, dass heute 1 – 10 % der Sepsispatienten auf Intensivstationen an einer HIV-Infektion leiden. Während der Frühphase einer Sepsis werden bei allen septischen Patienten angeborene entzündliche Immunreaktionen angestoßen, die eine rasche Eingrenzung und Kontrolle des Infektionserregers bewirken sollen. Monozyten und Makrophagen bilden die erste Barriere gegen bakterielle Erreger und Pilze, die am häufigsten eine Sepsis verursachen. Diese Zellen bilden nach Kontakt mit den Erregern entzündliche Botenstoffe (Zytokine), die andere Zellen des Immunsystems aktivieren sollen. Das Muster der Zytokine lässt sich heute mit modernen Immunoassays abbilden und im Zeitverlauf verfolgen. Marker der frühen Immunantwort sind das C-reaktive Protein (CRP), die Interleukine IL-1ß, IL-2, IL-4, IL-5, IL-6, IL-7, IL-8, IL-10, IL-12, IL-13, IL-17, Interferon-γ, der granulozytenstimulierende Faktor (GCSF), das Monozyten-Chemokin MCP-1, das entzündliche Makrophagen-Protein 1 und der Tumor-Nekrose-Faktor-α (TNF-α).

Alle genannten Zytokine und Proteine können beispielsweise mit dem „Multiplex Cytokine“ Kit der Fa. Bio-Rad quantitativ bestimmt werden.

Studie zum Zytokinverlauf bei septischen HIV- und Non-HIV-Patienten

Am Institut Evandro Chagas in Rio de Janeiro wurde kürzlich eine prospektive Studie durchgeführt, mit der die Unterschiede der Zytokinantwort bei septischen Patienten mit und ohne HIV-Infektion analysiert werden sollten [1]. Das Chagas-Institut ist eine ambulante und klinische Behandlungseinrichtung, die sich seit 1986 zunehmend auf die Behandlung von HIV-/AIDS-Patienten spezialisiert hat. Derzeit werden in der Institutsambulanz ca. 2.000 HIV-Patienten lang-fristig betreut und behandelt. Jährlich werden ca. 60 – 70 Patienten so schwer krank, dass sie auf die hauseigene Intensivstation aufgenommen werden müssen. Für die vorliegende Studie wurden alle HIV-Patienten ≥ 18 Jahre, die zwischen 2008 und 2010 auf die Intensivstation aufgenommen wurden, in eine multizentrische Studie aufgenommen. Um eine Vergleichspopulation von Non-HIV-Patienten für die Studie zu gewinnen, wurden drei weitere große Maximalversorgungskliniken in Rio de Janeiro um Teilnahme an der Studie gebeten. Diese Häuser versorgen auf gemischten Intensivstationen (mit jeweils ca. 30 Betten) ein allgemeines Krankengut, bei dem auch septische Verläufe vorkommen.

Einschlusskriterien der Studie

Für die Aufnahme in die Studie mussten bei allen Patienten die Kriterien eines systemischen inflammatorischen Antwortsyndroms („systemic inflammatory response syndrome“, SIRS) erfüllt sein. Dieses ist nach internationalen Standards definiert als

  • Fieber (≥38,0 °C) oder Hypothermie (≤36,0 °C),
  • Tachykardie mit Herzfrequenz ≥90/min
  • Tachypnoe (Atemfrequenz ≥20/min) oder Hyperventilation (bestätigt durch Abnahme einer arteriellen Blutgasanalyse mit PaCO2 ≤ 4,3 kPa bzw. 33 mmHg)
  • Leukozytose (≥12.000/mm³) oder Leukopenie (≤4.000/mm³) oder 10 % oder mehr unreife Neutrophile im Differenzialblutbild.

Bei negativer Blutkultur mussten alle 4 Kriterien erfüllt sein, bei positiver Kultur mit einem relevanten Erreger dagegen lediglich 2 Kriterien. Ein septischer Schock wurde diagnostiziert, wenn trotz Gabe von Katecholaminen und Flüssigkeit eine arterielle Hypotension (systolischer Blutdruck ≤90 mm Hg oder arterieller Mitteldruck ≤70 mmHg) bestehen blieb.

Alle Patienten mit und ohne HIV-Infektion, welche die SIRS-Kriterien erfüllten, wurden innerhalb von 48 Stunden nach entsprechender Aufklärung und erteiltem Einverständnis für die Studie rekrutiert. Zur Evaluation der Schwere der Sepsis wurden der APACHE-II-Score (Acute Physiology and Chronic Health Evaluation Score) und der SOFA-Score (Sequential Organ Failure Assessment Score) herangezogen. Ein weiterer Score, der klinische Parameter (z.B. Bewusstseinslage), Kreislauf- und Atmungsparameter sowie Laborparameter (z.B. Leukozytenzahl und Bicarbonatkonzentration im Blut) umfasst, ist der SAPS-II-Score, der durch entsprechende Gewichtung der erhaltenen Werte einen Gesamtpunkt ergibt [2]. Die Zytokin-Parameter im Blut wurden mindestens am Tag der Sepsisdiagnose bei allen Patienten bestimmt.

Ergebnisse der Studie

In dem dreijährigen Zeitraum konnten 30 HIV- und 30 Nicht-HIV-Patienten mit SIRS in die Studie eingeschlossen werden. Eine Übersicht über die Patienten gibt Tabelle 1.

HIV-Patienten mit Sepsis waren signifikant jünger und tendenziell etwas häufiger männlich. Das Virus war bei den HIV-Patienten nicht voll unter Kontrolle, da bei allen Patienten zirkulierendes Virus im Blut nachweisbar war. Die Anzahl der CD4-Zellen war entsprechend auch stark verringert (Normalwert bei gesunden Erwachsenen zwischen 500 und 1.200 pro mm³). Aus der Tabelle ist ersichtlich, dass die Schwere der Sepsis, gemessen an Score-Systemen wie dem SOFA- und dem SAPS-Score, sich zwischen den beiden Gruppen dennoch nicht signifikant unterschied. Ebenso war die Mortalität im Krankenhaus nicht unterschiedlich. Die Ursache für die Sepsis war bei HIV-Patienten insgesamt häufiger die Lunge, während bei Nicht-HIV-Patienten auch abdominelle Infektionen eine Rolle spielten.

Der Vergleich der Laborparameter bei septischen HIV- und Nicht-HIV-Patienten ließ erkennen, dass die Laborparameter der akuten Phase sich ebenfalls nicht signifikant voneinander unterschieden (Tabelle 2). Verglich man jedoch bei HIV-Patienten die Werte für die (später) verstorbenen Patienten mit denjenigen der Überlebenden, so zeigten sich stark erhöhte IL-10-, IL-6- und G-CSF-Werte bei den Verstorbenen (p<0,05 für alle Vergleiche). Für Nicht-HIV-Patienten wurde diese Vergleichsanalyse nicht durchgeführt.

Schlussfolgerung der Autoren

Insgesamt schließen die Autoren aus den Studienergebnissen, dass die angeborene Immunität bei HIV-Patienten auch im fortgeschrittenen AIDS-Stadium relativ intakt ist. Bei schwerer Sepsis erfolgt die Aktivierung des Akute-Phase-Systems in ähnlicher Weise wie bei Nicht-HIV-Patienten. Eine laborchemische Unterscheidung anhand von Interleukin- und Zytokin-Messwerten zwischen HIV- und Nicht-HIV-Patienten ist in der schweren Sepsis nicht möglich. Generell zeigt die Studie, dass die Werte für die Interleukine IL-6 und IL-10 sowie das Zytokin G-CSF bei Patienten, welche die Sepsis nicht überleben, von Anfang an stark erhöht sind. Dies wurde in gleicher Weise von anderen Autoren für Nicht-HIV-Patienten mit schwerer Sepsis bestätigt [3].

Erregerspektrum bei HIV-Patienten mit schwerer Sepsis

Dass HIV-Patienten im Zeitalter der HAART durchaus ähnliche septische Krankheitssymptome entwickeln wie Nicht-HIV-Patienten, zeigte auch eine Studie aus der Emory-Universitätsklinik in Atlanta, Georgia [4]. Die Autoren dieser Studie analysierten 194 akute Sepsisfälle bei AIDS-Patienten. In 112 Fällen handelte es sich um eine nosokomiale Sepsis, in 27 um eine ambulant erworbene Sepsis.

Das Erregerspektrum umfasste Gram-positive Kokken (45 Fälle), Enterobakteriazeen (18 Fälle) und nicht-fermentierende Stäbchenbakterien, davon 9 mal Acinetobacter spp. und 9-mal Pseudomonas aeruginosa. Insgesamt lag bei diesen 139, durch einen bakteriellen Erreger verursachten Fällen somit ein vergleichbares Erregerspektrum vor wie bei Nicht-HIV-Patienten mit schwerer Sepsis. Bei 55 Patienten (28,4 %) lag allerdings eine für HIV-infizierte Patienten typische opportunistische Infektion durch Mykobakterien, Pilze oder Parasiten vor. Am häufigsten handelte es sich um eine Pneumocystis-jirovecii-Pneumonie (28 Fälle) und um mykobakterielle Infektionen (7 Fälle, davon 3 Infektionen durch Mycobacterium tuberculosis). Pilzinfektionen, die sich als septisches Krankheitsbild manifestierten, wurden durch Histoplasma capsulatum (2 Fälle), Cryptococcus neoformans (2 Fälle) und Aspergillen (3 Fälle) hervorgerufen. Die Mortalität der bakteriellen septischen Infektionen betrug insgesamt 40 %, der AIDS-assoziierten opportunistischen Infektionen 49 %. In dieser Studie fiel ein einziger Laborbefund relativ auffällig aus dem Rahmen: Alle Patienten mit HIV-Infektion und Sepsis wiesen einen sehr niedrigen Albuminwert von im Mittel nur 1,9 g/dL auf. Dies könnte ein Zeichen für vorangegangene Mangelernährung sein, aber auch durch die 28 Fälle von Pneumocystis-Pneumonie bedingt sein. Bei der Pneumonie durch Pneumocystis jirovecii (früherer Name Pneumocystis carinii) kommt es typischerweise zu einer Albuminexsudation in die Alveolen, wodurch der Albuminwert im Blut deutlich abfällt.

Begleitende HCV-Infektion senkt die Überlebenswahrscheinlichkeit

HIV-Patienten leiden sehr häufig an einer begleitenden Infektion durch das Hepatitis-C-Virus. Dass eine solche Parallel-Infektion die Überlebenswahrscheinlichkeit bei einer Sepsis beeinflusst, zeigten kürzlich Dr. José Medrano und Mitarbeiter vom Nationalen Zentrum für Mikrobiologie in Madrid, Spanien [5]. Sie führten eine retrospektive Untersuchung bei allen in Spanien auf eine Intensivstation aufgenommenen AIDS-Patienten durch, deren Datensätze in einer nationalen Datenbasis archiviert waren. Der Untersuchungszeitraum umfasste die Jahre 2005 bis 2010. Von 1.891 HIV-Patienten, die an einer schweren, intensivtherapiepflichtigen Erkrankung litten, hatten 700 (37 %) die laborchemischen Zeichen einer begleitenden HCV-Infektion. Bei beiden Gruppen entwickelte sich gleich häufig, nämlich in 59 bzw. 54 % der Fälle, eine komplizierende Sepsis. Die Mortalität war jedoch in den beiden Gruppen signifikant verschieden. Nach 30 Tagen waren 765 von 1.191 Patienten ohne begleitende HCV-Infektion (64 %), jedoch 520 von 700 Patienten mit begleitender HCV-Infektion (74,3 %) verstorben (p<0,001). Die Autoren schließen daraus, dass eine chronische Leberschädigung durch das HCV-Virus signifikant zur Verschlechterung der Immunabwehr beiträgt, wenn HIV-Patienten an einer schweren septischen Infektion erkranken.

In der Gesamtbetrachtung zeigen die Daten aller oben genannten Studien, dass eine schwere Infektion auf der Intensivstation für HIV-Patienten in mindestens der Hälfte der Fälle tödlich endet. Maßnahmen der Infektionsprävention im Krankenhaus haben daher bei dieser Patientengruppe einen besonders hohen Stellenwert.

Danksagung

Herrn Prof. Dr. med. Matthias Trautmann, Institut für Krankenhaushygiene am Klinikum Stuttgart gebührt mein besonderer Dank bei der kritischen Durchsicht und Interpretation aus infektiologischer Sicht.

Literatur

1. Amancio RT et al. The innate immune response in HIV/AIDS septic shock patients: a comparative study. PLOS One 2013;8:1-7 (e68730 online)

2. Le Gall JR et al. A new simplified acute physiology score (SAPS II) based on a European/North American multicenter study. JAMA 1993;270:2957-2963.

3. Andaluz-Ojeda D et al. A combined score of pro- and anti-inflammatory interleukins improves mortality prediction in severe sepsis. Cytokine 2011;57:332-336.

4. Greenberg JA et al. Outcomes of critically ill patients with HIV and severe sepsis in the era of highly active antiretroviral therapy. J Crit Care 2012;27:51-57.

5. Medrano J et al. Mortality of patients infected with HIV in the intensive care unit (2005 through 2010). Significant role of chronic hepatitis C and severe sepsis. Crit Care 2014;18:475 (online)

Der Autor:

Hardy-Thorsten Panknin
Fachjournalismus Medizin –
Schwerpunkt Klinische Infektiologie und Kongressmanagement
Badensche Straße 49
D-10715 Berlin
E-Mail: ht.panknin@berlin.de

Entnommen aus MTA Dialog 12/2015

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