Schutz vor gefährlichen Thrombosen nach Herzinfarkt

Schonendere Therapie
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Kardiologe und Thrombose-Spezialist Prof. Dirk Sibbing
Der Kardiologe und Thrombose-Spezialist Prof. Dirk Sibbing im Katheterlabor der Medizinischen Klinik und Poliklinik I der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München. DZHK
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Wilhelm P. Winterstein-Preis für Prof. Dirk Sibbing vom Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München. Er untersucht, wie die Blutungsgefahr mit Hilfe einer individualisierten Stufentherapie beim Einsatz der stark wirksamen Plättchenhemmer verringert werden kann.

Jedes Jahr werden rund 220.000 Patienten stationär wegen eines Herzinfarktes in Deutschland behandelt. Nach einem Herzinfarkt hält eine Gefäßstütze (Stent) das zuvor durch einen Thrombus (Blutpropf) vollständig verschlossene Herzkranzgefäß dauerhaft offen. Die Leitlinien der kardiologischen Fachgesellschaften empfehlen für Patienten nach einem Akuten Koronarsyndrom (ACS: ST-Hebungsinfarkt/STEMI, Nicht-ST-Hebungsinfarkt/NSTEMI, instabile Angina Pectoris) und der Behandlung mit einem Koronarstent eine zwölfmonatige Therapie mit einem stark wirksamen Plättchenhemmer (Thrombozytenaggregationshemmer), der die Verklumpung von Blutplättchen und damit die Bildung kleiner Gerinnsel an Engstellen der Herzkranzgefäße oder am Stent im Herzkranzgefäß verhindert. Ziel der stark wirkenden Therapie ist der Schutz vor Thrombosen, die besonders in der frühen Phase nach einem Herzinfarkt zu Reinfarkten und Stent-Verschlüssen führen. Gängige Medikamente für die Akutphase sind z. B. das stark wirkende Prasugrel oder Ticagrelor. Ungünstiger Nebeneffekt dieser vor einer Thrombose schützenden Therapie: Mit ihr geht eine höhere Blutungsgefahr insbesondere in der Langzeittherapie einher. Auch kommt nicht für jeden Infarktpatienten eine stark wirkende Plättchenhemmung für zwölf Monate in Frage.

Blutungsgefahr dank neuer Stufentherapie besser im Griff

Diese Blutungsgefahr mit Hilfe einer individualisierten Stufentherapie zu verringern, indem man von einem stark wirkenden Plättchenhemmer wie Prasugrel/Ticagrelor in der frühen Phase der Therapie auf ein schwächer wirkendes Präparat wie Clopidogrel in der Langzeitphase umstellt, ist das Ziel einer europaweiten Studie unter der Leitung des Kardiologen Prof. Dr. med. Dirk Sibbing, Oberarzt der Medizinischen Klinik und Poliklinik I der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München. Die Studie mit dem Akronym TROPICAL-ACS wurde in Frankfurt am Main mit dem renommierten Wilhelm P. Winterstein-Preis der Deutschen Herzstiftung (www.herzstiftung.de) ausgezeichnet (Dotation: 10.000 Euro). „Die bisher übliche Therapie bei Herzinfarktpatienten ist von einem nicht zu vernachlässigenden Blutungsrisiko begleitet. Ein Therapiekonzept, das dieses Risiko senkt ohne die Wirksamkeit zu reduzieren, ist ausgesprochen attraktiv“, würdigt Kardiologe Prof. Dr. med. Dietrich Andresen, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Herzstiftung, die Forschungsarbeit.

Studienteilnehmer waren 2.610 ACS-Patienten

Die Studie „Kontrollierte De-Eskalation der dualen Plättchenhemmung nach akutem Koronarsyndrom – TROPICAL-ACS – eine randomisierte, multizentrische und Investigator-initiierte Studie“ wurde an 33 Zentren in Europa (u. a. Deutschland, Polen, Ungarn) durchgeführt und im Fachjournal The Lancet im Oktober 2017 publiziert. Studienteilnehmer waren 2.610 ACS-Patienten nach Stent-Behandlung und einer geplanten dualen Plättchenhemmung (Aspirin und Thrombozytenaggregationshemmer). Die Standardtherapie mit einem stark wirksamen Plättchenhemmer (hier Prasugrel) wurde mit dem Konzept einer kontrollierten De-Eskalation der Therapie durch Umstellung auf das moderater wirkende Clopidogrel nach einer Woche verglichen. Der Vergleich beider Gruppen erfolgte, wie es bei solchen Studien notwendig ist, randomisiert, d. h. per Losentscheid wurde festgelegt, ob ein Patient in der einen oder in der anderen Gruppe behandelt wurde. Sibbing sieht in seinem neuen Ansatz aufgrund der Studienergebnisse ein vielversprechendes Therapiekonzept: „Mit dieser individualisierten Stufentherapie mit stark wirkender Plättchenhemmung in der Akutphase und einer De-Eskalation durch eine frühe Umstellung auf Clopidogrel, haben wir eine ebenbürtige Alternative zur Standardtherapie entwickelt.“

Weniger Blutungskomplikationen als bei Standardtherapie

Die Studie konnte als wesentliches Ergebnis zeigen, dass eine kontrollierte De-Eskalation der Plättchenhemmung nach Herzinfarkt ebenso sicher war wie die zwölfmonatige Standardtherapie mit einem stark wirkenden Plättchenhemmer. „Unter der frühen Umstellung auf Clopidogrel gab es aber zahlenmäßig weniger Blutungskomplikationen.“ Allerdings sprechen Patienten unterschiedlich auf Clopidogrel an. „Ein Teil der Patienten zeigt ein unzureichendes Ansprechen auf das Medikament“, räumt der Münchener Mediziner ein. Die Wirkung von Plättchenhemmern könne aber im Labor mittels spezieller Testverfahren (=Plättchenfunktionstestung) gemessen werden und in dem Moment, wo man eine Umstellung von einem starken Plättchenhemmer auf Clopidogrel in Betracht zieht, kann eine derartige Testung im Labor sehr sinnvoll und notwendig sein.

Erklärtes Ziel von TROPICAL-ACS war es daher, die Sicherheit und die Wirksamkeit einer frühen, mittels Plättchenfunktionstestung kontrollierten Umstellung der Therapie von Prasugrel auf Clopidogrel bei ACS-Patienten zu untersuchen. Insbesondere jüngere Patienten (<70 Jahre) mit ST-Hebungsinfarkt scheinen von dem neuartigen Behandlungskonzept besonders zu profitieren. Sibbing zufolge könnten die Behandlungskosten durch das neue Konzept erheblich gesenkt werden, weil Clopidogrel als Generikum kostengünstig verfügbar ist: TROPICAL-ACS ist die erste Studie, die sichere Evidenz für ein alternatives Therapiekonzept mit einer frühen De-Eskalation der Plättchenhemmung von einem potenten Plättchenhemmer auf Clopidogrel liefert. Sie ist Sibbing zufolge auch die bisher größte Studie, die ein individualisiertes Therapiekonzept bei Herzinfarkt-Patienten untersucht hat. TROPICAL-ACS erweitert damit die Behandlungsoptionen für Infarktpatienten und insbesondere für diejenigen unter ihnen, für die eine stark wirksame Plättchenhemmung für zwölf Monate nicht infrage kommt. „Mit den Studienergebnissen ist es nun möglich, die individuellen Begebenheiten der Betroffenen bei der Behandlung zu berücksichtigen, um eine bestmögliche Risikoreduktion für Blutungen und thrombotische Komplikationen gleichermaßen zu erreichen“, resümiert der Winterstein-Preisträger. (idw, red)

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