SARS-CoV-2: Einfluss auf das Gehirn

Verlust von fünf bis zehn Jahren gesunder Gehirnfunktion?
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SARS-CoV-2 und Gehirn
© Kirsty Pargeter/stock.adobe.com
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Abermals gibt es beunruhigende Nachrichten aus der Long-COVID-Forschung. Eine aktuelle Studie zeigt, dass das SARS-CoV-2-Spike-Protein in den schützenden Schichten des Gehirns, den Hirnhäuten, und im Knochenmark des Schädels bis zu vier Jahre nach der Infektion verbleiben kann.

Schon bisher gab es einige Studien, die einen negativen Einfluss von SARS-CoV-2 auf das Gehirn gezeigt haben. Neben Schäden, die im MRT zu sehen waren, gibt es auch neurologische Symptome, die schon früh in der Pandemie erfasst wurden. Nun haben Forschende von Helmholtz Munich und der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) einen Mechanismus identifiziert, der möglicherweise die neurologischen Symptome von Long COVID erklären kann. Die Studie zeigt, dass das SARS-CoV-2-Spike-Protein in den schützenden Schichten des Gehirns, den Hirnhäuten, und im Knochenmark des Schädels bis zu vier Jahre nach der Infektion verbleiben kann. Die Forscherinnen und Forscher befürchten, dass die dauerhafte Präsenz des Spike-Proteins bei den Betroffenen chronische Entzündungen auslösen und das Risiko für neurodegenerative Erkrankungen erhöhen könnte. Bei Mäusen reichte die Injektion des Spike-Proteins allein aus, um eine Neuroinflammation, Proteomveränderungen, angstähnliches Verhalten und verschlechterte Ergebnisse für Schlaganfall und traumatische Hirnverletzungen hervorzurufen. Das Team unter Leitung von Prof. Ali Ertürk, Direktor des Instituts für Intelligente Biotechnologien bei Helmholtz Munich, stellte zudem fest, dass mRNA-COVID-19-Impfstoffe die Anreicherung des Spike-Proteins im Gehirn deutlich reduzieren. Das nach einer Infektion verbleibende Spike-Protein in Schädel und Hirnhäuten könnte ein neues therapeutisches Ziel darstellen. Dies wäre wichtig, denn die Forscherinnen und Forscher geben zu bedenken, dass der lang anhaltende "Brain Fog" und der erhebliche Verlust an Hirngewebe es zwingend erforderlich machen, die Mechanismen der durch SARS-CoV-2 verursachten Hirnschäden zu erforschen.

Einsatz neuartiger KI-gestützter Bildgebungstechnik

Eine neuartige KI-gestützte Bildgebungstechnik, entwickelt von Prof. Ali Ertürks Team, liefert neue Einblicke, wie das SARS-CoV-2-Spike-Protein das Gehirn beeinflusst. Die Methode macht Organe und Gewebeproben transparent, wodurch die dreidimensionale Visualisierung von Zellstrukturen, Stoffwechselprodukten und in diesem Fall viralen Proteinen möglich wird. Durch diese Technologie konnten die Forscherinnen und Forscher eine bisher nicht feststellbare Ablagerung des Spike-Proteins in Gewebeproben von Menschen mit COVID-19 und Mäusen aufdecken. Die Studie hat signifikant erhöhte Konzentrationen des Spike-Proteins im Knochenmark des Schädels und in den Hirnhäuten gezeigt, selbst Jahre nach der Infektion. Das Spike-Protein bindet an sogenannte ACE2-Rezeptoren, die in diesen Regionen besonders häufig vorkommen. „Das könnte diese Gewebe besonders anfällig für die langfristige Ansammlung des Spike-Proteins machen“, erklärt Dr. Zhouyi Rong, Erstautor der Publikation. Ertürk ergänzt: „Unsere Daten deuten auch darauf hin, dass das persistierende Spike-Protein an den Grenzen des Gehirns zu den langfristigen neurologischen Effekten von COVID-19 und Long COVID beitragen könnte. Dazu gehört auch eine beschleunigten Gehirnalterung, die für Betroffene den Verlust von fünf bis zehn Jahren gesunder Gehirnfunktion bedeuten könnte.“

Notwendigkeit zusätzlicher Therapien und Interventionen

Das Team um Ertürk entdeckte (zumindest im Tierversuch), dass der mRNA-COVID-19-Impfstoff von BioNTech/Pfizer die Anreicherung des Spike-Proteins im Gehirn signifikant reduzieren. Andere mRNA-Impfstoffe oder Impfstofftypen wie Vektor- oder proteinbasierte Impfstoffe seien jedoch nicht untersucht worden. Mit dem mRNA-Impfstoff geimpfte Mäuse zeigten demnach niedrigere Spike-Protein-Werte sowohl im Gehirngewebe als auch im Knochenmark des Schädels im Vergleich zu ungeimpften Mäusen. Die Reduktion betrug jedoch nur etwa 50 %, sodass ein Rest des Spike-Proteins weiterhin ein toxisches Risiko für das Gehirn darstellt. „Diese Reduktion ist ein wichtiger Schritt“, sagt Prof. Ertürk: „Unsere Ergebnisse sind zwar aus Mausmodellen abgeleitet und können nur eingeschränkt auf den Menschen übertragen werden, aber sie weisen auf die Notwendigkeit zusätzlicher Therapien und Interventionen hin, um langfristige Belastungen durch SARS-CoV-2-Infektionen vollständig zu bewältigen.“ Zudem seien weitere Studien notwendig, um die Relevanz der Ergebnisse für Patientinnen und Patienten mit Long-COVID zu untersuchen.

Erhöhtes Risiko für Schlaganfälle und andere Hirnschäden?

Weltweit haben sich 50 bis 60 Prozent der Bevölkerung mit COVID-19 infiziert. Davon leiden fünf bis zehn Prozent unter Long COVID. Das entspricht etwa 400 Millionen Menschen, die möglicherweise signifikante Mengen an Spike-Proteinen in sich tragen. „Das ist nicht nur ein individuelles Gesundheitsproblem – es ist eine gesellschaftliche Herausforderung“, sagt Prof. Ertürk: „Unsere Studie zeigt, dass mRNA-Impfstoffe das Risiko langfristiger neurologischer Folgen erheblich senken können und somit einen entscheidenden Schutz bieten. Aber auch nach Impfungen kommt es zu Infektionen, die zu persistierenden Spike-Proteinen im Körper führen können. Die Folge können chronische Gehirnentzündungen und ein erhöhtes Risiko für Schlaganfälle und andere Hirnschäden sein – die dann erhebliche Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit und die Gesundheitssysteme weltweit haben.“

Künftig Biomarker einsetzbar?

„Unsere Ergebnisse eröffnen neue Möglichkeiten zur Diagnose und Behandlung der langfristigen neurologischen Effekte von COVID-19“, sagt Ertürk. Im Gegensatz zu Gehirngewebe sind das Knochenmark des Schädels und die Hirnhäute für medizinische Untersuchungen leichter zugänglich. Kombiniert mit Protein-Panels – Tests zum Nachweis spezifischer Proteine in Gewebeproben – könnte dies ermöglichen, Spike-Proteine oder Entzündungsmarker im Blut oder der Gehirnflüssigkeit zu identifizieren. „Solche Marker sind für eine frühzeitige Diagnose von COVID-19-bedingten neurologischen Komplikationen wichtig", so Ertürk: „Darüber hinaus könnte die Charakterisierung dieser Proteine die Entwicklung gezielter Therapien und Biomarker unterstützen, um neurologische Beeinträchtigungen durch COVID-19 besser zu behandeln oder sogar zu verhindern.“ Prof. Ulrike Protzer, leitende Virologin bei Helmholtz Munich und an der Technischen Universität München, betont die weitreichende Bedeutung der Studie: „Angesichts der anhaltenden globalen Auswirkungen von COVID-19 und des zunehmenden Interesses an Langzeitfolgen ist diese Studie, die neue Erkenntnisse über Invasionswege ins Gehirn und unerwartete langfristige Wechselwirkungen mit dem Wirt liefert, besonders relevant. Diese Ergebnisse sind nicht nur wissenschaftlich wegweisend, sondern auch von großer gesellschaftlicher Bedeutung.“

Literatur:
Rong Z, Mai H, Ebert G, et al.: Persistence of spike protein at the skull-meninges-brain axis may contribute to the neurological sequelae of COVID-19. Cell Host & Microbe, 2024, DOI: 10.1016/j.chom.2024.11.007.

Quelle: HZM

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