In einem Milliliter menschlichen Bluts befinden sich mehr als 250 Millionen Thrombozyten. Sie stillen nicht nur Blutungen und lösen Infarkte aus: sie sind auch Modulatoren des Immunsystems, treiben Entzündungsprozesse voran und begünstigen Beschädigungen des Gewebes. Prof. Dr. Bernhard Nieswandt, Leiter des Lehrstuhls für Experimentelle Biomedizin I, Uniklinikum Würzburg (UKW), prägte den Begriff der Thromboinflammation. Aufgrund seiner Pionierarbeit im Bereich der Blutplättchenforschung erhielt er nun den ERC Advanced Grant, ein Teil des EU-Programms Horizon Europe, mitdem etablierte Spitzenforscherinnen und Spitzenforscher geehrt werden.
Reorganisation nicht-aktivierter Thrombozyten
In seinem neuen ERC-Projekt „PITT-Inflame“ (Platelet-derived Integrin- and Tetraspanin-enriched Tethers as key effectors in thrombo-Inflammation) widmet er sich den von Thrombozyten abgespaltetenen Organellen. Denn durch ihre Interaktion mit anderen Zellen innerhalb der Blutgefäße sind sie ein Treiber von Entzündungen. „Konkret wollen wir einen zellulären Mechanismus von Thrombozyten analysieren, der noch nie beschrieben wurde und den wir in meiner Arbeitsgruppe eher beiläufig entdeckt haben“, berichtet Nieswandt. Während aktivierte Thrombozyten nach ihrer Anhaftung an Verletzungsstellen schnell von Phagozyten entsorgt werden, untergehen nicht-aktivierte Thrombozyten einen Prozess der Reorganisation.
In diesem Prozess der Reorganisation deponieren sie einen Teil ihrer Membran an Stellen, an denen Entzündungsprozesse stattfinden und fördern diese dadurch. Der erste Teil des Projekts soll den Prozess zur Reorganisation erforschen, wieso der Thrombozyt einen Teil von sich hinterlässt, um sich an Entzündungen zu beteiligen. Im zweiten Teil des Projekts möchte Nieswandt PITT-induzierte Effekte auf die Zielzellen identifizieren, um hieraus mögliche therapeutische Strategien abzuleiten.
Blitzschnell Moleküle reorganisieren
Wichtig für den ersten Teil sind Integrine, bestimmte Adhäsionsrezeptoren. Sie befinden sich am Zytoskelett der Zellen und können sich komplett frei in der Membran bewegen. So ist es ihnen möglich, 100.000 Moleküle außerordentlich schnell in bestimmte Regionen der Zelloberfläche zu reorganisieren. „Da muss in der Zelle eine Art Sortiermaschine vorhanden sein, die den gesamten Bestand ihrer wichtigsten Adhäsionsrezeptoren zusammen mit assoziierten Membranproteinen, den Tetraspaninen, als Bausteine für neuartige Zellorganelle, die PITTs, reorganisiert“, erläutert Nieswandt. Es gibt bereits erste Hinweise, dass diese Organellen mithilfe von Signalmolekülen, Ribosomen und RNA die Funktion ihrer Zielzellen verändern können.
„Unsere Hypothese ist, dass zirkulierende Thrombozyten die Fähigkeit haben, ihre wichtigsten Adhäsions- und Signalisierungsmechanismen auf zwei grundlegend verschiedene Arten zu nutzen und dadurch zwischen hämostatischen und thrombo-inflammatorischen Funktionen zu wechseln. Sollte sich diese Annahme bestätigen, würde dies eine grundlegend neue Forschungsrichtung in der Thrombozytenbiologie begründen und vielversprechende Wege für die Behandlung eines breiten Spektrums von Krankheiten mit großen Auswirkungen auf die Gesellschaft eröffnen“, fasst Nieswandt zusammen.
Quelle: idw
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