Tumornekrosefaktor-alpha (TNF-α) ist ein zentraler Signalstoff des Immunsystems und an vielen Entzündungsprozessen beteiligt. Die Blockade dieses Moleküls ist Grundlage moderner Therapeutika gegen Entzündungskrankheiten wie Rheuma, Schuppenflechte oder chronisch-entzündliche Darmerkrankungen. Welcher molekulare Mechanismus der Freisetzung und damit Aktivierung von TNF-α zugrunde liegt, hat jetzt erstmals eine Arbeitsgruppe des Exzellenzclusters Entzündungsforschung an der Medizinischen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) aufgeklärt.
Dem Team unter Leitung der Zellbiologin Professorin Karina Reiß ist damit eine Pionierleistung gelungen. Denn das entdeckte Prinzip ist von grundlegender Bedeutung und eröffnet ein komplett neues Forschungsfeld in der Zellbiologie. Abgesehen davon liefert die kürzlich publizierte Studie neue Ansatzpunkte für die Entwicklung antientzündlicher Therapien.
Erster Meilenstein war 1997
Seit die zentrale Rolle von Tumornekrosefaktor-alpha (TNF-α) im Entzündungsgeschehen bekannt ist, versuchen Arbeitsgruppen auf der ganzen Welt zu verstehen, wie dieses wichtige Molekül im Körper reguliert wird. Ein Meilenstein in diesem Zusammenhang war eine Entdeckung aus dem Jahr 1997. Damals wurde das Enzym entdeckt, das TNF-α freisetzt. Das Enzym namens ADAM17 sitzt auf der Zelloberfläche und „schneidet“ dort TNF-α von der in der Membran verankerten Vorstufe ab, so dass es an anderen Zellen seine Wirkung entfalten kann.
Neben TNF-α spaltet ADAM17 auch viele andere in der Membran sitzenden Moleküle und überführt diese dadurch in eine lösliche Form. „Die Protease schneidet Substrate direkt über der Zellmembran ab. Dann können diese nun freigesetzten Proteine an Rezeptoren auf anderen Zellen binden. So wird durch die Protease ADAM17 unglaublich viel in unserem Körper reguliert“, erklärt Karina Reiß, die seit 2008 als Professorin für epitheliale Proteaseinhibitoren im Exzellenzcluster Entzündungsforschung an der Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie, Medizinische Fakultät der CAU und Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH), forscht. Es wurden bereits sehr viele Substrate identifiziert, die ADAM17 spaltet. Diese spielen zum Beispiel bei der Zellproliferation, also dem Wachstum von Gewebe, und bei der Immunreaktion eine Rolle.
Molekulare Ebene war ein Rätsel
Seit der Entdeckung von ADAM17 als TNF-α freisetzendes Enzym erhofft man sich von der weiteren Charakterisierung dieser Protease Fortschritte für die Therapie zum Beispiel von Menschen mit chronischen Entzündungen des Darms (Morbus Crohn, Colitis ulcerosa), der Haut (Psoriasis) oder der Gelenke (rheumatoide Arthritis). Grundlegende Fragen sind: Wann fängt dieses Enzym an, etwas von der Zelloberfläche abzuschneiden, und wie funktioniert das im Detail?
Durch welche Substanzen die Protease aktiviert wird, also wann sie anfängt, etwas abzuschneiden, ist mittlerweile erforscht. „Aber wie das auf molekularer Ebene funktioniert, hat noch keiner verstanden. Hier haben wir einen wichtigen Beitrag geleistet. Wir können zum ersten Mal den Mechanismus beschreiben, wie ADAM17 aktiviert wird, und tragen damit wesentlich zum Verständnis der Regulation dieses wichtigen Enzyms bei“, erklärt Reiß.
PS hat eine Schlüsselrolle
Eine Schlüsselrolle in dem Prozess hat ein Bestandteil der Zellmembran, das Lipidmolekül Phosphatidylserin, kurz PS. Die überwiegend aus Phospholipiden bestehende Zellmembran ist asymmetrisch aufgebaut. Bestimmte Lipide befinden sich nur innen und andere nur außen in der Doppelschicht der Membran. Das negativ geladene Lipidmolekül PS sitzt auf der Innenseite der Membran. Dort können positiv geladene Proteine durch elektrostatische Anziehung andocken, wodurch deren Funktion reguliert wird.
„Wir haben beobachtet, dass das negativ geladene Phosphatidylserin unter bestimmten Umständen kurzfristig nach außen kommt, also quasi umklappt. Dadurch entsteht außen eine negative Ladung. ADAM17 hat positive Ladungen, die mit dieser negativen Ladung interagieren. Das ist der entscheidende Mechanismus, der die Protease aktiviert, damit sie etwas abschneidet“, erklärt Dr. Anselm Sommer, Postdoktorand der Arbeitsgruppe und Erstautor der Studie. Für intrazelluläre Proteine sei bekannt, dass deren Funktion über elektrostatische Anziehung an PS reguliert wird, nicht jedoch für Proteine auf der Außenseite der Zelle.
Auch andere Proteine dadurch beeinflusst?
Reiß weiter: „Insofern ist das ein neues, grundlegendes Prinzip in der Zellbiologie, das wir da entdeckt haben.“ Denn es sei gut möglich, dass nicht nur die Protease ADAM17, sondern auch andere Proteine durch dieses nach außen Drehen von PS in ihrer Funktion beeinflusst werden.
Nachgewiesen haben die Forschenden den Mechanismus in Zellkulturstudien mit Substanzen, von denen bekannt ist, dass sie ADAM17 aktivieren. „Wir haben viele bekannte Aktivatoren von ADAM17 auf die Zellen gegeben und konnten im Mikroskop mit Hilfe eines PS-bindenden Farbstoffs beobachten, dass sich PS dabei von innen nach außen bewegt.“
Außerdem wurde der Bereich des ADAM17-Moleküls identifiziert, der mit den negativen Ladungen von PS interagiert. In einem nächsten Schritt sind Studien im Mausmodell geplant, die das neu entdeckte Prinzip auch im lebenden Organismus nachweisen sollen. Ermöglicht und gefördert wurde diese Studie mit Mitteln des Exzellenzclusters Entzündungsforschung, des SFB 877 „Proteolyse als regulatorisches Element in der Pathophysiologie“ und des Graduiertenkolleg 1743 „Gene, Umwelt und Entzündung“. (idw, red)
* Extrazelluläre Signale führen dazu, dass das negativ geladene Phospholipid Phosphatidylserin (PS) von der Innenseite der Membran nach außen kommt. Die Protease ADAM17 kann in diesem Moment mit PS elektrostatisch interagieren und wird so in die Lage versetzt, Substrate (z.B. TNF-α) freizusetzen. Durch Freisetzung von TNF α werden Entzündungsreaktionen in unserem Körper entscheidend beeinflusst.
Sommer, A et al.: Phosphatidylserine exposure is required for ADAM17 sheddase function. Nat. Commun. 7:11523 DOI: 10.1038/ncomms11523 (2016), published 10. 2016.
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