In den vergangenen Monaten wurde viel über die „Ewigkeitschemikalie“ PFAS diskutiert. Es handelt sich dabei um eine Abkürzung für per- und polyfluorierte Chemikalien. Diese Stoffgruppe umfasse nach letzten Schätzungen mehr als 10.000 verschiedene Stoffe, so das Bundesumweltministerium. PFAS kommen nicht natürlich vor und werden erst seit den späten 1940er-Jahren hergestellt. Noch gibt es viele Fragezeichen bei der Forschung zu PFAS. Forscherinnen und Forscher des Helmholtz Zentrum für Umweltforschung (UFZ) hatten für eine Studie nun 66 PFAS-Verbindungen in den Fokus genommen, die sich in drei Kategorien einordnen lassen: Bereits seit längerem reglementierte PFAS-Gruppen; neue PFAS, die die Industrie als Ersatzstoffe für reglementierte PFAS einsetzt, sowie sogenannte Vorläufersubstanzen, die sich zu anderen, langlebigeren PFAS abbauen können.
Summenparameter für PFAS bestimmt
Weil sich mit diesen Einzelanalysen jedoch nur ein kleiner Ausschnitt der mehr als 10.000 von der Industrie eingesetzten PFAS in der Umwelt entdecken und viele polyfluorierte Verbindungen sich mangels Verfügbarkeit von analytischen Standards nicht messen lassen, bestimmte das Forschungsteam zudem mit einem neuen weiterentwickelten Verfahren, dem TOP (Total Oxidizable Precursors)-Assay, einen sogenannten Summenparameter für PFAS im Wildschwein (Leber). „Der Summenparameter gibt an, wie viele Vorläuferverbindungen insgesamt in einer Probe vorhanden sind, die noch zu langlebigen Abbauprodukten reagieren können“, erklärt Jana Rupp, Umweltchemikerin am UFZ und Erstautorin des Papers. Der TOP-Assay liefert aber keine Informationen, wie hoch die Konzentrationen der einzelnen Vorläuferverbindungen sind.
Drei Standorte untersucht
Zum Einsatz kam die Analytik, die das UFZ gemeinsam mit dem DVGW-Technologiezentrum Wasser in Karlsruhe entwickelte, in Deutschland an drei Standorten mit unterschiedlichen Voraussetzungen: Ein Hotspot-Standort liegt in der Nähe der badischen Stadt Rastatt, wo vermutlich bis in die 2000er-Jahre hinein PFAS-belasteter Papierschlamm als recycelter Kompost auf den Feldern ausgebracht wurde. Beim zweiten Hotspot-Standort handelt es sich um ein Industriegebiet in Süddeutschland. Die dritte Untersuchungsfläche im Nordosten Deutschlands hat keine Standortauffälligkeiten, sodass sich dort die Hintergrundbelastung der PFAS feststellen lässt.
Nachweis in der Leber
Dass die Wahl der Forscherinnen und Forscher auf die Wildschweinleber als Bioindikator fiel, hat mehrere Gründe. „Das Wildschwein ist weit verbreitet und wird überall gejagt. Über die Tierart kann man deswegen einen sehr guten Überblick bekommen, wo in Deutschland Hotspots der Verbreitung der PFAS sind“, erklärt Rupp. Da das Wildschwein sehr mobil ist und ein mehrere Quadratkilometer großes Areal beansprucht, spiegelt es damit auch die Belastung auf einer größeren Fläche wider – ein Vorteil gegenüber Bodenproben, mit denen es deutlich schwerer ist, Aussagen zur PFAS-Belastung größerer Flächen zu treffen. Die Leber wiederum ist gut geeignet, weil sie sehr gut durchblutet ist: „PFAS reichern sich nicht wie die meisten Umweltschadstoffe im Fettgewebe an, sondern binden sich eher an Proteine. Deswegen zirkulieren sie im Blut und sind in der Leber sehr gut nachzuweisen“, erläutert Rupp. Im Vergleich zu anderen an Land lebenden Tierarten wie Rotwild, Reh oder Gämse, die theoretisch ebenso als Indikatorart für PFAS in Frage kommen könnten, hatten die Forscherinnen und Forscher in einer anderen Studie festgestellt, dass die PFAS-Konzentrationen in der Wildschweinleber am höchsten sind. Die Gründe dafür: Das Wildschwein ist Allesfresser und steht an der Spitze der Nahrungskette, frisst also Mäuse, Frösche, Schnecken oder Würmer, die ihrerseits belastet sind. Zudem wühlt es viel im Boden und nimmt darüber indirekt auch PFAS auf.
Belastung lässt sich gut abbilden
In der Analyse hat sich gezeigt, dass sich mit dem Bioindikator Wildschweinleber die PFAS-Belastung im Lebensraum des Tieres gut abbilden lässt. „Die PFAS sind überall und zum Teil auch in großen Mengen weit verbreitet. Wir konnten deutlich erhöhte Gehalte in Regionen mit bekanntermaßen erhöhter PFAS-Belastung nachweisen“, sagt Prof. Dr. Thorsten Reemtsma, Leiter des UFZ-Departments Analytik und Letztautor der Studie. So sei beispielsweise die PFAS-Konzentration in der Umgebung des Industrieunternehmens in Süddeutschland fast doppelt so hoch gewesen wie auf jenen Flächen, auf denen PFAS-belasteter Papierschlamm in der Landwirtschaft eingesetzt wurde – und fast achtmal höher als die Konzentrationen auf den Flächen mit einer Hintergrundbelastung, die als normal PFAS-belastet gelten könne.
Belastete Gebiete leichter finden
Über die Leber konnten auch unterschiedliche Verteilungsmuster der verschiedenen PFAS-Gruppen an den drei Standorten festgestellt werden: So dominiert beim Industriestandort noch immer eine ältere PFAS-Substanz, die bereits verboten ist, aber als Altlast aufgrund ihrer extremen Langlebigkeit weiterhin nachgewiesen werden kann. Zudem fanden die Forscher dort auch neuere PFAS-Substanzen, die von der Industrie als Ersatz für verbotene PFAS-Gruppen eingesetzt werden. An den beiden anderen Probenahmeorten kommen fast ausschließlich ältere PFAS-Substanzen vor. Ein ähnliches Belastungsmuster stellten die Forscherinnen und Forscher auch in Bodenproben der zwei Hotspots fest – als wäre den Standorten ein chemischer Fingerabdruck aufgedrückt. „Der Vergleich der PFAS-Kontamination von Wildschweinen und Böden belegt, dass Wildschweinleber als Bioindikator für die PFAS-Kontamination der terrestrischen Umwelt geeignet ist“, bilanziert Reemtsma. Noch sind viele lokale Belastungen in Deutschland unentdeckt, auch weil der analytische Aufwand mittels Bodenproben viel zu aufwendig ist. „Mit der Leber der Wildschweine lassen sich die belasteten Gebiete deutlich unkomplizierter ausfindig machen und eingrenzen“, sagt Reemtsma.
Quelle: UFZ
Artikel teilen