Die älteste Therapieform in der Nuklearmedizin, die radioaktiv markierte Substanzen zur Zerstörung von Gewebezellen nutzt, ist die Radiojodtherapie bei Schilddrüsenerkrankungen. Erstmals 1949 in Deutschland angewendet, kommt sie heute hierzulande jährlich bei 50.000 bis 60.000 gut- und bösartigen Schilddrüsenkrankheiten zum Einsatz. „Demgegenüber steht die neue Anwendung zum Beispiel beim Prostatakrebs“, erklärt Prof. Dr. med. Michael Kreißl, BDN-Experte und Leiter der Nuklearmedizin an der Klinik für Radiologie und Nuklearmedizin, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg.
Bei etwa 95 Prozent aller Prostatakarzinome ist das Prostata-spezifische Membran-Antigen (PSMA) vorhanden. Ist die Krebserkrankung weit fortgeschritten, hat der Tumor gestreut, und haben Hormon- und Chemotherapie versagt, kann eine PSMA-Therapie erfolgen. „Zunächst wird geprüft, ob die Zielstruktur PSMA auf allen Tumorherden vorhanden ist, um unnötige Strahlenexposition ohne Aussicht auf Erfolg zu vermeiden“, so Kreißl. „Im Gegensatz zu manchen Chemotherapien behandelt die Nuklearmedizin sehr präzise, denn Nuklearmediziner sehen das Ziel, das sie therapieren.“
Ist PSMA ausreichend auf den Tumorzellen vorhanden, wird eine Substanz über die Armvene verabreicht, die gezielt an das PSMA-Molekül andockt und mit einem radioaktiv strahlenden Nuklid – in den meisten Fällen Lutetium-177 – beladen ist. Das Radionuklid zerstört durch weniger als einen Millimeter reichende Betastrahlung die Tumorzellen. Es erfolgen drei oder mehr Behandlungszyklen, meist im Abstand von vier bis zehn Wochen. „Die Behandlungsergebnisse sind vielversprechend“, sagt Kreißl.
Selektive Interne Radiotherapie (SIRT)
Wie eine deutsche multizentrische Auswertung und eine prospektive Phase-II-Studie zeigten, sprechen 40 bis 60 Prozent der Patienten auf die Therapie an, in etwa 40 Prozent der Fälle reduzierten sich die Schmerzen. Die Nebenwirkungen waren überwiegend gering. „In der Hälfte der Fälle drängt die PSMA-Therapie den Tumor erfolgreich zurück, bei einem weiteren großen Anteil stoppt sie das Fortschreiten der Erkrankung für einen längeren Zeitraum“, berichtet Kreißl aus eigener Erfahrung. Weitere Substanzen, die gegen Schlüsselmoleküle etwa auf Lymphomen, Pankreaskarzinomen oder Brustkrebs wirken, sind in der frühen Erprobungsphase.
Relativ neu ist auch die Selektive Interne Radiotherapie (SIRT). Sie ermöglicht es, Tumoren und Metastasen in der Leber von innen zu bestrahlen. Bei der SIRT werden mit dem Betastrahler Yttrium-90 oder Holmium-166 markierte Mikrokügelchen durch einen dünnen Katheter in die Leberarterie eingespritzt. Auf diese Weise gelangen sie direkt zum Tumor, setzen sich dort ab und greifen von innen heraus an. „SIRT ist im Vergleich zur Bestrahlung von außen eine sehr wirksame und schonende Alternative. Auch bestehen im Vergleich zur Chemotherapie im Schnitt bessere Aussichten, in der Leber gelegene Tumoren zurückzudrängen. Die Wirkung der Therapie ist allerdings auf die Leber beschränkt“, so Kreißl.
Bewährt hat sich die nuklearmedizinische Therapie bereits bei neuroendokrinen Tumoren (NET) des Magen-Darm-Traktes. Die sogenannte Peptid-Radio-Rezeptor-Therapie (PRRT) kommt vor allem nach einer Operation in Betracht, wenn die Erkrankung trotz medikamentöser Therapie fortschreitet oder Symptome verursacht. Auch hier erhält der Patient ein radioaktives Medikament als Infusion über die Armvene verabreicht, das an die Somatostatinrezeptoren andockt, die auf den Tumorzellen stark vermehrt vorhanden sind.
Positronen-Emissions-Tomographie (PET-Hybridbildgebung)
Die radioaktive Strahlung hindert die Krebszellen am weiteren Wachstum und tötet sie teils auch ab. „Die Behandlung verlängert das Gesamtüberleben der Patienten und führt zu einer 79-prozentigen Reduktion des Risikos für ein Fortschreiten der Erkrankung oder eines Todes dadurch, wie eine randomisierte Phase-III-Studie bereits zeigte“, so Kreißl. „Auch hier wird zunächst überprüft, ob die Zielstruktur, der Somatostatinrezeptor, ausreichend auf den Tumorherden vorhanden ist, bevor die PRRT begonnen wird.“ Etwa 1.000 Patienten unterziehen sich in Deutschland jährlich einer PRRT.
Die Präzision, die die Nuklearmedizin bietet, schlägt sich aber auch in der Bildgebung nieder – das gilt vor allem für die Positronen-Emissions-Tomographie (PET-Hybridbildgebung) mit radioaktiv markiertem Zucker (FDG, Fluordesoxylglukose). „Wir können damit Tumorherde sehr früh und genau über ihren gesteigerten Zuckerstoffwechsel im gesamten Körper darstellen“, so Kreißl. So ist die FDG-PET der höchstempfindliche Standard in der anfänglichen Bildgebung bei Lungenkrebs, dem Hodgkin-Lymphom und dem Kehlkopfkrebs.
Darüber hinaus kann die FDG-PET nicht nur Tumorherde aufspüren, sondern auch frühe Aussagen über den Erfolg einer Therapie machen, indem sie einen reduzierten Zuckerstoffwechsel in den durch die Behandlung geschädigten Krebszellen und -herden anzeigt. „Das ist der Grund, warum die PET-Hybridbildgebung vielfach in Studien zur Entwicklung neuer Behandlungen eingesetzt wird. Sie kann sehr früh nachweisen, ob die Therapie anschlägt“, erläutert Kreißl.
Neues Strahlenschutzgesetz
Die Bildgebung, die wiederum unübertroffen präzise Auskünfte über die Ausbreitung von Tumorherden bei Prostatakrebs-Rückfällen gibt, ist die PSMA-Positronen-Emissions-Tomografie. So legt es auch die S3-Leitlinie für das Prostatakarzinom fest. „Nach aktueller Studienlage ergeben sich bei mehr als der Hälfte der Patienten, die mit der PSMA-PET untersucht wurden, Befunde, die eine Änderung des ursprünglichen Behandlungsplans erforderlich machen“, erklärt der Magdeburger Nuklearmediziner. Das kann bedeuten, dass eine lokale Strahlentherapie oder auch eine erneute Operation vorzuziehen sind.
Ob Therapie oder Kontrolluntersuchung, ob bewährtes Verfahren oder neuer Ansatz: Die Anwendungen finden auf qualitativ höchstem Niveau statt und sind maximal sicher für Patienten wie Angehörige – dafür sorgt das neue Strahlenschutzgesetz, das zu Beginn des Jahres in Kraft getreten ist. „Handelt es sich um forschungsbezogene Untersuchungen oder Behandlungen, werden Genehmigungen beim Bundesamt für Strahlenschutz eingeholt“, betont Kreißl. „Auch bei jeder einzelnen klinischen Anwendung führt ein Facharzt eine Risiko-Nutzen-Analyse für den Patienten durch.“
Quelle: BDN, 13.05.2019
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