Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler konnten erstmals zeigen, dass alle Fresszellen im Gehirn, sogenannte Mikrogliazellen, den gleichen Ursprung haben, sich aber je nach Aufgabe unterschiedlich entwickeln. Bisher war man von unterschiedlichen Zelltypen ausgegangen.
Der Nachweis gelang mithilfe einer neuen, hochauflösenden Methode zur Untersuchung von Einzelzellen und ist wichtig für das Verständnis neurodegenerativer Krankheiten. Außerdem konnten die Forscher aus Freiburg, Göttingen, Berlin, Bochum, Essen und Ghent (Belgien) detailliert nachweisen, wie sich das menschliche Immunsystem bei Multipler Sklerose (MS) verändert, was für künftige Therapieansätze von Bedeutung ist. Die Studie erschien im Fachmagazin Nature.
„Wir konnten zeigen, dass es im Gehirn nur einen einzigen Typ Mikrogliazellen gibt“, sagt Projektleiter Prof. Dr. Marco Prinz, Ärztlicher Direktor des Instituts für Neuropathologie am Universitätsklinikum Freiburg. „Diese Immunzellen sind sehr vielseitige Alleskönner und keine Spezialisten, wie es bislang Lehrbuchmeinung war“, fasst Prof. Prinz zusammen.
Mikrogliazellen entwickeln sich unterschiedlich
Da die im Blut befindlichen Immunzellen aufgrund der sogenannten Blut-Hirn-Schranke nicht in Gehirn und Rückenmark gelangen können, benötigt das Gehirn eine eigene Immunabwehr: die Mikrogliazellen. Diese Fresszellen des Gehirns bilden sich früh in der Embryonalentwicklung und beseitigen später eingedrungene Keime und abgestorbene Nervenzellen. Zudem sind sie an der Reifung und lebenslangen Formbarkeit des Gehirns beteiligt. Bislang war unklar, ob es für die verschiedensten Funktionen im gesunden und erkrankten Gehirn Subtypen gibt.
Detailliert verglichen die Forscher um Prof. Prinz und die Erstautoren der Studie, Dr. Takahiro Masuda, Dr. Roman Sankowski sowie Dr. Ori Staszewski vom Institut für Neuropathologie des Universitätsklinikums Freiburg, die unterschiedlichen Immunzellen im Gehirn. Dies taten sie sowohl im Mausmodell als auch an menschlichem Hirngewebe, das Patienten im Rahmen eines epilepsiechirurgischen Eingriffs entfernt wurde.
Mithilfe einer neuen Methode zur Analyse von Einzelzellen konnten die Forscher detailliert die Herkunft und Funktion der Zellen nachweisen. Dafür untersuchten sie mittels Mikroskop viele Immunzellen unterschiedlicher Hirnregionen und Entwicklungsstufen. Mit einem molekularbiologischen Verfahren analysierten sie außerdem die RNA-Proteinbaupläne der Zellen. Dabei zeigte sich, dass alle Mikrogliazellen gleichen Ursprungs waren, sich aber je nach Entwicklungsphase und Region des Gehirns und abhängig von der auszuübenden Funktion unterschiedlich entwickeln. „Es ist extrem spannend zu sehen, wie flexibel die Mikrogliazellen sein können“, sagt Prinz.
Fehlgesteuerte Mikroglia
Fehlgesteuerte Mikroglia spielt zudem bei mehreren Hirnerkrankungen eine Rolle. Insbesondere wird den Mikrogliazellen eine entscheidende Rolle bei der Entstehung von Alzheimer, Multipler Sklerose und auch einigen psychiatrischen Erkrankungen wie Autismus zugeschrieben. Im gesunden Gehirn bilden Mikroglia ein gleichförmiges Netz um die Nervenzellen, welches sich bei Erkrankungen in wenigen Minuten verändern kann und viele neue Fresszellen zur Schadensbekämpfung bilden kann.
„Wir haben jetzt erstmals einen hochauflösenden Immunzellatlas des menschlichen Gehirns. So können wir auch nachvollziehen, wie sich diese Zellen bei Erkrankungen wie der Multiplen Sklerose verändern“, sagt Prof. Prinz. „Bei MS-Patienten konnten wir Mikrogliazellen in einem Zustand finden, der spezifisch für Multiple Sklerose ist. Unsere Hoffnung ist, dass sich Zellen in diesem Zustand künftig gezielt ausschalten lassen.“
Die Untersuchungen im Mausmodell brachten die Forscher auf den richtigen Weg. Allerdings konnte Erstautor Dr. Masuda auch zeigen, dass menschliche Mikrogliazellen deutlich komplexer sind als die von Labortieren. „Die individuellen Veränderungen im menschlichen Gehirn hinterlassen im Laufe des Lebens auch in den Mikrogliazellen ihre Spuren“, sagt Dr. Masuda.
Spatial and temporal heterogeneity of mouse and human microglia at single-cell resolution
DOI: 10.1038/s41586-019-0924-x
Quelle: Universitätsklinikum Freiburg, 14.02.2019
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