Neue Antibiotika werden dringend gefordert

Wissenschaftler schlagen Alarm
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Test auf Antibiotikaresistenz
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Auf der 29. Jahrestagung der Paul-Ehrlich-Gesellschaft gab es den dringenden Appell, die Bedingungen für die Entwicklung neuer, resistenzbrechender Antibiotika zu verbessern.

Spricht man dieser Tage mit Apothekerinnen und Apothekern gibt es fast nur noch ein Thema. Die fehlenden oder nicht gelieferten Medikamente. Inzwischen befinden sich auch Antibiotika unter den Mangelprodukten. Doch dies ist nur die eine Seite der Medaille. Selbst die vorhandenen Medikamente werden immer öfter unwirksam, weil die Resistenzen weltweit zunehmen. Antimikrobielle Resistenzen (AMR) gehören laut WHO inzwischen zu den zehn größten Bedrohungen für die globale Gesundheit. Allein innerhalb der EU sterben jährlich etwa 35.000 Menschen an antibiotikaresistenten Infektionen. Die WHO schätzt, dass im Jahr 2019 weltweit 1,27 Millionen Todesfälle direkt auf arzneimittelresistente Infektionen zurückzuführen waren.

Antbiotikawirksamkeit wird zunehmend gefährdet.

„Das ist ein besorgniserregender Zustand, den es dringend gilt, anzugehen“, sagt Prof. Dr. Mathias Pletz, Präsident der Paul-Ehrlich-Gesellschaft für Infektionstherapie (PEG) und Direktor des Instituts für Infektionsmedizin und Krankenhaushygiene am Universitätsklinikum Jena. „Wir sind gerade dabei, die Errungenschaften der modernen Medizin wieder zu verlieren und in die Zeit vor der Entdeckung von Penicillin zurückzufallen. Infektionen sind die dritthäufigste Todesursache, und die Zahl der Patientinnen und Patienten, die für Infektionen anfällig sind, nimmt aufgrund der Alterung der Gesellschaft aber auch aufgrund der Fortschritte in der Krebs- und Rheumatherapie sowie der Implantatchirurgie kontinuierlich zu. Der gesicherte Zugriff auf wirksame Antibiotika ist daher eine Notwendigkeit für die moderne Medizin und die alternde Gesellschaft“, so Pletz weiter. „Aber die Antbiotikawirksamkeit wird durch die Resistenzausbreitung zunehmend gefährdet. Wir müssen verstehen, dass Antibiotikaresistenzentwicklung ein natürlicher Prozess der Evolution ist, der nicht aufgehalten, sondern durch den klugen und zurückhaltenden Einsatz von Antibiotika nur verlangsamt werden kann. Wir brauchen daher fortlaufend neue, resistenzbrechende Antibiotika“, fügt Pletz hinzu.

Rahmenbedingungen sollen verbessert werden

Bei der 29. Jahrestagung der Paul-Ehrlich-Gesellschaft haben deshalb Forschende, Klinikerinnen und Kliniker und Vertreterinnen und Vertreter der Pharmaindustrie einen dringenden Appell an die Bundesregierung gerichtet, wirtschaftliche Regularien zu entwickeln, um die Entwicklung und Vermarktung von neuen Antibiotika dauerhaft zu ermöglichen. Damit sollen die Bedingungen für die Entwicklung neuer, resistenzbrechender Antibiotika verbessert werden. „Die Forschungspipeline für neue Antibiotika ist so gut wie leer. Seit 2017 wurden nur zwölf neue Antibiotika zugelassen, von denen zehn zu schon bestehenden Klassen gehören, gegen die sich bereits antimikrobielle Resistenzmechanismen herausgebildet haben“, erklärt DZIF-Professor Mark Brönstrup, Arbeitsgruppenleiter im Forschungsbereich „Neue Antibiotika“ des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF). Der Grund: Die Pharma-Unternehmen geben mehr und mehr die Antibiotikaentwicklung und -produktion auf. Die üblichen Marktmechanismen funktionierten bei Antibiotika nicht, da diese nur sehr restriktiv eingesetzt werden dürften, um die Entstehung neuer Resistenzen hinauszuzögern. Somit könnten nur sehr kleine Mengen verkauft werden – der erzielbare Umsatz decke damit bei weitem nicht die Kosten der Entwicklung und Vermarktung der Antibiotika.

Neue Vergütungsmodelle angemahnt

„Deshalb müssen wir andere Mechanismen finden, um die Entwicklung neuer, resistenzbrechender Antibiotika anzuregen und finanzierbar zu machen. Notwendig sind dafür neue Vergütungsmodelle, die vom Antibiotika-Verkauf entkoppelt sein müssen“, sagt Harald Zimmer, Sprecher des Deutschen Netzwerks gegen Antimikrobielle Resistenzen (DNAMR) und Senior Referent des Verbandes der forschenden Pharmaunternehmen (vfa). So gebe es beispielsweise Diskussionen über die Erzielung zusätzlicher Einnahmen durch die Verlängerung des Exklusivverkaufs eines anderen Medikaments, was dem Unternehmen, das ein neues Antibiotikum entwickelt hat, zugutekäme. Auf der PEG-Tagung (noch bis 19.10. in Weimar) werden auch Therapien mit Bakteriophagen und der Einsatz von Wirkstoffen, die Bakterien schwächen und damit ihre krankmachende Wirkung verhindern (Pathoblocker), als mögliche künftige Alternativen zu Antibiotika vorgestellt. Die Etablierung neuer Marktmechanismen bei Antibiotika und die Erforschung von alternativen Antiinfektiva seien angesichts der zunehmenden Resistenzen allerdings unerlässlich, heißt es.

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Quelle: idw/DZIF

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