Die nun publizierten Ergebnisse zeigen, dass sich in diesem Mikrokosmos viele noch unbekannte Naturstoffe verbergen, die neue Medikamente ermöglichen könnten. Viele der heute verwendeten Antibiotika wurden auf der Basis von Naturstoffen entwickelt, die Bakterien selber produzieren, um andere Bakterien abzuwehren. Gesucht und gefunden hat man diese Stoffe vor allem im Boden. Nun haben sich Julia Vorholt und Jörn Piel vom Institut für Mikrobiologie der ETH Zürich einem ganz anderen Ökosystem zugewandt: der Blattoberfläche von Pflanzen. In einem vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms „Antimikrobielle Resistenz“ (NFP 72) unterstützten Projekt untersuchen sie Bakterienstämme von der Blattoberfläche der Acker-Schmalwand (Arabidopsis thaliana).
Phyllosphäre ist sehr nährstoffarm
Dieser Mikrokosmos, Phyllosphäre genannt, ist sehr nährstoffarm. „Das führt zu großem Konkurrenzdruck“, sagt Julia Vorholt. „Deshalb produzieren Bakterien unterschiedlichste Stoffe, mit denen sie ihren Lebensraum verteidigen.“ Denn trotz des knappen Nahrungsangebots bevölkert eine Vielzahl von Organismen die Phyllosphäre. Vorholt und Piel untersuchten mehr als zweihundert Bakterienstämme, die sich alle auf der in Europa häufig vorkommenden Wildpflanze Acker-Schmalwand finden.
Vielfältige antibiotische Wirkungen zwischen Bakterien
Für die Stämme lagen deren Genome entschlüsselt vor, wurden aber bislang kaum gezielt analysiert. „Wir haben nun mit bioinformatischen Methoden nach Genclustern gesucht, welche generell die Produktion von Stoffen steuern und sich so auf andere Bakterien auswirken könnten“, erklärt Vorholt. Welchen Einfluss diese Stoffe haben, testeten sie parallel dazu im Labor: Sie fanden 725 antibiotische Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Stämmen, die somit dazu führen, dass sich bestimmte Bakterien nicht mehr vermehren.
„Die große Frage war natürlich, ob wir nur Stoffe gefunden haben, die bereits aus anderen Lebensräumen bekannt sind, oder ob wir auf Verbindungen mit ganz neuen Eigenschaften gestoßen sind“, so Jörn Piel. Dies nämlich wäre für die Antibiotikaforschung äußerst wichtig: Sie sucht nach neuen Antibiotika mit Wirkmechanismen, die sich von denen der jetzigen Medikamente deutlich unterscheiden und so bestehende Antibiotikaresistenzen überwinden.
Ein gänzlich neuer Stoff – von vermutlich vielen
Um festzustellen, ob neue Antibiotika vorliegen, mussten Vorholt und Piel die genauen chemischen Zusammensetzungen im Detail studieren. Sie taten dies für Gencluster und Stoffe eines einzelnen Bakterienstamms, der sich als besonders aktiver Produzent erwiesen hat, Brevibacillus sp. Leaf182. Und entdeckten dabei mehrere antibiotisch wirkende chemische Stoffe. Einer davon, von den Forschenden Macrobrevin benannt, weist eine absolut neuartige chemische Struktur auf.
„Wir werden nun abklären, ob Macrobrevin und andere neu entdeckte Substanzen auch gegen Bakterien wirken, die beim Menschen Krankheiten auslösen“, sagt Piel. Noch höher als diese Möglichkeit schätzt er aber den Erfolg ein, gezeigt zu haben, dass es in der bisher wenig erforschten Phyllosphäre noch sehr viele Naturstoffe für Antibiotika zu entdecken gibt: „Dieses unglaublich vielfältige Ökosystem kann mit Sicherheit noch sehr viele neue Ansätze für die Medizin liefern. Unsere Resultate bestätigen, dass es sich lohnt, die Suche nach Antibiotika in der Natur auszuweiten.“ (idw, red)
Helfrich EJN, et al.: Bipartite interactions, antibiotic production and biosynthetic potential of the Arabidopsis leaf microbiome. Nature Microbioloy (2018) DOI: doi.org/10.1038/s41564-018-0200-0.
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