Multiple Sklerose: Verdacht gegen das Epstein-Barr-Virus erhärtet

Welche Rolle spielen T-Zellen?
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© Stanislau, stock.adobe.com
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Nach wie vor gibt es Rätsel darüber, was Multiple Sklerose (MS) auslöst. Eine potenzielle Ursache ist das Epstein-Barr-Virus (EBV). Wissenschaftler/-innen sind nun einen Schritt weitergekommen. Könnte gar eine Impfung helfen?

Warum erkranken manche Menschen an Multipler Sklerose (MS) und andere nicht? Warum kann das EBV, das die meisten Menschen in sich tragen, ohne dadurch Probleme zu haben, möglicherweise bei der Autoimmunerkrankung eine Rolle spielen? Diese Frage haben Neurologen der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) Münster näher untersucht. Die Suche nach den Auslösern der Krankheit MS gleicht einer Fahndung. Die Spuren sind rar und, wenn vorhanden, oft nicht eindeutig. Ein „Einzeltäter“ ist eher auszuschließen – jedoch haben Wissenschaftler/-innen neben genetischer Veranlagung immer wieder einen weiteren Verdächtigen im Visier: das Epstein-Barr-Virus (EBV). Eine Infektion damit könnte nicht nur zeitlich der Entwicklung von MS vorausgehen – sie könnte ein ursächlicher Faktor für die schädlichen Prozesse sein, die bei der MS im Nervensystem ablaufen. Eine Untersuchung von Neurologen der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) Münster lässt nun vermuten: Die T-Zellen, die bei MS ins Nervensystem einwandern, könnten ursprünglich vom Epstein-Barr-Virus dorthin gelockt werden.

Retrospektive Studie hatte aufhorchen lassen

Wiederaufgerollt wurde der „Fall“ im Januar dieses Jahres. Damals war eine retrospektive Studie erschienen, die auch Prof. Dr. Nicholas Schwab und sein Team aufhorchen ließ. Daten von mehr als zehn Millionen Angehörigen des US-Militärs hatten gezeigt: Jeder, der im Beobachtungszeitraum mit MS diagnostiziert wurde, hat vorher Antikörper gegen EBV entwickelt. Der für MS charakteristische Nervenschaden entstand erst nach dem Auftreten von EBV-Antikörpern im Serum. Eine parallele Studie gab zudem Hinweise auf eine ursächliche Verbindung zwischen MS-Pathologie und EBV-Antikörpern. EBV könnte am Aufkommen und möglicherweise auch Fortbestehen der chronisch-entzündlichen Autoimmunerkrankung MS beteiligt sein.

Zelluläre Immunantwort gegen EBV ist vielfältiger

Im Zentrum der Studie stehen Rezeptoren, die auf T-Zellen zu finden sind und die an alle denkbaren Eiweißstrukturen binden können – unter anderem an die von EBV. Deren Analyse zeigte: MS-Patienten haben mehr unterschiedliche, gegen EBV gerichtete T-Zell-Rezeptor-Sequenzen im Blut als Vergleichspersonen. Die zelluläre Immunantwort gegen EBV ist also bei MS-Patienten vielfältiger, erläutert der Erstautor der Studie, Dr. Tilman Schneider-Hohendorf: „Pro 100.000 T-Zellen finden wir bei den Betroffenen eine zusätzliche, EBV-spezifische T-Zelle. Für Laien klingt das nach wenig, summiert sich aber gewaltig, wenn man die Gesamtzahl einzigartiger T-Zellen im menschlichen Körper bedenkt.“ Diese wird auf einen einstelligen Milliardenbetrag geschätzt.

Zudem produziert das Immunsystem von MS-Patienten offenbar kontinuierlich neue EBV-spezifische T-Zellen, die dann vom Blut ins Gewebe auswandern. Das entdeckte das Forschungsteam bei Patienten, die ein Medikament erhielten, welches diesen Auswanderungsprozess stoppt. Bei ihnen sammelten sich die fraglichen T-Zellen im Blut an.

Untersuchung an Zwillingen

Um sicher zu gehen, dass die MS-Erkrankung – und nicht etwa genetische Unterschiede zwischen den untersuchten Proben – die ungewöhnlich große Zahl EBV-spezifischer T-Zellen erklärt, nahmen die Neuroimmunologen eineiige Zwillinge in den Blick, von denen nur eines der Geschwister an MS leidet. Durch eine Kooperation mit der Ludwig-Maximilians-Universität München kamen sie an die Daten zu dieser seltenen Konstellation, bei der die Genetik, äußere Einflüsse und sogar die „Kinderstube“ identisch sind. Auch die erkrankten Zwillingsgeschwister wiesen mehr EBV-spezifische T-Zellen auf. Aber warum ist die Immunantwort gegen das Epstein-Barr-Virus bei MS-Patienten breiter?

Unterschiede zur Latenz

Um dieser Frage nachzugehen, schauten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler genauer auf die Strukturen des Virus, die von T-Zellen gesunder und erkrankter Spender erkannt wurden. Denn auch in der Normalbevölkerung sind 19 von 20 Menschen mit EBV infiziert, aber eben nicht erkrankt. Das Virus wird bei ihnen gut vom Immunsystem kontrolliert, sodass es sich selbst in Dauerschlaf versetzt (Latenz). Ist das Virus hingegen im Körper aktiv, verwendet es andere Bausteine seines Genoms als bei der Latenz – man spricht vom lytischen Zyklus. Die Arbeitsgruppe fand auf T-Zellen im Nervenwasser von MS-Patienten häufiger Rezeptoren gegen lytische EBV-Merkmale, ein Zeichen dafür, dass das Virus aktiv war.

Vermehrt EBV-spezifische T-Zellen im Gehirn?

Prof. Dr. Heinz Wiendl, Direktor der Universitätsklinik für Neurologie mit Institut für Translationale Neurologie in Münster, fasst die Erkenntnisse zusammen: „Unsere Studie legt nahe: T-Zellen, die bei MS ins Gehirn einwandern, sind möglicherweise auf der Suche nach aktiven EBV-Herden. Stimmt das, müssten nicht nur im Nervenwasser, sondern auch im Gehirn von MS-Patienten vermehrt EBV-spezifische T-Zellen zu finden sein“. Diese Frage wollen die Forscher in einer weiteren Analyse beantworten. Sollte sich ihre Annahme bestätigen, könnte wiederkehrende EBV-Aktivität im Gehirn an der Entstehung neuer Krankheitsschübe bei MS-Patienten beteiligt sein. Das wäre ein durchschlagender „Fahndungserfolg“. Denn dann ließe sich die MS möglicherweise besser bekämpfen und MS-Schübe könnten verhindert werden. Im Idealfall würde eine Impfung das Risiko einer folgenreichen EBV-Infektion verringern. Die Abklärung wird Jahre dauern, aber es laufen bereits erste Impfstudien.

Literatur:
Schneider-Hohendorf T, Gerdes LA, Pignolet B, et al.: Broader Epstein–Barr virus–specific T cell receptor repertoire in patients with multiple sclerosis. J Exp Med. 2022, 219 (11): e20220650, DOI: doi.org/10.1084/jem.20220650.

Quelle: idw/ WWU Münster

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