MTF-Ausbildung in Thüringen

Interview mit Cornelia Srocke
Die Frage stellte Ludwig Zahn
Foto des Eingangs zum Staatlichen Berufsschulzentrum in Nordhausen in Thüringen
Schulansicht © Staatliches Berufsschulzentrum in Nordhausen
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Cornelia Srocke ist Stellvertreterin Gesundheitsberufe, Fachkonferenzleiterin Funktionsdiagnostik beim Staatlichen Berufsschulzentrum in Nordhausen in Thüringen. Daneben ist sie Mitglied der Fachvertretung Funktionsdiagnostik im DVTA und Mitglied des Herausgeberboards der MT im Dialog.

Frau Srocke beschreiben Sie uns kurz die Schule, in der Sie arbeiten.

Wir sind ein großes Berufsschulzentrum im Norden Thüringens mit circa 1.100 Schülerinnen, Schülern und Auszubildenden. In zwei Schulteilen wird in den Berufsfeldern Fahrzeugtechnik, Metalltechnik, Wirtschaft und Verwaltung, Körperpflege und Gesundheit ausgebildet.

Im Berufsfeld Gesundheit bilden wir Medizinische/r Fachangestellte/r, Medizinische/r Technologin/Technologe für Funktions­diagnostik (MTF), Pflegefachfrau/Pflegefachmann/Pflegefachperson, Zahnmedizinische/r Fachangestellte/r, Gesundheits- und Krankenpflegehilfe sowie Altenpflegehilfe und Physiotherapeut/in aus.

Die Abteilung Gesundheit ist in einem eigenen Schulteil mit großzügigen, hellen und modern ausgestatteten Räumlichkeiten in der Morgenröte 2 untergebracht. Ein wenig stolz sind wir, dass wir seit 1977 die Ausbildung von medizinisch-technischen Assistenten für Funktionsdiagnostik bis heute durchgehend gestalten konnten. Jetzt haben wir uns mit dem MT-Berufe-Gesetz (MTBG) den neuen Anforderungen gestellt, die uns täglich herausfordern.

Gutes Stichwort. Wie haben Sie die Änderungen durch das neue MTBG/MTAPrV in Ihrer täglichen Praxis erlebt? Wie lief der Start?

Die Umsetzung des MTBG und der MTAPrV begann mit der Erarbeitung des Thüringer Lehrplans für MTF. Da wir in Thüringen die einzige Schule sind, die MTF ausbildet, war es eine sehr arbeitsintensive Zeit. Denn innerhalb eines Jahres sollte der Lehrplan fertig sein. Dabei mussten wir die formalen Anforderungen der Thüringer Ministerien beachten. Dies hat unsere Kreativität ein wenig eingeschränkt. So konnten wir beispielsweise nicht in Modulen planen, da in Thüringen Unterrichtseinheiten in Lernfeldern zu beschreiben sind. Wir sind am 1. September 2023 mit zwölf Auszubildenden gestartet, die aus vier Kliniken in Thüringen und Brandenburg kommen.

Mussten zusätzliche Schulungen oder Weiterbildungen im Zuge der MTBG-Einführung absolviert werden? Wie haben diese Schulungen die Fähigkeiten und Kenntnisse erweitert?

Dank des DVTA konnten wir bereits vor Inkrafttreten der neuen Gesetze die Entwicklung besser verfolgen und haben uns mit dem Kompetenzbegriff auseinandergesetzt. Innerschulische Veranstaltungen, das DACH-Symposium 2023 in Potsdam und vom ThILLM (Anm.: Thüringer Institut für Lehrerfortbildung, Lehrplanentwicklung und Medien) angebotene Fortbildungen zum kompetenzorientierten Prüfen wurden besucht. Unsere Lehrer waren dank der Aus­bildung zum Diplom-Medizinpädagogen in der DDR oder der ­geforderten hochschulischen Ausbildung eines Berufsschullehrers in Thüringen aber bereits vor Einführung des neuen Gesetzes hervor­ragend qualifiziert.

Welche spezifischen Maßnahmen mussten ergriffen werden, um den Anforderungen des neuen MTBG gerecht zu werden? Können Sie konkrete Beispiele für Anpassungen oder Neuerungen geben?

Das schulische Curriculum wurde erarbeitet und aus Fächern wurden Lernfelder. Neue Unterrichtsinhalte wurden geplant und vorbereitet. Der Ablaufplan der Ausbildung wurde geändert und auf die neuen Anforderungen hinsichtlich der geforderten 2.400 Stunden theoretischer und praktischer Unterricht angepasst. Wir haben ein neues Ausbildungsdokument entworfen, den Ausbildungsnachweis für die Azubis. Leider gab es dafür keine Vorgaben von der vorgesetzten Behörde, sodass wir uns an den Ausarbeitungen der Pflege orientiert haben. Auch für die Zeugnisformulare der Jahreszeugnisse, die sich aus dem Gesetz ergeben, gab es keine Vorlage vom Thüringer Ministerium für Bildung, Jugend und Sport. Auch hier haben wir die Vorlagen der Pflege genutzt, um die Zeugnisse zu gestalten.

Wie hat sich die Rolle der Praxisanleitung durch das neue MTBG verändert? Welche neuen Verantwortlichkeiten oder Aufgaben kamen hinzu?

Eine Aufwertung der Praxisanleitung ergibt sich schon allein aus den Vorgaben das MTBG. In Thüringen müssen 15 Prozent der Arbeitszeit für die Praxisanleitung zur Verfügung stehen. Neu sind für die Praxisanleiter die Dokumentationspflichten im Ausbildungsnachweis für die Auszubildenden. Dort müssen Erst-, Zwischen- und Abschlussgespräche geführt und dokumentiert werden. Zu den neuen Aufgaben gehört ebenso die Planung und Durchführung einer strukturierten Praxisanleitung und deren Bewertung mit einer qualifizierten Leistungseinschätzung.

Welche Herausforderungen haben Sie bei der Umsetzung der neuen Anforderungen in der Praxisanleitung festgestellt? Bleibt genügend Zeit für die Praxisanleitung? Wie wurden die neuen Herausforderungen gemeistert?

Noch nicht allen Praxisanleitern ist bewusst, was es bedeutet, eine strukturierte Anleitung durchzuführen. Leider gibt es nicht in allen Bereichen der Funktionsdiagnostik ausreichend Praxisanleiter. Das betrifft hauptsächlich den Bereich der HNO-FD und teilweise auch in der kardiologischen FD.

Gemeinsam mit allen Praxisanleitern haben wir in zwei Veranstaltungen anhand von Beispielen besprochen und aufgezeigt, wie man eine Praxisanleitung strukturieren und planen kann. Wir haben aus verschiedenen Bereichen der Funktionsdiagnostik qualifizierte Leistungseinschätzungen vorgestellt und Hilfen für die Bewertung aufgezeigt.

Es zeigt sich, dass regelmäßige Absprachen mit den Kooperationspartnern, sei es durch Telefonate, Videokonferenzen und vor Ort, weitaus häufiger als bisher notwendig sind.

Wie haben die Änderungen des MTBG/MTAPrV die Qualität der Ausbildung und Anleitung beeinflusst? Gibt es spezifische Verbesserungen oder Verschlechte­rungen, die Sie schon bemerkt haben?

Durch den unterschiedlichen Ausbildungsstand der Praxisanleiter, der sich zum einen aus dem Bestandsschutz und zum anderen aus der 300-stündigen Weiterbildung ergibt, entstehen qualitative Unterschiede in der praktischen Ausbildung. Stand der Wissensvermittlung in den Lernfeldern erfolgt durch die Schule vor jedem praktischen Einsatz. Eingeführt wurde eine gemeinsame Kommunikationsplattform zwischen Schule und Praxisanleitern.

Für die Azubis hat das neue Gesetz Vorteile gebracht. Es gibt eine geregelte Ausbildungsvergütung. Es werden Fahrtkosten zum Berufsschulbesuch ganz oder mit Zuschuss übernommen und teilweise werden die Kosten für die Unterkunft am Berufsschulstandort durch den Träger der Ausbildung erstattet. Die Ausstattung mit Lehrmitteln und Tablets erfolgt durch den Ausbildungsträger.

Wie wurde die Zusammenarbeit zwischen Praxisanleitern und Auszubildenden durch das neue MTBG beeinflusst? Haben Sie Veränderungen in der Interaktion und Kommunikation festgestellt?

Ja, dadurch dass die Kooperationspartner ihre eigenen Azubis ausbilden, ist eine größere Verantwortlichkeit und Umsorgung der Azubis festzustellen.

Wie haben die Auszubildenden auf die Änderungen durch das neue MTBG/MTAPrV reagiert? Haben Sie Unterschiede in der Lernkurve oder Motivation bemerkt?

Die Motivation der Azubis ist eine ganz andere als in den vorhergehenden Schülergenerationen. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass wir in diesem Schuljahr einen sehr motivierten Kurs haben, der sehr leistungsstark ist.

Wie unterstützen Sie die Auszubildenden dabei, die durch das MTBG festgelegten Lernziele zu erreichen? ­Welche (neuen) Methoden oder Tools setzen Sie ein?

Die gute digitale Ausrüstung unserer Schule kommt den Azubis zugute. Es werden viele digitale Tools benutzt, um Lernstoff zu erarbeiten und kreativ zu wiederholen. Beispielsweise werden Padlets (Anm.: digitale Pinnwand) erstellt, wir arbeiten mit Kahoot (Anm.: eine spielebasierte Lernplattform) und jeder Schüler kann ein Tablet benutzen beziehungsweise hat es auch schon von seinem Ausbildungsbetrieb erhalten.

Im praktischen Unterricht werden alle vermittelten Inhalte praktisch demonstriert und in kleinen Gruppen geübt. Dies ist durch unsere gute technische Ausstattung in allen Bereichen der Funktionsdiagnostik möglich.

Welche Rückmeldungen haben Sie von den Auszubildenden beziehungsweise der Praxisanleiter hinsichtlich der neuen Regelungen und der Praxisanleitung erhalten? Gab es spezifische Kritikpunkte oder Lobe, die besonders häufig geäußert wurden? Gibt es hier schon Feedback?

Es gibt ganz unterschiedliche Rückmeldungen aus der Praxis durch die Azubis. Sie sehen positiv, dass aus dem alten Fächerkanon der MTAF-Ausbildung die Inhalte gestrichen worden sind, die für die Ausbildung nicht mehr relevant sind, und alte, überholte Methoden, die in der Funktionsdiagnostik keine Rolle mehr spielen oder nicht mehr angewendet werden, in den neuen Lernfeldern nicht mehr enthalten sind. Positiv aufgenommen wird, dass neu vermittelte Inhalte in der Praxis auch nachgefragt werden und dort umgesetzt werden. Umgekehrt wird beschrieben, dass der Theorie-Praxis-Transfer sehr schwierig ist, wenn es schnell gehen muss. Dann bleibe wenig Zeit, das in der Schule Erlernte in der Praxis auch entsprechend umsetzen zu können.

Von einigen Praxisanleitern wird kritisiert, dass die Dokumenta­tion in den Ausbildungsnachweisen sehr aufwendig ist. Die Bewertung durch die Praxisanleiter wird sehr unterschiedlich vorgenommen, auch in der gleichen Einrichtung. Die geforderte Anleitungszeit von 15 Prozent ist auch noch nicht in allen Bereichen durchgesetzt. Begründet wird dies mit dem Fachkräftemangel.

Wie hat sich der Abschluss eines Ausbildungsvertrages in der Praxis ausgewirkt? Gab es hier Probleme, geeignete Träger zu finden?

In Thüringen hat sich gezeigt, dass zu Beginn der neuen Ausbildung nur die großen Einrichtungen in der Funktionsdiagnostik ausbilden. Deshalb gibt es momentan große Entfernungen zwischen Wohnort, Schulstandort und Ausbildungsträger. So wohnt beispielsweise ein Azubi in Sachsen-Anhalt, besucht die Berufsschule im Norden Thüringens und der Ausbildungsbetrieb liegt in Mittelthüringen. Seit September 2024 kommen bei uns drei neue Kooperationspartner hinzu, die nicht zu den großen Einrichtungen gehören. Dennoch ist die Notwendigkeit der Ausbildung noch nicht bei allen Personalverantwortlichen angekommen. Es haben noch nicht alle erkannt, dass es ohne Ausbildung bald keine neuen MTF auf dem Markt mehr geben wird. Schon jetzt ist die Situation prekär. Wir erhalten jede Woche mindestens zwei Anfragen bezüglich freier Stellen aus ganz Deutschland, die nicht besetzt werden können.

 

Entnommen aus MT im Dialog 11/2024

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