Am 21. September war der Welt-Alzheimertag. Rund eine Million Menschen sind in Deutschland an Alzheimer erkrankt. Da die Ursache für Alzheimer immer noch nicht geklärt ist, ist vor allem Grundlagenforschung von entscheidender Bedeutung. Prof. Dr. Mathias Jucker untersucht am HIH in Tübingen, dem bundesweit größten und modernsten Zentrum zur Erforschung neurologischer Erkrankungen, die zellulären und molekularen Mechanismen, die für die Hirnalterung und die Entstehung von Alzheimer verantwortlich sind. Die Gemeinnützige Hertie-Stiftung unterstützt das HIH bislang mit rund 37 Millionen Euro. Lesen Sie ein Interview mit Prof. Jucker.
Woran arbeiten Sie gerade?
Jucker: Wir versuchen gerade, eine Therapie gegen die ganz frühen Veränderungen bei Alzheimer zu entwickeln. Wir wissen heute, dass sich das Hirn bereits 15 bis 20 Jahre, bevor die ersten Anzeichen für eine Alzheimer-Erkrankung auftreten, verändert, indem sich die ersten falsch gefalteten Eiweiße im Gehirn ablagern. Während man normalerweise mit einer Therapie erst beginnt, wenn Krankheitssymptome auftreten, ist das bei Alzheimer eigentlich viel zu spät. Daher versuchen wir, eine Therapie gegen diese ersten Veränderungen im Gehirn zu entwickeln – und das schon 15 bis 20 Jahre, bevor Symptome zu erkennen sind.
Was sind die größten Herausforderungen?
Jucker: Zuerst einmal müssen wir Personen finden, die in 15 Jahren an Alzheimer erkranken werden. Dann müssen wir versuchen, diese kleinen, missgefalteten Proteine aus dem Weg zu räumen, damit sie keine anderen Eiweiße anstecken. Wir glauben nämlich, dass es erst gar nicht zu einer Erkrankung kommen wird, wenn wir schon die ersten falsch gefalteten Eiweiße entfernen können. Doch das ist extrem schwierig, weil wir gar nicht so richtig wissen, wie diese ersten falsch gefalteten Eiweiße aussehen.
Wie finden Sie Menschen, die in 15 Jahren an Alzheimer erkranken werden?
Jucker: Ich koordiniere die DIAN-Studie in Deutschland, ein weltweites Projekt, das den Verlauf der dominant vererbten Form der Alzheimer-Erkrankung untersucht. Von den Studienteilnehmern wissen wir, dass in ihren Familien Alzheimer vererbt wird. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie an Alzheimer erkranken werden, ist also sehr hoch. Daher können wir diese Menschen schon lange Jahre, bevor sie tatsächlich erkranken, regelmäßig auf Veränderungen im Gehirn untersuchen.
Haben Sie selbst Angst, an Alzheimer zu erkranken?
Jucker: Ich habe wenig Angst, weil ich immer denke, das kommt noch lange nicht. So ist es auch in der Gesellschaft: Jüngere Menschen haben keine Angst vor Alzheimer. Für ältere Menschen, 70- oder 80-Jährige, ist das wohl eine der größten Ängste, die sie haben.
Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, an Alzheimer zu erkranken?
Jucker: Das ist eine Altersfrage: Je älter man wird, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit. Wenn man 100 ist, dann ist sie extrem hoch.
Wie sind Sie selbst als junger Mensch dazu gekommen, sich mit Alterserkrankungen zu befassen?
Jucker: Mich hat schon früh interessiert, wie sich ein Mensch im Alter verändert. Vielleicht durch meine Großmütter, die ich als Kind regelmäßig gesehen habe, oder durch meine Mutter, die sich als ehemalige Krankenschwester in dem Dorf, in dem ich aufgewachsen bin, um die älteren Menschen gekümmert hat. Gibt es Dinge wie Weisheit? Warum ist man nicht mehr so schnell? Was passiert im alternden Gehirn, bevor man erkrankt? In den USA habe ich dann am National Institute on Aging untersucht, wie sich das Gehirn im Alter verändert. Zurück in Europa habe ich meine Faszination für Alzheimer entdeckt, immerhin die am häufigsten vorkommende neurodegenerative Erkrankung des alternden Gehirns.
Es gibt viele verschiedene Forschungsansätze bei Alzheimer. Warum halten Sie Ihren Ansatz für vielversprechend?
Jucker: Viele Forscherkollegen sind überzeugt, dass unser Ansatz richtig ist, nicht erst die Symptome zu behandeln, sondern bereits die ersten, ganz frühen Veränderungen im Gehirn, die wir eigentlich überhaupt noch nicht verstehen. Aber die meisten können sich nicht erlauben, an diesem Problem zu arbeiten, weil es viele Jahre dauern kann, bis man Erfolg hat. Am HIH wird mir dagegen eine langwierige Forschung ermöglicht. Ein vergleichsweise schneller zu erreichendes Ziel ist der „Mönch“ im Berner Oberland, ein Viertausender, den ich gern in diesem Jahr noch mit meiner älteren Tochter besteigen möchte.
Quelle: Gemeinnützige Hertie-Stiftung
Entnommen aus MTA Dialog 10/2016
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