Lungenkrebs führt weltweit die Liste der tödlichsten Krebsarten an. Das liegt nicht zuletzt auch daran, dass noch immer weitgehend im Dunkeln liegt, was genau im Körper vor sich geht, wenn ein solcher Tumor entsteht. In den Zellen laufen hierbei komplizierte, kleinteilige Programme und Kettenreaktionen ab. Ihr Zusammenspiel ist nicht selten von außen betrachtet widersprüchlich. Das macht die Suche nach Therapieansätzen schwierig. Neue Erkenntnisse der Forschungsgruppe um die Pharmazeutin Alexandra K. Kiemer von der Universität des Saarlandes tragen nun dazu bei, die Abläufe besser zu verstehen.
Niedrige Cholesterinwerte in tumorassozierten Makrophagen
Bereits bekannt war, dass beim nichtkleinzelligen Lungenkrebs, der häufigsten Art des Bronchialkarzinoms, das Tumorgewebe viel mehr Fett und Cholesterin enthält als gesundes Gewebe. Als erste Arbeitsgruppe hat das Team um Professorin Kiemer nun aber nachweisen können, dass Fresszellen des Immunsystems, sogenannte Makrophagen, die mit dem Tumor zusammenarbeiten – also mit ihm „assoziiert“ sind – weit weniger Cholesterin enthalten als Makrophagen aus gesundem Gewebe. Dies war bislang nicht bekannt. „Die niedrigen Cholesterinwerte in tumorassozierten Makrophagen waren überraschend angesichts der höheren Cholesterinwerte im Tumorgewebe selbst“, erklärt Jessica Hoppstädter, promovierte Pharmazeutin und Erst-Autorin der neuen Studie. Sie fand heraus, dass Gene, die den Cholesterinstoffwechsel in diesen Makrophagen beeinflussen, anders geschaltet sind: „Die Gene, die dafür sorgen, dass Cholesterin aufgenommen und in den Zellen produziert wird, sind herunterreguliert. Und die, die bewirken, dass Cholesterin aus den Makrophagen heraus transportiert wird, sind hochreguliert“, sagt Hoppstädter.
Cholesterinsenker wohl keine wirksame Therapiemaßnahme
Die neuen Erkenntnisse der Pharmazeutinnen untermauern damit, worauf Studien schon hindeuteten: Cholesterinsenker sind bei nichtkleinzelligem Lungenkrebs wohl keine wirksame Therapiemaßnahme. „Zwar zeigen die Krebszellen im Labor ein geringeres Wachstum, wenn sie mit Cholesterinsenkern behandelt werden. In kontrollierten klinischen Studien zeigen diese aber keine positive Wirkung hinsichtlich der Lungenkrebserkrankung“, sagt Pharmazeutin Alexandra K. Kiemer.
Eine Erklärung könnten die neuen Befunde liefern: Der niedrige Cholesteringehalt der Makrophagen scheint zum Wachstum des Lungentumors beizutragen. „Unseren Ergebnisse zufolge können die tumorunterstützenden Eigenschaften der Makrophagen mit dem Cholesterin in Verbindung stehen. Das Cholesterin ist an den zugrundeliegenden Regulationsprozessen entscheidend beteiligt“, erläutert Jessica Hoppstädter.
Makrophagen werden zu Überläufern
Makrophagen sind die Abwehrzellen des angeborenen Immunsystems, die jeder Mensch in sich trägt. Normalerweise arbeiten sie für den Körper, um ihn gesund zu halten. Feinde wie Bakterien oder Tumorzellen bekämpfen sie, indem sie diese auffressen – daher auch die Bezeichnung als Fresszellen. Manchen Tumorzellen aber gelingt es, Makrophagen gefügig zu machen: Sie polen die Fresszellen um, und bringen sie dazu, fortan für sie zu sorgen. „Die Makrophagen werden zu Überläufern, unterstützen den Tumor bei seinem Wachstum“, sagt Hoppstädter. Die Überläufer fördern zum Beispiel, dass Gefäße gebildet und die Tumorzellen besser mit Nährstoffen und Blut versorgt werden.
Neues Testmodell erarbeitet
Die Saarbrücker Pharmazeutinnen tragen nun dazu bei, besser zu verstehen, wie es zu einer Umpolung kommt: Sie verglichen die Abläufe in den Makrophagen bei normalem Cholesterinstoffwechsel mit denen bei verändertem Cholesterinstoffwechsel. „Normalisieren sich die Cholesterinspiegel in Makrophagen, etwa indem man verhindert, dass Cholesterin aus ihnen abtransportiert wird, stellen die Makrophagen die tumorunterstützenden Aktivitäten wie die Unterstützung der Gefäßbildung ein“, sagt Jessica Hoppstädter.
Die Forscherinnen wollen diese Erkenntnisse nutzen, um zu verhindern, dass die Makrophagen sich für das Tumorwachstum einspannen lassen. Hierzu haben sie eigens ein neues Testmodell erarbeitet: Aus gesunden Makrophagen, die sie aus „normalem“ Spenderblut gewannen, entwickelten sie Zell-Modelle, bei denen die Makrophagen so verändert sind, dass sie sich wie Überläufer-Makrophagen in Lungentumoren verhalten. „Hierdurch ist es uns möglich, gezielt und breit angelegt an den Vorgängen zu forschen“, sagt Jessica Hoppstädter. Normalerweise wären hierfür große Mengen an Lungentumorgewebe nötig, die nur schwer zu beschaffen sind, was die Forschung verzögern würde.
Grundlagenforschung für neue Therapieverfahren
Auf lange Sicht wollen die Pharmazeutinnen diese Erkenntnisse der Grundlagenforschung für neue Therapieverfahren nutzen: Diese könnten in Zukunft dazu beitragen, Tumorzellen daran zu hindern, Makrophagen als Unterstützer zu rekrutieren – und so auch ihr Wachstum hemmen. Bei ihren Forschungen wurden Gewebeproben aus den SHG Kliniken Völklingen untersucht. Die Pharmazeutinnen arbeiteten an der Universität des Saarlandes mit den Saarbrücker Genetikern um Professor Jörn Walter sowie Bioinformatikern um Professor Volkhard Helms zusammen. Außerdem waren Forscherinnen und Forscher der Universitäten Frankfurt, Wuppertal und Regensburg beteiligt.
Jessica Hoppstädter, Anna Dembek, Marcus Höring, et al.: Dysregulation of cholesterol homeostasis in human lung cancer tissue and tumour-associated macrophages. EBioMedicine, DOI: 10.1016/j.ebiom.2021.103578.
Quelle: idw/Universität des Saarlandes
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