Sie sind wahre Energiefresser, die Krebszellen. Denn sie wachsen und teilen sich um ein Vielfaches schneller und häufiger als gesunde Körperzellen. Dafür benötigen sie viel Energie. Den stark erhöhten Bedarf decken sie, indem sie ihren Zuckerstoffwechsel verändern. Über die sogenannte Milchsäuregärung wandeln sie den molekularen „Brennstoff“ Glukose zum körpereigenen Stoffwechselmolekül Pyruvat und schließlich zu Milchsäure (Laktat) um. In klinischen MRT-Studien verwenden Wissenschaftler/-innen Pyruvat bereits als Biomarker – das heißt als biologischen Anhaltspunkt – für Krebserkrankungen, da Tumorzellen eine deutlich höhere Konzentration an Milchsäure aufweisen als gesunde Zellen. Diese Eigenschaft machen sich Max-Planck-Forscher Stefan Glöggler und sein Team für ihr MRT-Verfahren zunutze.
Kernspinsignal des Pyruvats erhöhen
„Wir erhöhen mit einer speziellen Form von Wasserstoff während einer Reaktion in wenigen Sekunden das Kernspinsignal des Pyruvats um viele tausendmal. Diese Signalverstärkung ist nötig, um die Umwandlung der Pyruvat-Moleküle in Laktat gezielt beobachten zu können – sie dienen uns also als Kontrastmittel“, erklärt Glöggler. Er leitet die Forschungsgruppe NMR-Signalverstärkung am Max-Planck-Institut (MPI) für Multidisziplinäre Naturwissenschaften und am Center for Biostructural Imaging der Universitätsmedizin Göttingen.
Tumore klar abgrenzbar
Das signalverstärkte Pyruvat verabreichte das Team um Glöggler Mäusen, die an bösartigen Tumoren litten. Anschließend verfolgten die Forscherinnen und Forscher in Echtzeit, wie Pyruvat in Milchsäure umgewandelt wurde. „Da diese Reaktion charakteristisch für Krebszellen ist, konnten wir in den Nagern die Tumore anhand ihrer Stoffwechselaktivität klar von gesundem Körpergewebe abgrenzen“, sagt der Chemiker.
Die Entwicklungen und Erkenntnisse der Forschungsgruppe sollen nun rasch in die klinische Anwendung gebracht werden, damit sie auch Patientinnen und Patienten zugutekommen. Dafür erhält Glögglers Team finanzielle Unterstützung von der ForTra gGmbH für Forschungstransfer der Else Kröner-Fresenius-Stiftung (ForTra) sowie vom Europäischen Forschungsrat (ERC).
Bau eines Prototyps
Die Förderung durch die ForTra stellt Mittel über zwei Jahre bereit. Diese möchten die Göttinger Wissenschaftler/-innen nutzen, um einen ersten klinischen Prototyp eines Gerätes zu entwickeln, das zur Signalverstärkung der verwendeten metabolischen Kontrastmittel in der Klinik zur Tumordiagnostik eingesetzt werden kann. Der Prototyp soll die speziellen Kontrastmitteldosen in ausreichenden Mengen produzieren. „Bevor wir die Technologien klinisch anwenden können, ist allerdings noch eine behördliche Zulassung nötig. Wir haben hierfür die ersten Schritte bereits eingeleitet, es wird allerdings noch etwas Zeit vergehen bis zu den ersten Humanstudien“, betont Glöggler.
Krebsdiagnostik günstiger, breiter verfügbar und präziser?
Dafür werden die Forscherinnen und Forscher eng mit Joachim Lotz, Direktor des Instituts für Diagnostische und Interventionelle Radiologie und Professor an der Universitätsmedizin Göttingen, zusammenarbeiten. „Dieses neue Kontrastmittelverfahren ist eine Technologie, auf die wir lange gewartet haben. Sie erlaubt eine schnelle und vor allem wiederholbare Anwendung an Patient/-innen und wird insbesondere wichtig für die Onkologie und zur Untersuchung von Entzündungen sein“, so Lotz. Die wissenschaftlichen Mitarbeiter Henning Schroeder und Sergey Korchak aus Glögglers Gruppe übernehmen dabei die biologische und technische Leitung des Projektes, Lotz und sein Team sind für die medizinisch-klinische Umsetzung zuständig. Sie sehen die größten Chancen darin, die Krebsdiagnostik günstiger, breiter verfügbar und präziser zu machen.
Neue Kontrastmittel evaluieren
Die zweite Förderung, ein sogenannter Proof of Concept Grant vom ERC, knüpft an den mit 1,5 Millionen Euro dotierten ERC Starting Grant an, den Glöggler 2020 erfolgreich einwarb. Mithilfe der Finanzierung möchte er mit seinem Team neue von ihnen entwickelte Kontrastmittel evaluieren, die weitere Stoffwechseländerungen in Krankheiten früher sichtbar machen.
Neben Glöggler erhielt mit Nico Lachmann von der Medizinischen Hochschule Hannover ein weiterer niedersächsischer Forscher die ERC Förderung. Niedersachsens Wissenschaftsminister Björn Thümler gratuliert den beiden herzlich: „Dass mit zwei der neun Proof of Concept Grants, die nach Deutschland gehen, Wissenschaftler aus Niedersachsen gefördert werden, zeigt, dass an den hiesigen Hochschulen und Forschungseinrichtungen nicht nur exzellente Forschung stattfindet, sondern auch der wichtige Transfer in Richtung Wirtschaft und Gesellschaft einen hohen Stellenwert hat.“
Quelle: idw/Max-Planck-Institut für Multidisziplinäre Naturwissenschaften
Artikel teilen