Klassifikation beta-hämolysierender Streptokokken

Die „Streptokokken-Pionierin“ Rebecca Lancefield (1895–1981)
Christof Goddemeier
Klassifikation beta-hämolysierender Streptokokken
Rebecca Lancefield 1960 mit Walter Bauer und Maclyn McCarty (rechts) © Acc. 90–105 – Science Service, Records, 1920s-1970s, Smithsonian Institution Archives
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Welche Medizinstudentin und welcher Medizinisch-technische Assistent kennt den Namen Lancefield nicht? Die US-amerikanische Mikrobiologin teilte beta-hämolysierende Streptokokken aufgrund von Antigenen in der Bakterienwand in sogenannte Lancefield-Gruppen ein.

Viele Streptokokken sind harmlose Bewohner menschlicher und tierischer Schleimhäute. Man fasst sie in der Gattung Streptococcus zusammen. Sie gehört zur Familie der Streptococcaceae und zur Ordnung der Milchsäurebakterien. Streptokokken sind runde bis ovale (griech. kokkos = Kern, Beere), grampositive, unbewegliche Bakterien, die keine Sporen bilden. Sie ordnen sich in gewundenen Ketten an (griech. streptos = gewunden, verdrillt). Historisch und aus praktischen Gründen teilt man sie nach ihrem Hämolysevermögen und ihrer Antigenstruktur ein. Dabei werden drei Hämolyseformen unterschieden: Bei der sogenannten Alpha-Hämolyse sind Streptokokken-Kolonien auf Blutagar von einer grünen Zone umgeben. Sie wird durch Wasserstoffperoxid der Bakterien verursacht, das Hämoglobin in Methämoglobin umwandelt. Die Membranen der Erythrozyten bleiben dabei weitgehend unversehrt. Beta-Hämolyse zeigt die Kolonien umgeben von einem großen, gelblichen Hämolysehof. Hier sind keine Erythrozyten mehr vorhanden, und das Hämoglobin ist vollständig abgebaut. Der Begriff Gamma-Hämolyse bezeichnet schließlich das Fehlen sichtbarer Hämolyse um Streptokokkenkolonien.

Nach dem Ersten Weltkrieg gab es noch keine Antibiotika und kaum Impfstoffe. Über den Einfluss hämolysierender Streptokokken auf menschliche Erkrankungen wusste man wenig. Man nahm an, dass sie vor allem sekundär Menschen befallen, die bereits an Kindbettfieber, Wundinfektionen und Pneumonie leiden. Vorausgegangen waren manchmal Masern oder Influenza, wie es bei den Epidemien in den Armee-Camps vorkam. Millionen von Kindern litten unter Scharlach und rheumatischem Fieber, aber die Ursache war nicht bekannt, und die Schlüsselrolle der Streptokokken bei der Scharlacherkrankung musste erst noch entdeckt werden. Hier setzte Rebecca Lancefield ein. Fast ihr ganzes wissenschaftliches Leben widmete sie den Streptokokken und den Krankheiten, die sie hervorrufen können. Ihre Arbeit legte den Grundstein für weitere Studien zu Immunologie, Epidemiologie und Pathogenese von Streptokokkeninfektionen.

1895 wurde Rebecca Craighill Lancefield in Fort Wadsworth, New York, geboren. Ihr Vater William E. Craighill war hier als Offizier des U.S. Army Engineer Corps stationiert. Sein Beruf brachte viele Ortswechsel mit sich, und in ihren ersten Lebensjahren musste Rebecca sich häufig in neuer Umgebung zurechtfinden. Ihre Mutter Mary Wortley Byram setzte sich für die Bildung von Frauen ein und förderte die akademische Ausbildung ihrer Töchter.

Erstes Interesse an einer wissenschaftlichen Karriere weckte offenbar der Zoologiekurs ihrer Mitbewohnerin. Nachdem Lancefield ihr Studium am Wellesley College, einer Privathochschule für Frauen in Massachusetts, mit Englisch und Französisch begonnen hatte, konzentrierte sie sich nun auf Biologie. 1916 schloss sie das College ab und unterrichtete ein Jahr an einer Mädchenschule in Vermont. Danach kehrte sie nach New York zurück und wollte ihr Studium fortsetzen. Doch nach dem Tod ihres Vaters war das Geld knapp, und die Mutter benötigte ihre Unterstützung bei der Betreuung ihrer fünf jüngeren Schwestern. Aus ihrer Unterrichtstätigkeit hatte Lancefield etwas Geld gespart, und sie erhielt ein Stipendium an der New Yorker Columbia University, einer der ältesten und renommiertesten des Landes. Ein Jahr verbrachte sie in Hans Zinssers Abteilung für Bakteriologie und erweiterte ihre Kenntnisse in dem Bereich der Biologie, der sie am meisten interessierte. Hans Zinsser (1878–1940) ist bekannt wegen seiner Arbeiten über den Fleckfiebererreger Rikettsia prowazekii. Zudem entwickelte er einen Impfstoff gegen Fleckfieber. Eine besondere Verlaufsform dieser Erkrankung ist die nach ihm benannte Brill-Zinsser-Krankheit.

1918 war ein wichtiges Jahr in Lancefields Leben: Sie schloss ihr Studium an der Columbia University ab. Kurz darauf heiratete sie Donald Lancefield, ebenfalls Doktorand an der Universität – er arbeitete in der Abteilung für Genetik unter Thomas Morgan. Dessen Kreuzungsversuche mit der Taufliege Drosophila melanogaster führten zur Aufklärung der Chromosomenstruktur. Dabei entdeckte Morgan, dass die Gene nebeneinander auf den Chromosomen angeordnet sind. Im gleichen Jahr trat Lancefield dem Rockefeller Institute for Medical Research bei. Im Juni wurde sie dort Assistentin von Oswald Avery und Alphonse Dochez. Den Zeitpunkt hätte sie nicht besser wählen können. Bis Ende 1917 hatten die beiden sich vor allem mit Pneumokokken beschäftigt. 1918 reisten sie im Auftrag der U.S. Army nach Texas. In der Folge einer Masernepidemie waren dort in einigen Militäreinrichtungen schwere Streptokokkeninfektionen aufgetreten. Als sie nach New York zurückkehrten, hatten sie einige Streptokokkenstämme im Gepäck, die sie während ihres Aufenthalts isoliert hatten. Sie wollten herausfinden, ob sich unterschiedliche Streptokokkentypen voneinander trennen ließen. Dazu wählten sie die Methoden, die sich bereits bei der Unterscheidung von Pneumokokkentypen bewährt hatten: die Agglutinationsreaktion und die Entwicklung spezifischer Antiseren, mit denen sich weiße Mäuse im Experiment vor einer Infektion schützen ließen.

Doch auf einer Konferenz im Juni 1918 berichteten die beiden, dass sie im Dunkeln tappten. Jetzt zeigte sich, dass Lancefield zur rechten Zeit am rechten Ort war. Innerhalb eines Jahres identifizierten sie, Avery und Dochez, vier unterschiedliche Serotypen, mit denen sich 70 Prozent der 125 Stämme bestimmen ließen. 1919 erschien der Artikel „Studies on the biology of Streptococcus: I. Antigenic relationships between strains of Streptococcus haemolyticus“ im „Journal of Experimental Medicine“. Weil Lancefield weit mehr als bloß technisches Wissen zu dieser Veröffentlichung beigetragen hatte, wurde sie mit Avery und Dochez als Autorin der Studie genannt – zu dieser Zeit ein seltenes Ereignis. Nach Ablauf ihres Stipendiums arbeitete sie im Labor von Charles Metz an der Genetik von Drosophila. 1921 erhielt ihr Mann einen Lehrauftrag an der University of Oregon. Lancefield lehrte dort Bakteriologie, doch nach nur einem Jahr kehrten die beiden nach New York zurück. Im Labor von Homer Swift kam Lancefield mit dem rheumatischen Fieber in Berührung. Swift war der Meinung, dass alphahämolysierende Streptokokken, vor allem sogenannte Viridans-Streptokokken, das akute rheumatische Fieber verursachten. In zweijähriger, oft frustrierender Arbeit wies Lancefield nach, dass diese Erreger nichts mit dem rheumatischen Fieber zu tun haben. Für diese Arbeit wurde sie 1925 promoviert. Tatsächlich verursachen Viridans-Streptokokken eine Endokarditis und spielen in der Pathogenese der Zahnkaries eine Rolle.

Um die Pathogenese der Streptokokkeninfektionen besser zu verstehen, begann Lancefield mit der Klassifikation beta-hämolysierender Erreger. Dabei leitete sie die Idee, ausgehend von den vier Serotypen Antigene zu identifizieren, die eine Rolle bei der Pathogenese spielten. Nach vielen Experimenten isolierte sie zwei Oberflächenantigene – das typ-spezifische nannte sie M-Antigen oder M-Protein und das spezies-spezifische nannte sie C-Kohlenhydrat, eine mit dem Murein der Zellwand kovalent verbundene Polysaccharidschicht. Das M-Protein ermöglichte eine Einteilung der A-Streptokokken (Streptococcus pyogenes) in mehr als 50 Serotypen oder -vare. A-Streptokokken verursachen die klassischen Streptokokkeninfektionen beim Menschen, zum Beispiel Impetigo, Erysipel, Phlegmone, Sinusitis, Otitis media und Tonsillitis (Angina) mit oder ohne Scharlachexanthem. Das Polysaccharid ist dagegen gruppenspezifisch und bildet die Grundlage der Lancefieldschen Klassifikation. Als Lancefield starb, hatte sie 61 Typen identifiziert, inzwischen sind mehr als 200 Serotypen bekannt. Lancefield zeigte zudem die antiphagozytäre Wirkung der M-Proteine und dass die Immunität gegen einen M-Protein-Serotyp nicht vor einer Infektion durch andere Serotypen schützt – ein Durchbruch, der erklärte, warum Menschen immer wieder neu an Streptokokken-Angina erkrankten.

Die Gruppe B der Lancefield-Einteilung (Streptococcus agalactiae) ist vor allem pathogen für Rinder und ruft bei diesen eine eitrige Infektion des Euters hervor. Als bekannt wurde, dass B-Streptokokken auch Infektionen bei Neugeborenen verursachen können, fand Lancefield, dass in dieser Gruppe das M-Protein fehlt und dass die Oberflächenpolysaccharide eine zentrale Rolle bei der Virulenz der Keime spielen. Ihre Ergebnisse veröffentlichte sie im „Journal of Experimental Medicine“. Im Artikel „A serological differentiation of human and other groups of hemolytic streptococci“ beschrieb sie 1933 die Grundlagen ihrer Klassifikation.

Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs arbeitete sie in einer Kommission des „Armed Forces Epidemiological Board“, die Daten über Infektionen auswertete. Sie sammelte Isolate aus den gesamten Vereinigten Staaten und stand für Fragen zur Verfügung, beriet und empfahl. Ihr Labor hatte den Ruf eines „Scotland Yard für Streptokokken-Geheimnisse“. Heute existieren im Rockefeller Institute mehr als 6.000 Isolate inklusive der ersten 125, die Avery und Dochez aus Texas mitbrachten. Dank der Möglichkeit rechtzeitiger antibiotischer Therapie sind immunvermittelte Folgekrankheiten von Streptokokkeninfektionen wie die akute Glomerulonephritis und das akute rheumatische Fieber heute sehr selten.

1943 wurde Lancefield Präsidentin der „Society of American Bacteriologists“ und 1961 als erste Frau Präsidentin der „American Association of Immunologists“. Von 1958 bis 1965 war sie Professorin an der Columbia University. 1970 berief man sie in die „National Academy of Sciences“. Sie arbeitete mit Maclyn McCarthy, der nach der Pensionierung Homer Swifts 1946 das Labor für Bakteriologie und Immunologie am Rockefeller Institute leitete. Mit Oswald Avery und Colin MacLeod hatte er zwei Jahre zuvor gezeigt, dass die DNA – und nicht Proteine, wie bis dahin angenommen – Träger der Erbinformation ist. In seiner Lancefield-Biografie schrieb er: „Ihre sorgfältig durchgeführten Experimente verhinderten, dass sie daraus missverständliche und vereinfachende Schlüsse zog, und ihre exakte Methodik ist (…) der Grund für die große Zuverlässigkeit und Reproduzierbarkeit ihrer Ergebnisse.“

Kollegen und Studenten lobten ihre warmherzige Art. Bis in ihre 80er-Jahre arbeitete sie, kam meistens mittags, um Verkehrsstaus zu vermeiden, übernachtete im Institut und fuhr am nächsten Abend wieder nach Hause. 1980 brach sie sich bei einem Sturz die Hüfte. 1981 starb Rebecca Lancefield in Staten Island, New York. Ihr Mann überlebte sie nur um wenige Monate.

Literatur

1. Carroll KC: Biographical Feature: Rebecca Lancefield, Ph.D. Journal of Clinical Microbiology 57, August 2019, 1–5.
2. McCarty M: Rebecca Craighill Lancefield 1895–1981. National Academy of Sciences (ed.): Biographical Memoirs, Band 57. Washington D.C.: National Academy Press 1987.
3. Kayser F, et al.: Taschenlehrbuch Medizinische Mikrobiologie. Stuttgart: Georg Thieme, 13. Aufl., 2014.

Entnommen aus MTA Dialog 10/2019

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