„Kinder sterben, weil wir sie nicht mehr versorgen können“

Aktuelle Klinik-Umfrage
lz
Kinderintensivmedizin
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Die aktuelle Situation in den Kinderkliniken erfährt vermehrt Aufmerksamkeit, auch ausgelöst durch die jüngste Erkältungswelle. Die DIVI hat deshalb eine Befragung zur Lage durchgeführt.

In einer Pressekonferenz zur Lage der Kinder-Intensivmedizin im Rahmen des DIVI-Kongresses in Hamburg brachte es Dr. med. Michael Sasse, Leitender Oberarzt Kinderintensivmedizin an der Medizinischen Hochschule Hannover, auf den Punkt: „Kinder sterben, weil wir sie nicht mehr richtig versorgen können.“ Bei der Umfrage hatten von 110 Kinderkliniken zuletzt 43 Einrichtungen kein einziges Bett mehr auf der Normalstation frei. Lediglich 83 freie Betten gibt es demnach generell noch auf pädiatrischen Kinderintensivstationen in ganz Deutschland – das wären 0,75 freie Betten pro Klinik, also weniger als eines pro Standort, so das Ergebnis der aktuellen Ad-hoc-Umfrage der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI). „Das ist eine katastrophale Situation, anders ist es nicht zu bezeichnen. Deshalb fordern wir die sofortige Optimierung von Arbeitsbedingungen in den Kinderkliniken, den Aufbau telemedizinischer Netzwerke zwischen den pädiatrischen Einrichtungen und den Aufbau von spezialisierten Kinderintensivtransport-Systemen. Wir müssen jetzt endlich handeln“, sagte DIVI-Generalsekretär und Kinder-Intensivmediziner Professor Florian Hoffmann heute bei der Pressekonferenz.

Suche nach adäquatem Behandlungsplatz

Bei der DIVI-Erhebung hatte zudem jede zweite Klinik berichtet, dass sie in den vergangenen 24 Stunden mindestens ein Kind nach Anfrage durch Rettungsdienst oder Notaufnahme nicht für die Kinderintensivmedizin annehmen konnten – also der Anfragende weitersuchen musste nach einem adäquaten Behandlungsplatz. „Diese Situation verschärft sich von Jahr zu Jahr und wird auf dem Rücken kritisch kranker Kinder ausgetragen“, konkretisierte Hoffmann die Situation. Für die Umfrage sind 130 Kinderkliniken angeschrieben worden, 110 Häuser haben ihre Daten vom Stichprobentag 24. November zur Verfügung gestellt. Sämtliche Kliniken beteiligen sich schon jetzt an der bundesweiten, strategischen Patientenverlegung nach dem Kleeblattkonzept, das von der Fachgruppe Intensivmedizin, Infektiologie und Notfallmedizin (COVRIIN) gesteuert wird. „Da zunehmend viele Kinder zum Teil über weite Entfernung transportiert werden müssen, benötigen wir jetzt die Etablierung spezialisierter Kinderintensivtransport-Systemen, um die Kinder sicher und von Kinderexperten begleitet in ihre Zielklinik zu bekommen“, sagte Hoffmann, der Oberarzt auf der Interdisziplinären Kinderintensivstation am Dr. von Haunerschen Kinderspital der Ludwig-Maximilians-Universität München ist.

Alarmierende Situation der Kinderkliniken

Die 110 Häuser, die sich an der Umfrage beteiligt hatten, weisen insgesamt 607 aufstellbare Betten aus, von denen aber lediglich 367 Betten betrieben werden können. Grund für die Sperrung von 39,5 Prozent der Intensivbetten für Kinder ist hauptsächlich der Personalmangel. An 79 Häuser, also 71,8 Prozent der Befragten, ist der Pflegepersonalmangel konkreter Grund für die Bettensperrungen. 46,4 Prozent der an der Umfrage teilnehmenden Kliniken berichten von insgesamt 116 abgelehnten Patientinnen und Patienten – an nur einem Tag. Besonders oft aufgenommen wurden zuletzt Kinder, die sich mit dem respiratorischen Synzytial-Virus (RSV) infiziert haben, 138 insgesamt. „Die RSV-Welle baut sich immer weiter auf und macht bei vielen Kindern die Behandlung mit Atemunterstützung notwendig. Wir können Stand heute davon ausgehen, dass es zu dieser Behandlung nicht genügend Kinder-Intensivbetten gibt“, sagte Professor Sebastian Brenner, DIVI-Kongresspräsident und Bereichsleiter der interdisziplinären Pädiatrischen Intensivmedizin im Fachbereich Neonatologie und Pädiatrischen Intensivmedizin der Unikinderklinik Dresden.

Auswirkungen des Pflegepersonalmangels

Genauer angeschaut haben sich die DIVI-Experten auch die größeren Kinderkliniken mit acht oder mehr Intensivbetten. Diese Stationen sind deshalb von großer Bedeutung, da sie in der Regel für viele Kinder die letzte Anlaufstelle sind, wenn kleinere Kinderkliniken eine weitere Behandlung nicht mehr gewährleisten können. Darunter fallen insgesamt 32 Häuser. Diese melden 363 aufstellbare Betten, von denen am Stichprobentag 221 betrieben werden konnten. Das bedeutet: 39,1 Prozent der Kinder-Intensivbetten sind gesperrt – dies sind im Durchschnitt 4,4 Betten pro Intensivstation. 17 freie Betten bei diesen 32 Kliniken bedeuten im Durchschnitt nur noch 0,5 freie Betten pro Klinik.

„Wir sehen: Gefragt nach den Intensivkapazitäten zeichnet sich ein Bild, dass deutschlandweit, egal ob Norden, Süden, Osten oder Westen, durchschnittlich 40 Prozent der Kinder-Intensivbetten wegen Personalmangel gesperrt sind. Bei rund 80 Prozent der Befragten fehlt Pflegepersonal, es fehlen teilweise aber auch Ärzte“, resümierte Brenner. Oft würden inzwischen die Mitarbeiter ihre Stundenzahl reduzieren, was gleichzeitig die Übergabezeiten erhöhe. Hinzu kämen noch Dokumentationspflichten bei gleichzeitig fehlender Interoperabilität der Systeme. Teilweise müssten Daten händisch übertragen werden, was wiederum fehleranfällig sei. Julia Daub, Intensivpflegekraft am Universitätsklinikum Tübingen, betonte ebenfalls, dass der Personalmangel zur ständigen Überforderung führe und über das Limit hinaus gearbeitet werde. Zusätzlich käme es vor, dass Transportdienste noch nach Schichtende durchgeführt werden.

Nicht dauerhaft über Limit

Für Dr. med. Karin Becke, Chefärztin Anästhesie an der Cnopfsche Kinderklinik Nürnberg, sei deshalb die Mitarbeiterbindung ganz wichtig. Dazu gehöre z.B. auch eine verlässliche Dienstplanung. Wenn es nicht anders gehe, müssten auch die Kapazitäten runtergefahren werden. Es könne nicht dauerhaft über dem Limit gearbeitet werden. Ein Puffer für den Notfall sei nötig. Denkbar sei eine Flexibilisierung der Dienstpläne z.B. weniger Stunden im Sommer und dafür dann mehr Mitarbeiter im Winter. Es benötige hier ein Umdenken. Auch mehr tagesstationäre Möglichkeiten seien nötig, um Betten zu bekommen. Dafür seien aber adäquate Erlöse nötig. Insgesamt plädierte auch Becke für eine verlässliche Finanzierung der Kindermedizin.

Aus Sicht einer Mutter mit drei Kindern machte sich PD Dr. med. Nora Bruns, Fachärztin Kinderintensivmedizin am Universitätsklinikum Essen, dafür stark, dass auch die Chefetagen flexibler sein müssten. Es müsse klar sein, dass man mit Kindern weniger arbeite und weniger flexibel sein könne. Man könne die Kinder nicht immer „wegorganisieren“. Zudem sei die Solidarität der Kollegen nötig. Man müsse im Team offen darüber sprechen können. Auch Daub sprach sich für verlässliche Dienstpläne und Kinderbetreuung für Eltern aus. Es müsse erreicht werden, dass das Personal zurück ans Bett komme. Sasse erläuterte das Anti-Burnout-Projekt an seinem Haus. Die Resilienz müsse in diesem Beruf gestärkt werden. Sonst sei das Personal nicht zu halten. Bisher sei die Klinik hier auf Spenden angewiesen, da es im Bezahlsystem nicht vorgesehen sei. Für Brenner ist auch klar, dass sich die sehr gut ausgebildeten Pflegkräfte auf die Versorgung der Patienten fokussieren müssten. Es sei nicht sinnvoll, dass pflegeferne Arbeiten wie das Reinigen von Zimmern, weil die Reinigungskräfte schon weg seien, zu erledigen seien.

Forderungen der DIVI

Die DIVI fordert eine Optimierung der Arbeitsbedingungen:

  • Optimierung der Ausbildungsbedingungen, d.h. Kinderkliniken sollten verpflichtet werden, Kinderkrankenpflege auszubilden,
  • Optimierung der Arbeitsbedingungen durch Ausfallskonzepte, d.h. geplante Freizeit soll Freizeit bleiben und auch Urlaub Urlaub bleiben,
  • Optimierung der Arbeitsbedingungen durch bezahlte Fortbildung in der Arbeitszeit,
  • Optimierung der Arbeitsbedingungen durch Entlastung von pflegefernen Aufgaben (MFA, Pflegeassistenz, Hostessen, Reinigungskräfte),
  • Pflegekräfte müssten es sich außerdem leisten können, dort zu wohnen, wo sie arbeiten. Die DIVI setzt sich deshalb für eine deutlich bessere Bezahlung der Pflegekräfte ein.

Zudem fordert die DIVI:

  • Den Aufbau telemedizinischer Netzwerke für den Austausch der behandelnden Teams untereinander, um allen Kindern die gleiche Versorgungsqualität zukommen lassen zu können,
  • Den Aufbau von spezialisierten Kinderintensivtransport-Systemen, um Kinder sicher und von Kinderexperten begleitet zu transportieren.

Die Kinder-Intensivmediziner setzen sich zudem dafür ein, umfassend die Rechte der Kinder ins Grundgesetz aufzunehmen. Nur so würden Kinder mehr in den politischen und gesellschaftlichen Fokus rücken – und nur so könne die medizinische Versorgung für die Kleinsten nachhaltig verbessert werden. „Wenn alle zuvor genannten Forderungen erfüllt wären, wenn sich der Beruf von Medizinern sowie Pflegenden mit Familie vereinbaren lässt und wenn die stetige Dauerbelastung in den Kliniken aufhört, dann schaffen wir es, uns wieder um alle schwer kranken Kinder mit der notwendigen höchsten Versorgungsqualität kümmern zu können“, sagte Hoffmann.

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