Kennen Sie die Entwicklung der Antibabypille?

Historie
Nico Janz
Kennen Sie die Entwicklung der Antibabypille?
Margaret Sanger © Underwood & Underwood, Library of Congress Prints and Photographs division, Public Domain
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Die Entwicklung und Markteinführung eines Hormonmedikaments, das die Gesellschaft grundlegend veränderte, war sicherlich die Erfindung der oralen Antibabypille, kurz „die Pille“ genannt.

Erstmals konnten Frauen selbst über eine Schwangerschaft entscheiden. Gleichzeitig begründete die „Pille“ die sexuelle Revolution für Mann und Frau und ist Teil der weltweiten Geburtenkontrolle. Diese Erfindung war nicht der Geistesblitz eines Einzelnen, sondern die Kür jahrzehntelanger Arbeit. Beginnend mit den wissenschaftlichen und physiologischen Studien zum Verständnis des weiblichen Zyklus über die chemischen Arbeiten zur Analytik und Synthese der Sexualhormone bis hin zur Durchführung klinischer Studien und der intensiven Energie zweier Frauenrechtlerinnen erfährt dieses Medikament letztendlich eine Zulassung und Vermarktung. Die „Pille“ kam im August 1960 unter dem Namen „Enovid“ in den USA auf den Markt. In der Bundesrepublik Deutschland erfolgte die Zulassung 1961 unter der Bezeichnung „Anovlar“. Die politische und gesellschaftliche Stimmung war weder in der Bundesrepublik noch in den USA für ein Verhütungsmittel für junge Frauen bereit, weshalb dieses Medikament erstmals als „Menstruationsbeschwerdemedikament“ verschrieben wurde, die empfängnisverhütende Wirkung tauchte zuerst nur in der Packungsbeilage als Nebenwirkung auf.

Die DDR hatte zu dieser Zeit kein entsprechendes Medikament in der Entwicklung. Die Funktionäre mussten reagieren. Die VEB Jenapharm wurde auf der Leipziger Frühjahrsmesse 1965 mit einer Goldmedaille für „besondere Verdienste“ ausgezeichnet und im November 1965 wurde in der DDR das Medikament „Ovosiston“ als sogenannte Wunschkindpille in das Arzneimittelregister eingetragen und sogar ab 1972 an sozialversicherte Frauen abgegeben. Die Antibabypille enthält die weiblichen Geschlechtshormone Östrogen und Gestagen, welche eine Schwangerschaft unterbinden, indem sie den Eisprung der Frau und das Eindringen von Spermien in die Gebärmutter verhindern. Schon im alten Ägypten versuchte der Mensch, ungewollte Schwangerschaften zu verhüten. Eine Mischung aus gesäuerter Milch, Honig und Krokodilexkrement sollten Frauen vor dem Beischlaf in die Scheide einführen, um eine Gestation (Schwangerschaft) zu verhindern. In den USA empfahl man 1830 nach dem Geschlechtsverkehr eine Spülung aus Alaun und Essig, in Puerto Rico wurde noch um 1970 das Spülen mit Coca-Cola empfohlen.

Das Mysterium des weiblichen Zyklus, warum es bei Frauen ab der Pubertät alle 28 Tage zu Regelblutungen kommt, war den Menschen seit jeher ein Rätsel. Joseph Halben (1870–1937) erkannte als erster anhand von Tierversuchen, dass die Ovarien (Eierstöcke) eine zentrale Bedeutung für den Menstruationszyklus der Frau haben. Während Ernst Starling 1905 (1866–1927) den Begriff Hormon (griech.: horman = erregen, antreiben) einführte, erkannten Franz Hitschmann (1870–1926) und Ludwig Adler (1876–1958) im Jahr 1908 die temporären Veränderungen der Gebärmutterschleimhaut und postulierten, dass dieser Zyklus nicht pathologisch ist.

Dann, 1911, berichtete Robert Meyer (1864–1947) über den Gelbkörper. Meyer erkannte hier und in den Ovarien die Freisetzung zweier Hormone, die die Schleimhautveränderung der Gebärmutter kontrollieren. Somit verdichtete sich bis 1920 das Wissen über die wesentlichen biologischen Grundlagen der hormonellen weiblichen Periode. Ludwig Haberlandt (1885–1932) bewies 1919 im Tierversuch, dass eine Schwangerschaft das Heranreifen weiterer Eizellen verhindert. Seine Idee war der erste Schritt zur Entwicklung einer Antibabypille. Wenn man einer Frau die im Gelbkörper gebildeten Hormone zuführt, kann man die Reifung weiterer Eizellen blockieren und somit eine Empfängnis verhüten. Haberlandt spekulierte nunmehr, ob das Extrakt aus den Eierstöcken trächtiger Säugetiere beim Menschen eine Schwangerschaft verhütet. Leider fehlten zu jener Zeit die technischen und pharmazeutischen Voraussetzungen, diese Idee umzusetzen. Zugleich erntete er Widerstände der katholischen Kirche gegen Verhütungsmittel im Allgemeinen. Die Basis für spätere Forschungen bereiteten Wissenschaftler der Firma Schering. Erstmals konnte 1938 das Hormon Östrogen künstlich hergestellt werden, welches allerdings oral kaum wirksam war. Trotzdem wurde die Grundlage für weitere Forschungen geschaffen. Bis dahin konnte man Östrogene nur aus Menschen oder Tieren gewinnen, wobei die pharmazeutische Ausbeute teuer und gering war. Um 30 µg Östrogen, die heutige Dosis einer Antibabypille, herzustellen, benötigte man circa 500 kg Eierstöcke von Schweinen. Auch eine ergiebigere Methode, Progesteron aus Urin zu gewinnen, scheiterte, wodurch die Wissenschaft erkannte, dass ein künftiger pharmazeutischer Bedarf an Sexualhormonen damit nicht gedeckt werden kann. Eine kostengünstigere Umwandlung pflanzlicher Steroidinhaltsstoffe in Steroidhormone sollte die Alternative darstellen.

Der US-amerikanische Chemiker Russel M. Marker (1902–1995) erforschte in den 1940ern wilde mexikanische Jamswurzeln. Markers biochemische Arbeiten legten den Grundstein für eine kostengünstige industrielle Produktion von Steroidhormonen. Schließlich vollendete der Chemiker Carl Djerassi (1923–2015) 1951 die Arbeiten Markers und synthetisierte einen Abkömmling des weiblichen Schwangerschaftshormons. Doch hat die Entwicklung der Antibabypille nicht nur wissenschaftliche Patentanten und Patenonkel. Die Krankenschwester und Frauenrechtlerin Margaret Sanger (1879–1966) veröffentlichte ab 1912 Artikel und Texte über Verhütung sowie Aufklärung und prägte den Begriff „Birth Control“. Sangers Mutter war 18-mal schwanger und erlitt sieben Fehlgeburten. Vielleicht gründete sie deshalb 1916 eine illegale Klinik für Geburtshilfe. Gegen das Verbot von Verhütungsmitteln erlangte sie 1937 einen Sieg vor Gericht. Katherine McCormick (1875–1967) machte 1904 als erste Frau einen Abschluss als Biologin. Sie war vermögend und kämpfte als Frauenrechtlerin, wodurch sie Margaret Sanger kennenlernte.

Carl Djerassi | © Science History Institute, CC BY-SA 3.0

Gregor Goodwin Pincus (1903–1967) schien die Anwendung eines Gestagens (Schwangerschaftshormon) an Frauen realistisch. Der Biologe untersuchte im Tierversuch intensiv die eisprunghemmende Wirkung mit Hormonen. Es gelang Pincus zusammen mit John Rock und den Vorarbeiten von Carl Djerassi und Frank Colton (1923–2003), ein Verhütungsmittel künstlich herzustellen. Pincus wollte nachahmen, was im Körper der Frau natürlich abläuft. Bis auf einen Tag sollte der Eisprung an fast allen Tagen unterdrückt werden. Die Suffragetten McCormick und Sanger überzeugten Pincus zur Entwicklung einer oralen Verhütung für Frauen. Daraufhin investierte McCormick zwei Millionen Dollar ihres Privatvermögens in dieses Projekt. John Rock (1890–1984) war Gynäkologe und Reproduktionsbiologe sowie außerdem an der Entwicklung der In-vitro-Fertilisation beteiligt. Das nach langen Versuchen von Gregory Pincus 1953 entdeckte Hormonpräparat gelangte nun 1956 in die ersten klinischen Studien in Puerto Rico und Haiti, die von John Rock betreut wurden. Aufgrund der massiven religiösen Widerstände in den USA wurden diese ersten medizinischen Untersuchungen als Fruchtbarkeitsstudien getarnt. John Rock war kirchentreu, doch vertrat er den Standpunkt, die Pille tue nichts anderes als die Natur. Der Eisprung wird lediglich für einen gewissen Zeitraum unterdrückt.

Heute verhütet trotz des „Ulmer Manifests“ von 1964, in dem 45 Universitätsprofessoren und 140 Ärzte die Pille verurteilten, und der „Humanae Vitae“ von 1968, in der Papst Paul VI. die Pille verbot, in Deutschland mehr als jede zweite Frau zwischen 18 und 49 Jahren mit der „Pille“. Sie gilt zwar als sicherstes Verhütungsmittel, schützt aber nicht vor Geschlechtskrankheiten. Überdies können verschiedene Nebenwirkungen wie Depressionen, Bluthochdruck, Thrombose, Gewichtszunahme oder sexuelle Unlust auftreten. Seit Jahrzehnten sucht man nach einer „Pille“ für den Mann, bisher ist jedoch noch kein geeigneter Wirkstoff auf dem Markt zugelassen worden. Die „Pille“ führte dazu, dass Frauen ihre Fruchtbarkeit einfach selbst steuern können. Leider beschränkt sich dieser Vorteil eher auf die Industrieländer. In den Entwicklungsländern fehlt immer noch vielen Frauen der Zugang und vor allem die Kenntnis über Verhütungsmittel.

Literatur

  1. Djerassi C: Die Mutter der Pille. Autobiographie, 1992.
  2. Asbell B, Lindquist T: Die Pille und wie sie die Welt veränderte, 1998.
  3. Sanger M: The Autobiography of Margaret Sanger, 2004.
  4. Zangerl C: Wenn Wissenschaft Lebensgrenzen setzt: Die Aufzeichnungen des Innsbrucker Physiologen Ludwig Haberlandt, 2014.

Entnommen aus MTA Dialog 5/2019

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