Der Bundestagsabgeordnete Roy Kühne nimmt im Interview mit MTA Dialog Stellung zu den Themen Akademisierung, Fachkräftemangel, Novellierung der Berufsgesetze und Möglichkeiten der Steigerung der Berufsattraktivität.
Dr. Roy Kühne ist Mitglied der CDU und in der 18. Legislaturperiode als Bundestagsabgeordneter für den Wahlkreis 52 Goslar – Northeim – Osterode ordentliches Mitglied im Bundestagsausschuss für Gesundheit sowie im Ausschuss für Tourismus. Seit November 2015 ist er auch stellvertretendes Mitglied im Sportausschuss. Er ist ausgebildeter Diplom-Sporttherapeut und Physiotherapeut. Nach Arbeitsstationen als Physiotherapeut und Mitarbeiter in einem Reha-Zentrum ließ er sich im südniedersächsischen Northeim nieder. Hier baute er ein Gesundheitszentrum auf, in dem heute mehr als 15 Mitarbeiter beschäftigt sind.
MTA Dialog: In den Empfehlungen des Wissenschaftsrates zu hochschulischen Qualifikationen für das Gesundheitswesen (2012) wird auch eine akademische Qualifikation im Bereich von zehn bis 20 Prozent für die MTA-Berufe für sinnvoll erachtet. Wie beurteilen Sie die Notwendigkeit einer akademischen Ausbildung der MTA-Berufe neben der fachschulischen Ausbildung und wo sehen Sie Einsatzbereiche der akademischen MTA? Wie sehen Sie in diesem Zusammenhang die Delegation ärztlicher Leistungen an MTA?
Kühne: Meines Wissens haben sich die Empfehlungen des Wissenschaftsrates 2012 für die akademische Qualifikation auf die Hebammen sowie Therapie- und Pflegeberufe bezogen. Nichtsdestotrotz haben andere Ergebnisse wie die der GesinE-Studie vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) 2014 ebenso festgestellt, dass in den Ausbildungsinhalten der Gesundheitsfachberufe, darunter auch die medizinisch-technischen Berufe, in Deutschland ein deutlicher Aktualisierungsbedarf besteht Betrachtet man die heutige Situation der Gesundheitsfachberufe und die für sie steigenden komplexen Anforderungen, zeigt sich eine dringende Nachfrage nach einer Reform der Ausbildungen und im Hinblick auf die internationale Vergleichbarkeit einer Notwendigkeit der Akademisierung. Das Gesundheitssystem ist durch zunehmende gesellschaftliche, technische und ökonomische Veränderungen geprägt. Die demografische Entwicklung konfrontiert das Gesundheitssystem einerseits mit immer älter werdenden Menschen, deren Erkrankungen größtenteils durch Multimorbidität und Chronifizierung gekennzeichnet sind. Andererseits sorgt die sinkende Geburtenrate langfristig für einen Personalmangel in allen Bereichen.
Schon jetzt ist ein Fachkräftemangel in den personalintensiven Sparten wie der Pflege oder den Therapieberufen zu spüren. Der Trend zur Informationsgesellschaft bedingt einen rasanten technologischen Fortschritt und eine zeitgleich steigende Wissensgenerierung bei den Gesundheitsberufen. Auch die Patienten sind durch diesen Trend zunehmend informiert über ihre Erkrankung und die Therapiemöglichkeiten. Diese veränderte Patientenrolle führt zum Bedarf nach mehr individueller Behandlung, Aufklärung und Beratung. Zeitgleich wächst, ebenso forciert durch die Kostenträger, die Nachfrage nach einer wissenschaftlichen Evidenz und Wirksamkeit der medizinischen Methoden.
Die Gesundheitsberufe sollten also in der Lage sein, sich neues Wissen in immer kürzerer Zeit anzueignen und ebenso wissenschaftliche Erkenntnisse in die Praxis transferieren zu können. Zudem wächst durch diese genannten Entwicklungen zunehmend der Kostendruck im Gesundheitswesen. Gleichzeitig erleben wir europaweit eine Weiterentwicklung der Anforderungen an ein modernes und effizientes Gesundheitssystem. Auch hier steigt die Komplexität der Anforderungen an die Gesundheitsfachberufe.
Die berufliche Mobilität spielt heute mehr denn je eine zentrale Rolle in der Berufswahl, bieten sich doch durch den Zusammenschluss der Europäischen Union vielfältige Möglichkeiten, sich beruflich zu entfalten und fortzubilden. Gleichzeitig muss es gelingen, die Absolventinnen und Absolventen der Gesundheitsfachberufe in Deutschland zu halten, um dem Fachkräftemangel zu begegnen. Ansprechende Lohnentwicklungen und bestmögliche Integration der in Deutschland erforderlichen Zusatzqualifikationen in die Curricula müssen geschaffen werden, um einen schnellst- und bestmöglichen Zugang zum nationalen Arbeitsmarkt zu ermöglichen.
Hinzu kommen die Bestrebungen der Gesundheitsfachberufe zur Professionalisierung und einer Autonomieerhöhung gegenüber den ärztlichen Berufen, aufgrund der steigenden Anforderungen an die nicht ärztlichen Berufe durch die Übernahme ärztlich delegierbarer Aufgaben. In der GesinE-Studie vom BMBF 2014 wurde eine deutliche Differenz zwischen den Ausbildungsinhalten der MTA-Berufe und den realen beruflichen Handlungen festgestellt, vor allem bei der Durchführung delegierbarer ärztlicher Tätigkeiten wie das Legen von venösen Zugängen oder die Applikation von Kontrastmitteln.
In der Studie wurden Verbesserungsbereiche der Ausbildungen in der Kommunikation, Schnittstellendiagnostik und in der IT-Technik aufgezeigt. Gerade die schnellen technologischen Entwicklungen in der medizinischen Labordiagnostik und -analytik sowie die gleichzeitig steigende Evidenznachfrage im Gesundheitswesen bedürfen meines Erachtens ebenso für die Medizinisch-technischen Assistenzberufe einen Zugang zur akademischen Ausbildung.
Der Mehrwert der akademischen Ausbildung liegt in der Vermittlung fachübergreifender Qualifikationen, der wissenschaftlichen Arbeitsweise und eines besseren System- und Prozessverständnisses. Auch die Studie zur „Weiterentwicklung der nicht ärztlichen Heilberufe am Beispiel der technischen Assistenzberufe im Gesundheitswesen“ des Deutschen Krankenhausinstituts von 2009 erkennt in den MTA-Berufen einen großen Bedarf an überfachlichen Qualifikationen wie die Kommunikationsfähigkeit, EDV-Kenntnisse, Managementkenntnisse in QM, Prozess- und Kostenmanagement. Ein Bedarf wird auch in der Übernahme von ärztlichen Aufgaben in Bezug auf die Patientenaufklärung und eigenständiger Befundung von (Standard-)Untersuchungen durch die Studie gesehen.###more###
MTA Dialog: Das Bundesgesundheitsministerium empfahl zunächst, die bisherigen Modellstudiengänge innerhalb eines Verlängerungszeitraumes von weiteren zehn Jahren noch stärker an die hochschulischen Gegebenheiten anzupassen und die langfristigen Auswirkungen einer akademischen Ausbildung zu untersuchen. Wie stehen Sie zu dieser Entscheidung? Werden Sie sich dafür einsetzen, dass auch die MTA-Berufe in die Modellstudiengänge mit aufgenommen werden beziehungsweise auch bei regulären Studiengängen berücksichtigt werden?
Kühne: Der Schwebezustand von einer Dekade ohne verbindlichen Rahmen war für mich hinsichtlich der geleisteten wirtschaftlichen Verantwortung der Hochschulen, der Perspektivlosigkeit für Unternehmer und für den angehenden Berufsabsolventen nicht hinnehmbar. Für mich ist hierbei eine verlässliche und gewinnbringende Einbindung der Berufe in die Gesundheitsversorgung und ein Konzept zur zeitnahen Weiterentwicklung der Berufsausbildungen wichtig. Aus diesen Gründen habe ich mich in der Arbeitsgruppe Gesundheit der CDU/CSU-Fraktion, im Gesundheitsausschuss sowie im Bundesministerium für Gesundheit für eine deutliche Verkürzung ausgesprochen.
Denn eine Verlängerung bis 2027 anzusteuern, würde politisch eine Untätigkeit für den Deutschen Bundestag und das Bundesministerium für Gesundheit der kommenden zwei Wahlperioden für die Akademisierung der Berufsgruppen bedeuten. Deshalb bin ich froh, dass das Bundesministerium für Gesundheit einer Verlängerung auf nur vier Jahre, ebenso auf Vorschlag des Bundesrates, zugestimmt hat. Allerdings sieht das Gesetz zur Einführung einer Modellklausel in die Berufsgesetze von 2009 die Integrierung der MTA-Berufe nicht vor. Es muss in Zeiten einer alternden Gesellschaft und zunehmendem Fachkräftemangel ein zentrales Ziel unserer Politik sein, die bestehenden Ressourcen an Know-how sowie Personal auszubauen und spezifisch einzusetzen.
"Die Berufsgesetze sind sehr stark veraltet"
MTA Dialog: Die Gesetze der zur überwiegenden Mehrheit von Frauen ausgeübten MTA-Berufe sind aus den Jahren 1993/1994. Der medizinisch-technische Fortschritt ist auf dem Stand 2016/2017. Eine Novellierung der Gesetze ist daher dringend geboten. Die Bundesregierung prüft zwar den Überarbeitungsbedarf, aber ein konkreter Zeitplan existiert derzeit nicht. Was werden Sie für die Novellierung des MTAG und der MTA-APrV tun? Kühne: In den allermeisten Gesundheitsberufen sind die Berufsgesetze sehr stark veraltet: Beispielsweise das der Ergotherapeuten aus dem Jahr 1976, ist also bereits 40 Jahre! Viele sind über 30 Jahre alt – wie die der Logopäden von 1980. Das lässt sich nicht mit dem aktuellen Wissens- und Technologiestand vereinen. Seit Anfang der Legislaturperiode und meines im März 2015 initiierten Positionspapiers sensibilisiere ich für die Problemfelder unter anderem der veralteten Berufsgesetze sowie Ausbildungs- und Prüfungsverordnungen der Heilmittelerbringer und ebenso der nicht ärztlichen Berufe. All diese Bedenken sind dem Bundesministerium für Gesundheit bekannt, dafür habe auch ich als Berichterstatter für Heilmittelerbringer in der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag hingewirkt. Ziel muss es sein, diese Thematik in der nächsten Legislaturperiode anzugehen.MTA Dialog: Welche Änderungen (wie zum Beispiel Teilzeitausbildung, Modularisierung, mehr Durchlässigkeit et cetera) im Gesundheitswesen halten Sie in Bezug auf die MTA-Berufe für dringend geboten? Was können Sie beziehungsweise die Politik tun, um den Mangel in den MTA-Berufen zu lindern (zum Beispiel Einsatz für die Abschaffung von Schulgeld, neue Ausbildungsmodelle mit Ausbildungsvergütung, Schuleröffnungen)? Kühne: Die Studie vom Deutschen Krankenhausinstitut von 2009 hat eine weitreichende Ausdifferenzierung der vier technischen Assistenzberufe festgestellt, sodass die horizontale Durchlässigkeit in den Ausbildungsinhalten geringer ist als beispielsweise bei den drei Pflegeberufen. Eine größere horizontale Durchlässigkeit ebenso in den praktischen Einsatzbereichen ist laut der Studie unter den heutigen Ausbildungsstrukturen und Qualifikationen nicht zu realisieren. Zudem wurde festgestellt, dass durch die sehr heterogenen Angebote in der beruflichen Weiterqualifizierung und der fehlenden Mindeststandards, die vertikale Durchlässigkeit ebenso sehr schwierig ist. Eine größere vertikale Durchlässigkeit könnte demnach durch eine gezielte Modularisierung von strukturell verzahnten Bildungsgängen durch grundständige Ausbildungen, Weiterbildungen und Akademisierungsoptionen erreicht werden. Karriere- und Entwicklungsoptionen in den Ausbildungen der MTA-Berufe würden zu einer gesteigerten Berufsattraktivität beitragen. Zu meinen Kernforderungen aus meinem Positionspapier zu den Heilmittelberufen gehören unter anderem die Abschaffung des Schulgelds und die Einführung einer Ausbildungsvergütung. Dies muss meines Erachtens auf die MTA-Berufe übertragen und Gegenstand der Diskussion der kommenden Legislaturperiode werden.
MTA Dialog: Qualifizierte MTA brauchen qualifizierte Lehrer an den MTA-Schulen? Wie beurteilen Sie die Notwendigkeit von akademisch qualifizierten Lehrkräften und wo sehen Sie die Vorteile? Kühne: Soweit ich weiß, gibt es aktuell unterschiedliche Voraussetzungen für die Lehrtätigkeit, die zum Teil durch unsere föderalistische Struktur und durch die historisch bedingten Ost-West-Unterschiede entstanden sind. Vielfach, vor allem in den alten Bundesländern, genügt eine MTA-Berufserlaubnis und eine empfohlene Weiterbildung von 400 Stunden für eine Lehrtätigkeit. Dagegen wird vor allem in den neuen Bundesländern eine hochschulische Ausbildung der Lehrenden vorausgesetzt beziehungsweise empfohlen. Zudem sind meines Wissens die Lehrpläne ebenso nicht überall verbindlich geregelt. Generell befürworte ich Standards in der Lehre, die möglichst einheitlich und vergleichbar sind. Akademisch qualifizierte Lehrkräfte können eine qualitativ hochwertige Ausbildung gewährleisten, da sie Inhalte der wissenschaftlichen Arbeitsweise in die Ausbildung mit einbringen können.
Eine qualitativ hochwertige Ausbildung der Gesundheitsberufe
MTA Dialog: Nach ver.di-Hochrechnungen fehlen 162.000 Stellen an Krankenhäusern, gleichzeitig wird aber ein hohes Maß an Qualität der Gesundheitsversorgung und Patientensicherheit gefordert. Dies geht nur mit qualifiziertem und ausreichendem Personal. Inwieweit halten Sie die Einführung eines Gesetzes zur Personalbemessung in Krankenhäusern für sinnvoll und wenn ja, würden Sie dies unterstützen? Wenn nein, warum nicht? Wie wollen Sie die Qualität der Gesundheitsversorgung und die Patientensicherheit in Bezug auf die Gesundheitsfachberufe, wie den der MTA-Berufe, sichern? ###more### Kühne: Personalmangel in der stationären Versorgung führt zu vielerlei Problemen. Einerseits setzt eine körperliche sowie psychische Überlastung des vorhandenen Personals durch die zunehmende Leistungsverdichtung ein. Die Flucht in Teilzeit, andere Berufe oder die erhöhten Fehlzeiten sind Folgen dieser Belastung und führen zu einem Circulus vitiosus. Diese Faktoren tragen dann andererseits zu einer Gefährdung der Patientensicherheit und einem Verlust der Qualität in der Gesundheitsversorgung bei. Dies ist so nicht hinnehmbar. Hier muss die Politik durch ein neues Personalbemessungsverfahren mit Berücksichtigung der Berufsexpertise und wissenschaftlicher Kriterien ansetzen. Wichtig für die Qualität der Gesundheitsversorgung und die Patientensicherheit ist meines Erachtens eine qualitativ hochwertige Ausbildung der Gesundheitsberufe.Bildung eines Nationalen Gesundheitsberuferates
MTA Dialog: Was kann die Politik unternehmen, um die Zusammenarbeit der Gesundheitsberufe und deren Akzeptanz in der Gesellschaft zu fördern? Halten Sie vor diesem Hintergrund einen Nationalen Gesundheitsberuferat auf Bundesebene oder einen Spitzenverband der Gesundheitsberufe für sinnvoll, um den Gesundheitsfachberufen eine Plattform für die Durchsetzung ihrer Interessen, die Einbringung ihrer Expertise et cetera zu geben? Kühne: Um die Zusammenarbeit der Gesundheitsberufe zu fördern, erweisen sich verbandliche Kooperationen von Berufsgruppen als Interessenvertretung und zum interprofessionellen Austausch als wegweisend. Zudem können die öffentliche Wahrnehmung und die politische Durchsetzungskraft durch solche Verbünde gesteigert werden. Die Bündelung ähnlicher Problem- und Interessensfelder kann durchaus von Vorteil sein. Zudem nimmt mit steigender Vielfalt und Anzahl der Mitglieder in der Regel die Mitsprache in der Politik durch Beteiligung ihrer Expertise zu. Insofern halte ich die Bildung eines Nationalen Gesundheitsberuferates oder eines ähnlichen Spitzenverbandes der Gesundheitsberufe für sinnvoll. Der aktuelle Verein zur Förderung eines Nationalen Gesundheitsberuferates (NGBR) versucht ja bereits, ein solches Gremium zur Weiterentwicklung und Reformierung der Gesundheitsberufe aufzubauen. Den NGBR als neutrale Plattform zu etablieren und damit für eine Sicherstellung einer guten Gesundheitsversorgung für alle Interessengruppen zu sorgen, finde ich hierbei besonders herausfordernd sowie hervorragend.MTA Dialog: Die MTA-Ausbildung wird gerne vor dem Medizinstudium absolviert, um die Wartezeit sinnvoll zu nutzen oder ist eine attraktive Ausbildung für Medizinstudenten, die ihr Studium abbrechen. Was tun Sie, um eine bessere gegenseitige Anrechenbarkeit zu erreichen? Kühne: Aus der Bologna-Erklärung aus dem Jahr 1999 ergibt sich die Schaffung eines einheitlichen europäischen Hochschulraumes und dem Ziel der Vergleichbarkeit und Anerkennung der akademischen Ausbildungsinhalte und -abschlüsse. In diesem Sinne sollte eine Modularisierung ebenso für berufsfachliche Ausbildungen möglich sein, um eine bessere gegenseitige Anrechenbarkeit zu gewährleisten. Um dies umzusetzen, bedarf es einer Novellierung der Berufsgesetze beziehungsweise Ausbildungs- und Prüfungsverordnungen. Für die nicht ärztlichen Berufe setze ich mich bereits hierfür innerhalb der CDU/CSU-Fraktion, im Gespräch mit der Bundesregierung und insbesondere mit dem Bundesministerium für Gesundheit ein. Für dieses Umdenken bedarf es Zeit und Ausdauer, die wir alle bereit sein müssen, zu investieren.
MTA Dialog: Herr Dr. Kühne, herzlichen Dank für die Beantwortung der Fragen.
Die Fragen stellte Ludwig Zahn.
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