Ist COVID-19 auch ein Thema für die NeuroIntensivmedizin?

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COVID-19 und Neurointensivmedizin
COVID-19 auch für die Neurointensivmedizin ein wichtiges Thema? © gorbovoi81 - stock.adobe.com
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Die Pandemie durch die weltweite Verbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 und die assoziierte Erkrankung COVID-19 sind laut Deutscher Gesellschaft für NeuroIntensiv- und Notfallmedizin auch für die NeuroIntensivmediziner ein sehr wichtiges Thema.

Diese Aussage mag auf den ersten Blick überraschen, weil die Situation meist durch Erkrankung bzw. Versagen der Lunge dominiert wird und dies nicht unbedingt ein Kerngebiet der Neuro-Intensivmedizin ist. Drei Aspekte der Pandemie beträfen aber direkt oder indirekt erheblich auch die Spezialdisziplin der Neuro-Intensivmedizin:

  • Aufrechterhaltung der optimalen Versorgung schwer hirngeschädigter Patienten trotz Pandemie,
  • Triagierung für Allokation von Intensivressourcen unter Beteiligung von NeuroIntensivmedizinern,
  • Potentielle Beteiligung des Nervensystems durch COVID-19 mit neurointensivmedizinischen Komplikationen.

Die Deutsche Gesellschaft für NeuroIntensiv- und Notfallmedizin (DGNI) gibt zu bedenken, dass in den vergangenen Wochen spürbar weniger Patienten mit neurologischen Notfällen und deren Anzeichen die Notaufnahmen neurointensivmedizinischer Zentren erreicht hätten. Das hätten auch andere Disziplinen beobachtet. Eine Ärztin aus einer US-amerikanischen Notaufnahme mit massivem COVID-19-Anfall drückte es so aus: „Somehow this f*** disease seems to have told all the other diseases to leave town.“ Problematisch sei, wenn dahinter stecke, dass Patienten mit neurologischen Warnsymptomen diese eher ignorieren bzw. von Erstversorgern nicht wie sonst zugewiesen werden, aus Sorge vor drohender Infektion mit SARS-CoV-2 in den großen Kliniken, wegen logistischer Überlastung durch die Pandemie oder schlicht weil das Hauptaugenmerk momentan auf COVID-19 gerichtet sei und die Aufmerksamkeit für andere Erkrankungen zu kurz komme. Es sei aber unbedingt notwendig, die Versorgung neurologischer Notfall- und Intensivpatienten, z.B. von Schlaganfallpatienten auch mit zunächst leichter Symptomatik, optimal aufrecht zu erhalten [1, 2, 3], so die DGNI. Hierfür sollten deshalb Neuro-Intensiv- und Notfallmediziner in ihren lokalen Netzwerken unbedingt ein Bewusstsein schaffen.

Gute Vorbereitung gefordert

Auch wenn in Deutschland durch die medizinischen, logistischen und politischen Maßnahmen hoffentlich Katastrophenszenarien wie in Italien, wo zeitweise hart – z.B. rein altersbezogen – die Allokation von Beatmungsplätzen auf Intensivstationen triagiert werden musste, verhindert werden, sollte Deutschland doch gut darauf vorbereitet sein, fordert die DGNI. Es sei sehr zu begrüßen, dass die DIVI zusammen mit acht Fachgesellschaften, inkl. der DGNI, hierfür eine S1-Leitlinie erstellt habe, in der neurointensivmedizinische Inhalte aber verständlicherweise nicht detailliert enthalten sein könnten. Deshalb sei es wichtig, dass im Katastrophenfall auch NeuroIntensivmediziner zu multidisziplinären Prognose- und Allokationsteams gehören, wenn z.B. die Aussichten einer Intensivbehandlung von Patienten mit COVID-19-ARDS, schwerem Herzinfarkt, Polytrauma, ausgedehnter SAB oder superrefraktärem Status epilepticus gegeneinander abgewogen werden müssen. Hier müsse spezielle Expertise eingebracht werden, weil Kenntnisse in allgemeiner Notfall- und Intensivmedizin nicht ausreichten.

Dies ergab auch deutlich eine Umfrage, die die IGNITE-Forschungsgruppe der DGNI kürzlich unter deutschen NeuroIntensivmedizinern durchgeführt hat. Die Studie unter der Ägide von Florian Geßler, Patrick Schuss, Felix Lehmann und Wolf-Dirk Niesen habe außerdem Allokationskriterien abgefragt, die deutsche NeuroIntensivmediziner präferieren würden; die Ergebnisse sollen in Kürze veröffentlicht werden.

Route des Virus in die Nervenzellen

Dass das Virus SARS-CoV-2 neurotrop und damit in der Lage ist, das Nervensystem zu befallen und den Gesamtverlauf der Erkrankung relevant zu beeinflussen, sei kein Geheimnis mehr, betont die DGNI. Transnasal, retrograd über Hirnnerven, lymphatisch, aber v.a. hämatogen und dann nach intrazellulär über ACE2 könnte die Route in die Nervenzellen verlaufen, auch wenn dies noch weiteren Verständnisses bedarf [4]. Aus China, Iran und Italien kamen erste Berichte über (mitunter alleinig) neurologische Symptome wie Riech- und Geschmacksstörung, starke Kopfschmerzen, Halluzinationen, Bewusstseinsstörungen etc. Auch erste Fallberichte von anders nicht gut erklärbaren Enzephalopathien, intrazerebralen Blutungen und ischämischen Hirninfarkten lägen vor [5, 6, 7, 8]. Prinzipiell seien mechanistisch relevante Veränderungen der Koagulation, Blutdruckregulation, autonomen Balance, hirnstammbasierten Atemregulation u.v.m. geeignet, den Verlauf von Intensivpatienten ungünstig zu beeinflussen. Kürzlich wurde über die erste COVID-19-assoziierte Meningoenzephalitis mit Nachweis von SARS-CoV-2 im Liquor berichtet [9].

Auch der Virusnachweis in den Neuronen und Endothelzellen im Frontalhirn eines verstorbenen Patienten gelang autoptisch [10]. Mehrere Beobachtungen von GBS (Guillain-Barré-Syndrom) im Zusammenhang mit COVID-19 wurden publiziert [11, 12]. Insofern birgt COVID-19 sicherlich neurointensivmedizinisch relevante Risiken.

Bisher nur dünne Datenbasis

Allerdings stehen die bisherigen Erkenntnisse auf einer dünnen Datenbasis, weil die systematische Erfassung fehlt. Deshalb sei es laut DGIN zu begrüßen, dass in großen Registern wie dem von LEOSS, der DGN-(Junge Neurologen) oder dem BMBF auch neurologische Aspekte – dabei u.a. Auswirkungen von COVID-19 auf vorbestehende neurologische Erkrankungen – beleuchtet werden sollen.

Um spezifisch und systematisch der Rolle von COVID-19 bei neurointensivmedizinischen Verläufen auf die Spur zu kommen, hat IGNITE die prospektive Beobachtungsstudie PANDEMIC (Pooled Analysis of Neurologic DisordErs Manifestating in Intensive care COVID-19) aufgelegt, aus der zu diesem Teil der Erkrankung gelernt und Therapieoptionen abgeleitet werden sollen.

Literatur:

[1] Houman Khosravani , Phavalan Rajendram , Lowyl Notario, et al.: Protected Code Stroke, Hyperacute Stroke Management During the Coronavirus Disease 2019 (COVID-19). Pandemic, DOI: doi.org/10.1161/STROKEAHA.120.029838.

[2] Jing Zhao, Anthony Rudd , Renyu Liu: Challenges and Potential Solutions of Stroke Care During the Coronavirus Disease 2019 (COVID-19) Outbreak. Stroke, 31 Mar 2020, 51:1356–1357.

[3] Sharma D, Rasmussen M, Han R, Whalin M, et al.: Anesthetic Management of Endovascular Treatment of Acute Ischemic Stroke During COVID-19 Pandemic, Consensus Statement from Society for Neuroscience in Anesthesiology & Critical Care (SNACC), Endorsed by Society of Vascular & Interventional Neurology (SVIN), Society of NeuroInterventional Surgery (SNIS), Neurocritical Care Society (NCS), and European Society of Minimally Invasive Neurological Therapy (ESMINT), Neurosurg Anesthesiol. 2020 Apr 8. DOI: 10.1097/ANA.0000000000000688. [Epub ahead of print] PMID: 32282614.

[4] Abdul Mannan Baig, Areeba Khaleeq, Usman Ali, et al.: NEURO COVIDEvidenz of the COVID-19 Virus Targeting the CNS:Tissue Distribution, Host-Virus Interaction, and Proposed Neurotropic Mechanisms. ACS Chem Neurosci, 2020 Apr 1; 11 (7): 995-998, DOI: 10.1021/acschemneuro.0c00122. Epub 2020 Mar 13.

[5] Yan Chao Li, Wan-Zhu Bai, Tsutomu Hashikawa: The neurointensive potential of SARS-CoV2 may play a role in the respiratory failure of COVID-19 patients. DOI: doi.org/10.1002/jmv.25728.

[6] Mao L, Jin H, Wang M, Hu Y, Chen S, et al.: Neurologic Manifestations of Hospitalized Patients With Coronavirus Disease 2019 in Wuhan, China. JAMA Neurol. 2020 Apr 10, DOI: 10.1001/jamaneurol.2020.1127. [Epub ahead of print] PMID: 32275288.

[7] Neo Poyiadji, MD, Gassan Shahin, MD, Daniel Noujaim, MD, et al.: COVID-19-associated Acute Hemorrhagic Necrotizing Encephalopathy: CT and MRI Features. Radiology, 2020 Mar 31:201187, DOI: 10.1148/radiol.2020201187.

[8] Aggarwal G, Lippi G, Michael Henry B: Cerebrovascular disease is associated with an increased disease severity in patients with Coronavirus Disease 2019 (COVID-19): A pooled analysis of published literature. Int J Stroke, Apr 20 2020:1747493020921664.

[9] Moriguchi T, Harii N, Goto J, Harada D, et al.: A first case of meningitis/encephalitis associated with SARS-Coronavirus-2. International Journal of Infectious Diseases, Apr 3 2020;94:55-58.

[10] Paniz-Mondolfi A, Bryce C, Grimes Z, et al.: Central Nervous System Involvement by Severe Acute Respiratory Syndrome Coronavirus -2 (SARS-CoV-2). J Med Virol., Apr 21 2020.

[11] Toscano G, Palmerini F, Ravaglia S, et al.: Guillain-Barre Syndrome Associated with SARS-CoV-2, N Engl J Med., Apr 17 2020.

[12] Zhao H, Shen D, Zhou H, Liu J, Chen S: Guillain-Barre syndrome associated with SARS-CoV-2 infection: causality or coincidence? Lancet Neurol, Apr 1 2020.


Quelle:idw/Deutsche Gesellschaft für NeuroIntensiv- und Notfallmedizin

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