Für den IGeL-Report 2024 wurden im Auftrag des Medizinischen Dienstes Bund 2.013 Versicherte im Alter zwischen 18 und 80 Jahren vom Marktforschungsinstitut forsa befragt. Die bevölkerungsrepräsentative Befragung hat Prof. Dr. Jonas Schreyögg, Lehrstuhl für Management im Gesundheitswesen, Universität Hamburg, wissenschaftlich begleitet und ausgewertet. „Unsere Studie belegt, dass gesetzlich Versicherte mindestens 2,4 Milliarden Euro für IGeL-Angebote ausgeben“, sagt Schreyögg. „Besorgniserregend ist, dass die meisten Patientinnen und Patienten viel zu wenig Wissen haben, um eine informierte Entscheidung für oder gegen eine IGeL treffen zu können.“ In der Befragung gab nur jeder 4. Versicherte (26%) an, gut informiert zu sein. 2 von 3 Befragten gingen zudem von der falschen Annahme aus, dass die Selbstzahlerleistungen medizinisch notwendige Leistungen seien, so der MDB.
Kritik auch vom AOK Bundesverband
Die Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Dr. Carola Reimann, betonte nach der Vorstellung der Zahlen: „Auf der einen Seite warten gesetzlich Versicherte immer länger auf Facharzttermine, auf der anderen Seite bieten bestimmte Facharztgruppen wie Augenärzte oder Hautärzte immer mehr Selbstzahler-Leistungen an. So liegt beispielsweise der Anteil der Einnahmen aus der GKV-Abrechnung bei den Hautärzten laut Statistischem Bundesamt nur noch bei 48,6 Prozent der Gesamteinnahmen. Damit ist er inzwischen fast genauso groß wie der Anteil aus der Abrechnung von Privatleistungen (IGeL und Abrechnungen an Privatversicherte).“ Bedenklich sei auch, dass nach den Auswertungen des MD Bund in besonders großem Umfang Leistungen verkauft werden, deren möglicher Schaden den Nutzen deutlich überwiege.
IGeL als Massenphänomen
„Die Ergebnisse des IGeL-Reports 2024 zeigen, dass IGeL kein Randproblem sind, sondern ein Massenphänomen. Der bedrückende Befund ist, dass Patientinnen und Patienten aus Unwissenheit und Sorge um ihre Gesundheit große Summen für fragwürdige und sogar schädliche Leistungen ausgeben“, sagte auch Dr. Stefan Gronemeyer, Vorstandsvorsitzender Medizinischer Dienst Bund . Nicht akzeptabel sei zudem die unzureichende Aufklärung über mögliche Schäden der angebotenen IGeL. Die Arztpraxen sollten entsprechend verpflichtet werden, unabhängige und allgemeinverständliche schriftliche Informationen in der Praxis auszulegen, wenn sie solche Leistungen anbieten.
Schaden und Nutzen im Blick
Der MDB betont, dass der IGeL-Report 2024 belege, dass in den ärztlichen Praxen in großem Umfang Leistungen verkauft würden, deren möglicher Schaden den Nutzen deutlich überwiege. Laut Report liegt auf Platz 1 der Top-10-Liste der Ultraschall der Eierstöcke und der Gebärmutter zur Krebsfrüherkennung. Patientinnen geben dafür pro Jahr 143 Millionen Euro aus. Beides seien Leistungen, die vom IGeL Monitor mit „negativ“ und „tendenziell negativ“ bewertet werden. Bei diesen Untersuchungen könne es zu vielen falsch-positiven Ergebnissen und dadurch zu unnötigen weiteren Untersuchungen und Eingriffen kommen, die den Patientinnen schaden könnten. Gleichzeitig sei nicht belegt, dass das Risiko an Eierstockkrebs zu sterben, damit verringert werden könne. Daher raten auch Fachgesellschaften seit Jahren davon ab, diese Leistungen anzubieten. Ähnlich negativ sieht die Bilanz weiterer Leistungen auf der Top-10-Liste der angebotenen IGeL aus.
Frauen nutzen Angebote häufiger
Der IGeL-Report 2024 zeige, dass mit jeweils 500 Millionen Euro die höchsten Umsätze in den Fachgebieten Gynäkologie und Augenheilkunde erzielt werden. Aber auch in den Fachgebieten Allgemeinmedizin (341 Millionen Euro) sowie Orthopädie und Unfallmedizin (397 Millionen Euro) würden hohe Summen umgesetzt. Während die häufig verkaufte Vitamin-D-Bestimmung rund 30 Euro koste, werden bei komplexen Augenoperationen mehrere 1.000 Euro fällig. In der Liste der umsatzstärksten IGeL finde man einerseits Leistungen, die zu relativ geringen Preisen sehr häufig verkauft werden wie zum Beispiel der bereits genannte Ultraschall der Gebärmutter und Eierstöcke (Gesamtumsatz von 143 Millionen Euro). Andererseits finde man Leistungen, die sehr teuer seien, aber aufgrund einer kleineren Zielgruppe seltener verkauft werden wie zum Beispiel Laser-Operationen am Auge.
Bei der Inanspruchnahme von IGeL ergeben sich teils deutliche sozioökonomische Unterschiede. In den südlichen Bundesländern (37%) werden laut Erhebung IGeL häufiger in Anspruch genommen als in westlichen (33%), nördlichen (31%) oder östlichen (26%). Maßgeblich dafür scheinen geografisch-kulturell geprägte Präferenzen zu sein. Ein Stadt-Land-Gefälle sei nicht feststellbar. Frauen (41%) nutzen etwa doppelt so häufig IGeL wie Männer (22%). Die Inanspruchnahme von IGeL steige mit zunehmendem Alter: Ab einem Alter von 45 Jahren nutzen jede zweite Frau (50%) und etwa jeder dritte Mann (29%) Selbstzahlerleistungen. Bis zu einem Alter von 80 Jahren bleibe dies in beiden Gruppen relativ konstant.
Bei beiden Geschlechtern zählen die meisten der in Anspruch genommenen IGeL zum Bereich der Früherkennungsuntersuchungen. Frauen nennen am häufigsten den transvaginalen Ultraschall und Männer die PSA-Bestimmung zur Früherkennung von Prostatakrebs. Die Befragungsergebnisse zeigen auch: Wer sich mehr leisten kann, bekommt IGeL häufiger angeboten und gibt dafür auch mehr Geld aus.
Evidenzbasierte Einschätzung
Das Wissenschaftsteam des IGeL-Monitors bewertet seit über zehn Jahren evidenzbasiert den Nutzen und Schaden von Individuellen Gesundheitsleistungen und bereitet die Informationen für die Versicherten laienverständlich auf. Ziel ist es, den Patientinnen und Patienten eine wissenschaftsbasierte Entscheidungshilfe für oder gegen den Kauf einer IGeL anzubieten. Der IGeL-Monitor hat aktuell 56 IGeL bewertet – davon 30 Leistungen entweder mit „tendenziell negativ“ oder „negativ“. 23 IGeL haben das Ergebnis „unklar“ − das heißt für ihren Nutzen gibt es meistens keine ausreichende Evidenz . Mit „tendenziell positiv“ schneiden lediglich 3 Selbstzahlerleistungen ab; keine Leistung konnte mit „positiv“ bewertet werden. Das Wissenschaftsteam des IGeL-Monitors wertet bei der Analyse des Nutzen- und Schadenpotenzials nicht nur wissenschaftliche Studien aus, sondern gleicht die Ergebnisse auch mit internationalen Leitlinien ab.
Quelle: Medizinischer Dienst Bund, AOK Bundesverband
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