Herausforderungen an ein universitäres Zentrallabor in Zeiten der Corona-Pandemie

Ein Erfahrungsbericht
Ulf Engelmayer
Herausforderungen an ein universitäres Zentrallabor in Zeiten der Corona-Pandemie
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Die Arbeit in medizinisch-diagnostischen Laboren ist seit jeher ständigen Veränderungen und Belastungen unterworfen. Die Corona-Pandemie stellt die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor weitere, zum Teil völlig neue Herausforderungen. Dies trifft erst recht auf die Laboratorien der Universitätskliniken zu.

Das UMG-Labor der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) ist eine interdisziplinäre Einrichtung, in der viele labordiagnostische Fachrichtungen unter einem Dach vereint sind. Ebenso Teile der serologischen Untersuchungen der Mikrobiologie. Dies ermöglicht die Bündelung von fachlichen und personellen Kompetenzen sowie die gemeinsame Nutzung von Geräte- und IT-Strukturen.

Im Kampf gegen COVID-19 stehen die Universitätskliniken in der ersten Reihe. Das bedeutet für das Labor eine kontinuierliche Adaptation an die aktuelle Lage. Einer der Schwerpunkte liegt im Aufbau von Strukturen, um die Anzahl der täglichen COVID-Screenings zu erhöhen. Ziel ist es, einen besseren Überblick über den Infektionsstand zu bekommen beziehungsweise Ansteckungsschwerpunkte einzugrenzen. Eine Bedeutung gewinnt in diesem Zusammenhang die Mitarbeitertestung. Berichte aus anderen Ländern zeigen hier einen hohen Ansteckungsgrad unter Ärzten und Ärztinnen sowie Pflegepersonal.

Das UMG-Labor hat seine Organisationsstruktur an die aktuellen Entwicklungen angepasst. Um flexibel reagieren zu können, finden täglich zwei Telefonkonferenzen mit der Leitung des UMG-Labors statt. Diese Kommunikationsart reduziert persönliche Kontakte, bindet aber alle relevanten Mitarbeiter/-innen der Fachgruppen (MTLA, IT, Naturwissenschaftler, Ärzte) in die Diskussions- und Entscheidungsprozesse aktiv ein.

Heterogene Anforderungen

Ein Grundproblem in der COVID-19-Diagnostik und -Therapie ist die fehlende Kenntnis über Verläufe und Behandlung dieser Patienten/-innen. Die Erfahrungen aus anderen Ländern sind rudimentär, medikamentöse Therapien sind in einem Experimentierstadium. Entsprechend heterogen sind die Anforderungen an das Labor. Bezüglich der Interpretation von Laborergebnissen bei COVID-19-Erkrankungen hat jetzt die Deutsche Gesellschaft für Klinische Chemie und Laboratoriumsmedizin (DGKL) eine konkrete Interpretationshilfe zur Verfügung gestellt. Sie beruht unter anderem auf ersten Studienergebnissen, die an hospitalisierten Patienten/-innen erhoben worden sind.

Aufgrund der rasanten Entwicklung der wissenschaftlichen Erkenntnisse kann dies nur eine Momentaufnahme sein.

Der Labortest auf SARS-CoV-2 mittels RT-PCR ist im UMG-Labor auf dem Roche Cobas 6800-Analyzer etabliert. Zur Erhöhung der Testkapazitäten hat sich in Göttingen ein diagnostisches Netzwerk gebildet, das Institut für Mikrobiologie testet die High-Risk-Patienten/-innen, das UMG-Labor übernimmt die Testung von Mitarbeitern/-innen und die logistische Verteilung der Proben aus der Klinik. Ein Schwerpunkt im UMG-Labor liegt auf der Entwicklung einer Sammelstrategie für die Gewinnung und Rückstellung von Probenaliquots für die Biobank.

Die Durchführung der Massentests am Cobas 6800 erforderte eine ambitionierte Logistik, wie Heike Adam, die technische Bereichsleitung im virologischen Labor, betont. Die Vorbereitung von Tests aus respiratorischem Material ist mit einem höheren manuellen Aufwand in der Probenvorbereitung verbunden. Zudem wird die Rückführung in das IT-System der Mikrobiologie sorgfältig evaluiert und von IT-Spezialisten und Wissenschaftlern begleitet, um Probleme zu vermeiden. Für das Medizinisch-technische Personal setzen die Schutzmaßnahmen (Abzug, Mundschutz, doppelte Handschuhe) und das hohe Probenaufkommen eine erhöhte Konzentrationsfähigkeit und Berufserfahrung voraus. Dies beinhaltet insbesondere eine duale Sicht auf die Laborergebnisse mittels Geräte- und IT-Listen. Anschließend validieren die Fachärzte der Mikrobiologie die Befunde medizinisch. Die Anzahl der anfallenden Proben ist von der regionalen Infektionsentwicklung abhängig. Sie steigt bei Massenscreenings von Mitarbeitern/-innen oder betroffenen Einrichtungen, wie zum Beispiel Altenheimen, an und führt zu schwer planbaren personellen Anforderungen im Labor. Für eine erfolgreiche Eindämmung der Infektionsrate ist eine zeitnahe Rückführung der Laborergebnisse essenziell. Gesicherte Erkenntnisse aus dem bisherigen weltweiten Verlauf der Pandemie belegen dies.

Darüber hinaus hat sich die Situation im Hauptbereich des UMG-Labors unter der Corona-Krise deutlich geändert. Ein Grund ist das veränderte Patientenaufkommen. Durch die weitgehende Schließung der Polikliniken ist die Probenanzahl zwar zurückgegangen, jedoch besteht eine erhöhte Nachfrage für die Corona-Patienten/-innen im Bereich der Differenzialdiagnostik, insbesondere bei aufwendig durchzuführenden Analysen, wie zum Beispiel der FACS- Analytik, Immunstatus und der Messung von speziellen Pharmaka mittels LC-MS/MS. Neue Parameter, wie Hämopexin oder weitere Interleukine, werden für eine 24/7-Verfügbarkeit vorbereitet und evaluiert. Dies erfordert neben der erweiterten Vorhaltung der Analytik unter Umständen eine Anpassung der personellen Besetzung des medizinisch-technischen Personals, so Anita Otte, die leitende MTLA des UMG-Labors.

Personaldecke wird dünner

„Es gibt eine deutliche Arbeitsverdichtung bei Kollegen und Kolleginnen mit viel Erfahrung und Spezialkenntnissen. Die Personaldecke wird langsam dünner, die Kinderbetreuung wird trotz Unterstützung durch die UMG in Einzelfällen zum organisatorischen Problem. Durch das schwer abschätzbare Probenaufkommen durch die Massenscreenings im virologischen Bereich gibt es Unsicherheiten im Bereich der Personalvorhaltung“, betont Anita Otte. Aufgrund der neuen Laborparameter und veränderter Strukturen ist zudem eine kontinuierliche Schulung der Mitarbeiter/-innen erforderlich. Dies betrifft nicht nur die analytischen Abläufe, sondern im hohen Maße das veränderte Probenhandling. Hier werden Prozesse und Vorschriften permanent an die sich täglich verändernde Situation angepasst.

Die Material- und Reagenzlogistik ist von der Krise nicht ausgenommen. „Zurzeit benötigen wir eine erhöhte enge Kommunikation mit den Firmen, um mögliche Lieferengpässe bei Reagenzien zu vermeiden oder früh zu erkennen. Die automatisierte Lagerhaltung stößt aktuell an ihre Grenzen, da Veränderungen im Anforderungsverhalten (zum Beispiel bei Infektionsparametern) nicht rechtzeitig abgepuffert werden können“, so Christiane Knoke, zuständig für die Material- und Reagenzlogistik im UMG-Labor. Ebenso seien Verzögerungen in den Lieferketten bei internationalen Partnern nicht auszuschließen.

Zur personellen Backup-Absicherung der Akutversorgung und zum Schutz der Mitarbeiter/-innen arbeiten zurzeit einige Kollegen/-innen im Homeoffice. Sie greifen mittels VPN auf die UMG-L-IT-Strukturen zurück. Die aktive Mitarbeit der Fach-MTLA ist bei der Einrichtung neuer Laborparameter für das Customizing zwingend erforderlich. Dies verhindert fehlerhafte IT-Lösungen und zu komplexe Arbeitsabläufe.

Strukturelle Defizite aufgezeigt

Ähnlich wie in der Klinik- und Altenpflege zeigt die Corona-Krise schonungslos die strukturellen Defizite im Personalbereich der Labore auf. Die Probleme haben sich in den letzten Jahren, verursacht durch Laborarztmangel, Schließung von Krankenhauslaboratorien, Rationalisierungen in der medizinischen Laborlandschaft, Absenkung der Vergütungsziffern, Schließung von MTLA-Schulen, deutlich verschärft. Hinzu kommen mangelnde Kenntnisse über den MTLA-Beruf in der Öffentlichkeit und in der Politik. Defizite, die das Deutsche Krankenhausinstitut und der DVTA schon lange thematisiert haben. Im Bereich des Medizinisch-technischen Dienstes wird es in den nächsten Jahren durch altersbedingtes Ausscheiden einen massiven Fehlbedarf von MTLA geben. Aktuell nehmen die Stellenbesetzungsprobleme kontinuierlich zu. Unikliniken und Krankenhäuser sind in harter Konkurrenz mit den niedergelassenen Laboratorien um die besten Mitarbeiter/-innen. Im Bereich der Medizinisch-technischen Dienste herrscht laut Agentur für Arbeit Vollbeschäftigung. Das UMG-Labor liegt hier im bundesweiten Trend. Hier entwickelt sich ein Nachwuchsproblem, das schon jetzt über die MTLA-Fachschulen nur schwer abzudecken ist. Das UMG-Labor hat auf die aktuellen Herausforderungen als Team mit einer wertschätzenden, offenen Kommunikation und der kontinuierlichen Einbeziehung aller Berufsgruppen in die täglichen Entscheidungsprozesse reagiert. So ist es gelungen, selbstorganisiert und dezentral die notwendigen Kompetenzen in diesen Zeiten der Unsicherheit und Unbeständigkeit flexibel einzusetzen.

Entnommen aus MTA Dialog 5/2020

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