Aktuell müssen knapp 35.000 Kinder und Jugendliche in Deutschland täglich Insulin spritzen, ihren Blutzucker messen und die Kohlenhydrate in ihrem Essen berechnen: Sie sind zuckerkrank. Dabei handelt es sich meist um einen Diabetes vom Typ 1. „Dieser Typ von Diabetes mellitus gehört zu den häufigsten Stoffwechselerkrankungen im Kindesalter“, so Professor Dr. Berthold Koletzko, Vorsitzender der Stiftung Kindergesundheit. Bei Personen mit Typ-1-Diabetes zerstört das Immunsystem die insulinproduzierenden Zellen in den sogenannten Langerhans-Inseln der Bauchspeicheldrüse. Betroffene müssen ein Leben lang mit Insulin behandelt werden. „Die Zahl der Neuerkrankungen steigt weltweit an und besonders der Anteil der 10- bis 17-Jährigen nimmt dramatisch zu“, betont der Stoffwechselexperte der von Haunerschen Kinderklinik der Universität München. In groß angelegten Langzeitstudien konnten Forschende von Helmholtz Munich frühkindliche Virusinfektionen bei Kleinkindern als entscheidenden Umweltfaktor für die Entstehung von Typ-1-Diabetes identifizieren. „COVID-19 erhöht das Risiko für die Autoimmunerkrankung. Wir haben beobachtet, dass die Wahrscheinlichkeit, Inselautoantikörper zu entwickeln, um das Fünffache erhöht war, wenn Kinder mit einem erhöhten Risiko für Typ-1-Diabetes vor ihrem 18. Lebensmonat COVID-19 hatten“, berichtete kürzlich Prof. Ezio Bonifacio, GPPAD-Wissenschaftler am Zentrum für Regenerative Therapien Dresden (CRTD).
Symptome oft nicht bekannt
Über 80 % der betroffenen Kinder und deren Eltern haben allerdings keine Verwandten mit Typ-1-Diabetes. Das hat zur Folge, dass viele Familien kaum etwas darüber wissen und nur unzureichend oder gar nicht mit den Symptomen beim Ausbruch der Stoffwechselerkrankung vertraut sind. Die Symptome eines Typ-1-Diabetes können sich innerhalb weniger Wochen oder sogar Tagen entwickeln. Oft haben die Kinder ständig Durst, trinken mehr als sonst und haben häufigen Harndrang. Manche von ihnen nässen auch ins Bett. Einige Kinder verlieren an Gewicht und sind abgeschlagen – die Haut ist trocken, die Lippen sind rissig. Unter Umständen riecht der Atem obstähnlich nach Aceton. „Bei derartigen Problemen sollten Eltern dringend den Rat eines Kinder- und Jugendarztes einholen“, empfiehlt Professor Koletzko.
Zu spätes Entdecken ist ein Risiko
Entscheidend sind eine frühe Diagnose und Behandlung der Krankheit, da eine verzögerte Erkennung die Lebenserwartung deutlich verringern kann, betont die Stiftung Kindergesundheit. Eine optimale Einstellung des Stoffwechsels von Beginn an hilft dagegen, langfristige Komplikationen zu vermeiden. Dennoch werde bei mehr als einem Drittel aller Betroffenen ein Typ-1-Diabetes zu spät entdeckt, also zu einem Zeitpunkt, an dem bereits eine schwerwiegende Stoffwechselentgleisung mit einer potenziell lebensbedrohlichen Übersäuerung des Bluts, der diabetischen Ketoazidose, aufgetreten ist.
Screening auf Typ-1-Diabetes als Alternative
Ein Screening auf Typ-1-Diabetes bei Kindern ermöglicht es, die Entstehung der Krankheit frühzeitig zu erkennen, noch bevor klinische Symptome auftreten. Wenn sich bei einer Blutuntersuchung bestimmte Inselautoantikörpern nachweisen lassen, kann das auf ein Frühstadium der Autoimmunerkrankung hinweisen. Das Screening auf Typ-1-Diabetes mittels Inselautoantikörpertest wird seit 2015 in Bayern als Modellprojekt im Rahmen der „Fr1da-Studie“ angeboten. Diese Studie wurde bereits auf die Bundesländer Niedersachsen, Hamburg und Sachsen ausgeweitet. Dabei wird das kostenlose und freiwillige Screening Kindern im Rahmen einer Vorsorgeuntersuchung (U7 bis U11) oder eines Kinderarztbesuches im Alter zwischen 2 und 10 Jahren angeboten. Die Untersuchung könne Familien emotional entlasten und vor einem meist traumatischem Erlebnis, wie der lebensbedrohlichen diabetischen Ketoazidose, die sofortige Notfallmaßnahmen erfordert, bewahren, so die Stiftung.
Unsicherheiten und Ängste reduzieren
Durch die frühe Diagnose erhalten Eltern die Möglichkeit, sich besser auf den Umgang mit der Krankheit vorzubereiten. Sie können gemeinsam mit Ärzten rechtzeitig Maßnahmen ergreifen, Schulungen zur Insulintherapie und Blutzuckerkontrolle besuchen und sich schrittweise an die neue Lebenssituation anpassen. Das reduziere Unsicherheiten und Ängste, die oft mit einer plötzlich diagnostizierten chronischen Krankheit einhergehen. Eltern, Ärztinnen und Ärzte können präventiv handeln und die Gesundheit des Kindes überwachen, was das Risiko eines plötzlichen Krankheitsausbruchs und damit verbundene Notfallsituationen senke, betont die Stiftung. „Eine Ausweitung des Screenings auf ganz Deutschland wäre deshalb wünschenswert“, so Professor Koletzko.
Quelle: idw/Stiftung Kindergesundheit
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