Evolution von bakteriellen Antibiotikaresistenzen

Neue Erkenntnisse
lz
Dr. Tanita Wein
Dr. Tanita Wein, die Hauptautorin der Studie, hat kürzlich promoviert und arbeitet derzeit als Postdoktorandin in der Forschungsgruppe von Prof. Rotem Sorek am Weizmann Institute of Science in Israel. © IfAM, CAU
Newsletter­anmeldung

Bleiben Sie auf dem Laufenden. Der MT-Dialog-Newsletter informiert Sie jede Woche kostenfrei über die wichtigsten Branchen-News, aktuelle Themen und die neusten Stellenangebote.


Ein Kieler Forschungsteam untersucht, wie sich die Antibiotikagabe auf die Mechanismen der von Plasmiden vermittelten Vererbung von Resistenzgenen auswirkt. Dieser horizontale Gentransfer ist zentral an der Evolution von Mikroorganismen beteiligt.

Die Erbinformationen vieler Mikroorganismen, insbesondere der Bakterien, liegen zum Teil in sogenannten Plasmiden vor. Das sind genetische Elemente, die aus nur einem einzelnen DNA-Ring bestehen, nicht auf den Chromosomen vorliegen und sich eigenständig vervielfältigen können. Bakterien ist es dank solcher Plasmide möglich, Erbinformationen sehr schnell untereinander und auch über die Grenzen verschiedener Bakterienarten hinweg zu übertragen. Dieser als horizontaler Gentransfer bezeichnete Prozess ist zentral an der Evolution von Mikroorganismen beteiligt und hilft ihnen dabei, sich flexibel an veränderte Umweltbedingungen anzupassen. Insbesondere für bakterielle Krankheitserreger ist diese schnelle Anpassungsfähigkeit ein großer Vorteil.

Plasmide können stabil in Bakterienzellen überdauern

Ein Forschungsteam vom Institut für Allgemeine Mikrobiologie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) hat im vergangenen Jahr nachgewiesen, dass Plasmide als häufige Träger von Resistenzgenen dauerhaft und auch ohne Selektionsdruck stabil in Bakterienzellen überdauern können. So können sie ein Reservoir für die Entwicklung von Resistenzen bilden, das schon bei einmaliger Antibiotikagabe zur Behandlungsunempfindlichkeit der nachfolgenden Bakteriengenerationen führen kann. In einer nun anschließenden Arbeit haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der CAU-Arbeitsgruppe Genomische Mikrobiologie um Professorin Tal Dagan untersucht, welche Wirkung die Antibiotikagabe wiederum auf die Stabilität der Plasmide in den Bakterienzellen und damit ihren evolutionären Erfolg ausübt. Sie stellten fest, dass der von den Antibiotika ausgehende Selektionsdruck nicht immer die stabile Plasmid-Vererbung fördert - obwohl die Plasmide für die Zelle vorteilhafte Resistenzgene tragen. Die Ergebnisse ihrer im Rahmen des Kiel Evolution Center (KEC) entstandenen Arbeit haben die Forscherinnen und Forscher jetzt veröffentlicht.

Nicht in allen Fällen Plasmid-Stabilität

Das allgegenwärtige Vorkommen von Plasmiden in der Natur lasse zunächst vermuten, dass Plasmide eine stabile Vererbung entwickeln und langfristig beispielsweise in einer Bakterienpopulation erhalten bleiben - solange sie keinen negativen Einfluss auf die Fitness des Wirtslebewesens haben, etwa durch ihren Energiebedarf. Das Kieler Forschungsteam untersuchte daher, warum sich entgegen dieser Annahme nicht in allen Fällen eine Plasmid-Stabilität einstellt, obwohl ihre Anwesenheit unter Selektionsdruck vorteilhaft ist. Dazu kultivierten die Forscher/-innen in Evolutionsexperimenten das Bakterium Escherichia coli jeweils mit und ohne Antibiotikagabe. So konnten sie überprüfen, wie sich im Vergleich die Anwesenheit der Plasmide über die Bakteriengenerationen entwickelte.

„In Anwesenheit von Antibiotika muss jede Bakterienzelle eine Resistenz entwickeln, sonst stirbt sie. Daher überleben unter diesen Bedingungen alle Zellen, die ein Plasmid als Träger des Resistenzgens haben“, erklärt Erstautorin Dr. Tanita Wein, die kürzlich in Dagans Arbeitsgruppe promovierte. „Dabei ist es für die Bakterienzelle egal, in welchem Zustand sich das Plasmid befindet, und es überleben sowohl stabile als auch instabile Plasmid-Varianten“, so Wein weiter.

Aufrechterhaltung von nicht-optimalen Plasmid-Varianten

Dabei haben die Plasmide die Tendenz, sogenannte Multimere zu bilden, sich also aus mehreren einzelnen Plasmiden zu einer großen zusammenhängenden Struktur zusammenzuschließen. Wenn sich die Bakterienzelle anschließend teilt, gehe das große Multimer mit dann mehreren Resistenzgenen nur in eine Tochterzelle über, die zweite neue Zelle erhalte aber keines. Das dadurch wahrscheinlich verstärkte Plasmid mit seinen Resistenzgenen sei zwar für die Bakterienzelle von Vorteil, es werde dadurch allerdings auch instabil - denn ohne den Selektionsdruck eines Antibiotikums gehen die großen Multimere wieder verloren. Zusammenfassend bedeute dies, dass die positive Selektion hinsichtlich der Antibiotikaresistenz zur Aufrechterhaltung von nicht-optimalen Plasmid-Varianten führe, die langfristig nicht stabil vererbt werden können.

Interessen von Plasmid und Zelle gegenläufig?

Diese Vorgänge zeigten, dass die Bakterienzellen und die Plasmide im übertragenen Sinne kein gemeinsames Interesse haben. Die evolutionäre Selektion ihrer Eigenschaften finde auf unterschiedlichen Ebenen statt und diene nicht immer dem Vorteil beider Beteiligter, obwohl sie in einem gemeinsamen Organismus existieren, so die Forscher. „Im konkreten Fall bedeutet dies, dass der durch das Plasmid vermittelte Vorteil für die Wirtszelle mit einem verringerten Erfolg für die Evolution der Plasmide einhergeht und die Interessen von Plasmid und Zelle in diesem Fall gegenläufig sind. Die Betrachtung von Plasmiden als sich autonom von ihren Wirtszellen entwickelnde Einheiten hilft also dabei, den Verlauf ihrer gemeinsamen Evolution besser zu verstehen“, erklärt Wein.

Besseres Verständnis der Resistenzevolution

Insgesamt könnten die neuen Kieler Forschungsergebnisse zu einem besseren Verständnis der Vererbungsprozesse bei Plasmiden und den damit verbundenen Konsequenzen für den Wirtsorganismus führen. „Unsere Ergebnisse legen nahe, dass eher schnell veränderliche Bedingungen wie die abwechselnde An- und Abwesenheit von Antibiotika und nicht so sehr eine konstante Selektion der Schlüssel zur schnellen Anpassung der Plasmide sind“, betont Dagan. „Unsere Erkenntnisse könnten daher auch auf die Prozesse anwendbar sein, die bei Krankheitserregern zur Entstehung von Multiresistenzen gegenüber verschiedenen Wirkstoffen führen“, meint Dagan.

Literatur:

Tanita Wein, Yiqing Wang, Nils F. Hülter, Katrin Hammerschmidt, Tal Dagan (2020): Antibiotics interfere with the evolution of plasmid stability. Current Biology, First published on 13 August 2020, DOI: doi.org/10.1016/j.cub.2020.07.019.


Quelle: idw/CAU

Artikel teilen

Online-Angebot der MT im Dialog

Um das Online-Angebot der MT im Dialog uneingeschränkt nutzen zu können, müssen Sie sich einmalig mit Ihrer DVTA-Mitglieds- oder Abonnentennummer registrieren.

Stellen- und Rubrikenmarkt

Möchten Sie eine Anzeige in der MT im Dialog schalten?

Stellenmarkt
Industrieanzeige