In China sollen in diesem Jahr schon bereits 2 Fälle von Beulenpest aufgetreten sein. Ein Mensch verstarb nach Medienberichten bereits an der gefährlichen Infektionskrankheit. Wie sich der Junge mit der Beulenpest infiziert haben konnte, ist gegenwärtig noch unklar. Im Heimatdorf des Jungen, in Menghai in der südlichen Yunnan-Provinz, wurden tote Ratten gefunden, bei denen ein gramnegatives, unbegeißeltes, sporenloses, fakultativ anaerobes Stäbchenbakterium mit dem Namen des Entdeckers „Yersinia pestis“ nachgewiesen worden ist: der Pesterreger.
Der an Beulenpest erkrankte Junge zeigt aber nur leichte Symptome. Die Behörden haben eine Quarantäne über das Gebiet nahe der Grenze zu Myanmar verhängt, um eine Ausbreitung der schweren Infektionskrankheit zu verhindern. Medizinisches Personal ist angewiesen worden, auf Zeichen einer Beulenpest zu achten: wie erhöhte Körpertemperatur und besonders Lymphkontenschwellungen in der Leistengegend bei den Menschen, wo die Pest in der Region aufgetreten ist.
Aktuell wird dem SARS-CoV-2-Infektionsgeschehen eine hohe Aufmerksamkeit zuteil. Wie aber an diesem neuen endemischen Infektionsausbruch in China verdeutlicht wird: Tag für Tag erkranken und sterben weltweit Menschen auch an anderen schweren Infektionskrankheiten, ohne dass dies in der Presse große Erwähnung findet. Bis dato (4. Oktober) hat praktisch kein großer Fernsehsender über den neuen „Pestoutbreak“ in China berichtet! Etwa ein Drittel der jährlich in der Welt zu beklagenden Todesfälle - rund 17 Millionen - sind auf Infektionen zurückzuführen. Dazu ist anzumerken: Die große Mehrzahl dieser tödlich verlaufenden Erkrankungen wird fast ausschließlich aus den Entwicklungsländern gemeldet, wo Todesfälle z.B. durch Malaria, Lungenentzündungen, Tuberkulose, AIDS oder Darminfektionen an der Tagesordnung sind. Die heutige westliche Gesellschaft glaubt fest an den medizinischen Fortschritt, der die Erhaltung des Lebens und den Wunschtraum „Unsterblichkeit“ erfüllen kann. Aktuell wird dieser Glauben aber in Frage gestellt. Das Auftreten neuer Erreger – wie aktuell das SARS-CoV-2-Virus – weckt nun großes Medieninteresse, da es uns plötzlich alle unmittelbar infizieren kann. Leider wird hierzulande wenig Kenntnis davon genommen, dass die Menschheit seit Urzeiten einen gemeinsamen Feind hat: pathogene Mikroorganismen - worunter alle krankmachenden (obligat pathogen) Bakterien, Viren, Pilze und andere Parasiten verstanden werden. Trotz der Entwicklung neuester Antibiotika, Impfstoffe und der Hightech-Medizin wird uns nun vor Augen geführt: Infektionskrankheiten gehören nicht nur der Vergangenheit an, sondern bedeuten eine dauernde Herausforderung; auch in unserer hochtechnisierten Welt. Hilflosigkeit wird uns bewusst. Weit in die Vergangenheit reicht daher auch die Wirkung in der Erziehung der Menschen, sich gegenseitig zu helfen und zu schützen. Krankheit ist oft Strafe für begangene Fehler; häufiger aber Warnung und Belehrung: und die zunehmende Gesundheit der Menschen ist keine unerfüllbare Forderung, sondern erreichbares Ziel; auch in armen Ländern! Die vorbeugende Medizin ist daher berufen, in immer stärkerem Umfang den Lauf der Geschichte zu beeinflussen. Leider wird sie in der „Dritten Welt“ aus vielen Gründen nur sehr marginal wahrgenommen.
Jüngste endemische Ausbrüche der Pest
Wir dürfen niemals vergessen, dass die ansteckenden Krankheiten durch den vorzeitigen Tod bedeutender Menschen unfüllbare Lücken in das Werden der Kulturen gerissen haben, dass Krankheiten das Wirken maßgebender Persönlichkeiten in einer oft tragischen Weise beeinflussten und dass der Tod der ungezählten Namenlosen in den großen Seuchenzügen bzw. gemeingefährlichen Infektionskrankheiten der Vergangenheit die Wirtschaftsgrundlage ganzer Länder und Erdteile und damit ihre politische Struktur verändert haben. AIDS hat dieses Faktum Ende des ausgehenden Jahrhunderts eindrucksvoll wieder verdeutlicht. Die Pest im heutigen Europa hat nur noch eine traumatische geschichtliche Erfahrung hinterlassen; in anderen Kontinenten auf der Erde tritt sie immer noch in Einzel- oder Gruppenerkrankungen und in kleineren En- oder Epidemien auf, wie aktuell in China zu beobachten ist. Sie findet dort einen idealen Nährboden, wo Überbevölkerung herrscht, die hygienischen Verhältnisse katastrophal sind und eine medizinische Versorgung nicht gewährleistet ist. Dies betrifft besonders Länder, die eine geringe Entwicklung, besonders in wirtschaftlichen, sozialen und politischen Bereichen, haben und nach Einschätzung der Welthandelsorganisation (WTO) als arm gelten (sogenannte Dritte Welt).
Jüngst beschriebene Pestfälle: 1967 kam es zu einem Pestausbruch im westlichen Nepalgebiet. In Vietnam wurden zwischen den Jahren 1965-1971 bis zu 5.000 Pestfälle jährlich gemeldet, das waren rund 90% der insgesamt bekanntgewordenen Erkrankungen. Im Jahr 1994 wurden aus Simbabwe – Binnenland im Süden von Afrika – im Bezirk Nkayi der Provinz Matabeleland Nord insgesamt 329 Pestfälle mit 28 Todesfällen der WHO gemeldet. Am 10. April 2015 wurde das sambische Gesundheitsministerium vom Eastern Provincial Medical Office über mögliche Fälle von Beulenpest im Distrikt Nyimba informiert. Elf Patienten mit akutem Fieber und zervikaler Lymphadenopathie wurden vom 28. März bis 9. April 2015 in zwei ländlichen Gesundheitszentren untersucht. Drei Patienten starben. Bei 21 weiteren Patienten wurde die Pest bestätigt. Das Durchschnittsalter betrug 8 Jahre, und alle Patienten stammten aus demselben Dorf. Blutproben und Lymphknotenaspirate von sechs Patienten wurden mittels Polymerasekettenreaktion (PCR) positiv auf Yersinia pestis getestet.
Die PCR ist ein ergänzendes Instrument zur Identifizierung der Pest; besonders in Gebieten mit begrenzter mikrobiologischer Diagnostik, hat sich diese diagnostische Methode bewährt. Zwölf (57%) Patienten, darunter alle sechs mit PCR-positiven Befund wurden auch positiv auf Malaria (Koinfektion) getestet. In den USA wurden im April 2015 in sechs Bundesstaaten insgesamt 11 Fälle von Menschenpest gemeldet: Arizona (zwei), Kalifornien (einer), Colorado (vier), Georgia (einer), New Mexico (zwei) und Oregon (einer). Die beiden Fälle in Georgia und Kalifornien standen im Zusammenhang mit Expositionen im oder in der Nähe des Yosemite-Nationalparks in den südlichen Bergen der Sierra Nevada in Kalifornien. Neun der 11 Patienten waren männlich. Das Durchschnittsalter betrug 52 Jahre (Bereich = 14–79 Jahre). Drei Patienten im Alter von 16, 52 und 79 Jahren starben. Zwischen 2001 und 2012 lag die jährliche Zahl der in den USA gemeldeten Fälle von Menschenpest zwischen 1 und 17.
Mehr als 50 Menschen starben 2006 in der Demokratischen Republik Kongo und in Uganda 2004. Im Herbst 2014 wurden der Weltgesundheitsorganisation (WHO) im Zeitraum von knapp drei Monaten 119 humane Pestfälle (2 % Lungenpest) mit 40 Toten aus Madagaskar gemeldet. Zwischen August und November 2017 herrschte ein weiterer schwerer Pestausbruch in dem Inselstaat Madagaskar: 2.414 Fälle mit klinischem Verdacht wurden gemeldet, darunter 1.878 (78 Prozent) Fälle von Lungenpest. 395 (16 Prozent) Fälle von Beulenpest, ein Fall von Pestsepsis (< ein Prozent) und 140 (sechs Prozent) Fälle mit nicht näher bezeichneten klinischen Symptomen. 386 (21 Prozent) der 1.878 gemeldeten Lungenpestfälle waren wahrscheinlich, und 32 (zwei Prozent) wurden bestätigt. 73 (18 Prozent) von 395 gemeldeten Beulenpestfällen waren wahrscheinlich, und 66 (17 Prozent) wurden bestätigt. Die Peststerberate betrug 84 Prozent!
Pest ist bei frühzeitiger Diagnostik heilbar
Die Antibiotika haben die bakteriellen Infektionskrankheiten überwiegend vorteilhaft beeinflusst; besonders der Pest wurde ihr Schrecken durch Einführung des Streptomycins genommen. Selman Abraham Waksman (1888-1973), ein russisch-amerikanischer Biochemiker, der Streptomycin, das erste Tuberkulostatikum, entdeckte, prägte den Begriff „Antibiotikum“. Die Sterblichkeitsrate bei unbehandelter Pest lag zwischen 66% und 93%; in der Zeit der Antibiotika konnte die Letalität jedoch auf ca. 16% gesenkt werden. Eine zügige Diagnostik und schnelle Behandlung mit antimikrobiellen Wirkstoffen z.B. Aminoglycosiden, Fluorchinolonen oder Doxycyclin verbessert das Überleben. Entscheidend für die Prognose ist der Behandlungsbeginn, wobei vor allem bei Lungenpest jegliche Verzögerung der Behandlung - über 24 Stunden nach Erkrankungsbeginn - die Prognose ungünstig beeinflusst. Werden jedoch Antibiotika und supportive Therapien bei Pesterkrankten nach mehr als 24 Stunden eingesetzt, ist dies in der Regel schon zu spät und endet meist tödlich! Leider werden die an Pest schwer erkrankten Menschen wohl kaum von einer intensivmedizinischen Behandlung profitieren können, da in den allermeisten Ländern, in denen sich die Pest endemisch ausgebreitet hat, ein Krankenhaus mit einer Intensivstation nicht zur Verfügung steht.
Die Behandlung der Pest liegt in der Früherkennung und der rechtzeitigen Verabreichung von wirksamen Antibiotika! Die weltweit isolierten Yersina pestis-Stämme reagieren empfindlich auf das Streptomycin und andere antiinfektive Subtanzklassen. Ein multiresistenter Peststamm aus Madagaskar wurde aber bereits isoliert; eine infektiologische Katastrophe! Glücklicherweise ist dieser Stamm in dieser Region bis dato nicht wieder aufgetreten. Nach Angaben der CDC (US-amerikanischen Zentrum für die Kontrolle und Prävention von Krankheiten) wird Streptomycin und Gentamicin für erwachsene Patienten empfohlen; einschließlich immungeschwächter Patienten und Schwangeren. Streptomycin und Gentamicin kann auch bei Kindern angewendet werden - die Dosierung sollte jedoch reduziert werden. Alternativ können auch Doxycyclin, Ciprofloxacin und Chloramphenicol angewendet werden. Für die Behandlung der primären Lungenpest hat sich die Kombination aus Streptomycin und Ciprofloxacin bewährt. Es gibt noch keinen wirksamen Impfstoff gegen die Pest, obwohl in einigen Ländern wie China und Russland ein abgeschwächter Lebendimpfstoff angewendet wird.
Pest – Auch eine Gefahr in Europa?
„Wir verdanken den Pestzügen auch viele positive Maßnahmen, z. B. verbesserte Methoden der Quarantäne (Isolierung), die Pestordnungen, Vorstufen einer Medizinalordnung, und viele Fortschritte der Stadthygiene. Friedrich von Schiller hat — wohl mit Recht — in dem Kampf gegen die Pest den äußeren Anlass zur Verbesserung der Heilkunde und der Hygiene gesehen. Ein Rätsel aber bleibt doch, wie es kam, dass die Pesteinbrüche zum Ende des 17. Jahrhunderts in Europa aufhörten. Es muss sich in jener Zeit ein so völliger Wandel in der Lebens- und Wirtschaftsform vollzogen haben, eine derartige Verbesserung aller Lebensbedingungen, dass die alten Ausbreitungsbedingungen nicht mehr gegeben waren. In der Tat finden wir, dass das Ende der Pest mit dem Bau der Barockstädte zusammenhängt, die auf den Ruinen der mittelalterlichen Städte nach neuen, großzügigen Planungen angelegt wurden. Es müssen sich auch damals grundlegende Wandlungen im Verkehr vollzogen haben, so dass die leichten Ausbreitungsmöglichkeiten des Pesterregers durch Ratten unterbunden wurden“, schlussfolgerte Prof. Dr. med. Werner Kollath über die Pest in seiner Monografie über „Die Epidemien in der Geschichte der Menschheit“ vor 70 Jahren. Die Bevölkerung von heute ist daher in der glücklichen Lage einer Pestausbreitung zu folgen und das epidemische Muster frühzeitig zu erkennen; Hilflosigkeit und Ohnmacht von Wissenschaft und Medizin gehören der Vergangenheit an. Heutzutage sind sie in der Lage, die Eindämmung von Erregerreservoiren sowie die Vernichtung von Vektoren einzudämmen. Die Prophylaxe umfasst die Isolierung von Erkrankten, potente Antibiotika haben den Kampf bzw. das „Todesgespenst Pest“ in der westlichen Welt vorübergehend besiegt. Leider waren unseren Vorfahren jahrhundertelang diese prophylaktischen und therapeutischen Maßnahmen nicht bekannt. Die Angst vor einer erneuten Pestpandemie besteht generell nicht; ohne Zweifel ist sie aber eine immer wiederkehrende Infektionskrankheit – besonders auch noch im 21. Jahrhundert. Die potentielle Gefahr von kleineren Epidemien verbleibt auch in Zukunft, die schlimmste aller Menschenseuchen ist nicht tot; sie schläft nur, dieses Faktums sollten wir uns bewusst sein! Nur ein völliger Zusammenbruch der Zivilisation könnte den Pesterreger wieder zu einer Hauptgefahr für den Menschen werden lassen. Der Pesterreger schlägt dort zu, wo er den wenigsten Wiederstand erfährt; bevorzugt in der Dritten Welt: wo Armut, Mangelernährung, Überbevölkerung, fehlende Hygiene und Gesundheitsfürsorge zusammentreffen.
Madagaskar ist derzeit das an Pest meist bedrohte Land der Erde. Es ist für 75 Prozent der WHO gemeldeten weltweiten Pestfälle verantwortlich; mit einer jährlichen Inzidenz von 200 bis 700 Verdachtsfällen. Sozialpolitische Krisen und Armut in dem Land werden dabei als wesentlicher Förderer der Pest angesehen. Trotz der gigantischen Erfolge der letzten Jahrhunderte, die Pest einzudämmen, zählt sie heute zu den zwölf gefährlichsten biologischen Waffen der Welt, womit ein großes Auslöschen von Menschenleben in kurzer Zeit - im Rahmen eines terroristischen Anschlags - für möglich erachtet wird! Die Pest wurde fälschlicherweise über Jahrhunderte als eine unheimliche Erkrankung, als ein Fluch, eine Strafe Gottes oder die Folge eines sündigen Lebens interpretiert. Gegenwärtig stellt die Pest ein Unheil für die ärmsten Menschen dieser Erde dar.
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Autor:
Hardy-Thorsten Panknin
Fachjournalismus Medizin – Schwerpunkt Klinische Infektiologie
Badensche Straße 8B, D-10825 Berlin
Kontakt: ht.panknin@berlin.de
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